Karlssage
(Karolingische oder Kerlingsche
Sage), der an
Karl d. Gr. sich anschließende
Sagenkreis, der namentlich in
Frankreich, als dessen eigentlich nationaler
Held
Karl d. Gr. im
Mittelalter zu betrachten ist, vielfach epische Behandlung in
volksmäßigem
Stil erfahren hat.
Alle Hauptthaten seines
Lebens, seine
Kämpfe mit den
Sachsen
[* 2]
(Wittekind),
sein Zug
nach
Spanien,
[* 3] ferner seine sagenhafte
Fahrt nach
Konstantinopel
[* 4] und dem
Orient, seine sagenhafte
Jugend: alles wurde in den
wahrscheinlich in Nordfrankreich entstandenen sogen.
»Chansons de geste« poetisch gestaltet (s.
Französische Litteratur, S. 591 f.).
Den meisten
Ruhm von allen erlangte die spanische Expedition als »Roland
ssage«
(s.
Roland).
Von
Frankreich aus verbreiteten sich die
Sagen und
Epen von
Karl d. Gr. nach
Holland,
England,
Skandinavien (»Karlemagnussaga«)
und
Italien,
[* 5] wo sie später die Dichter der Humanistenzeit
(Bojardo,
Ariosto etc.) zu kunstepischen
Produktionen anregten. Sogar
in lateinischer
Sprache
[* 6] wurden einzelne
Dichtungen der Karlssage
nachgebildet. In
Deutschland
[* 7] hat die Karlssage
weniger
Bearbeitung gefunden; die älteste
Dichtung ist das
»Rolandslied« des
Pfaffen
Konrad (vor 1139); eine cyklische Bearbeitung,
die
Karls ganzes
Leben auf
Grund verschiedener älterer
Dichtungen behandelt, ist unter dem
Namen
»Karlmeinet« (hrsg. von A. v.
Keller, Stuttg. 1858; vgl.
Bartsch, Über
Karlmeinet, Nürnb. 1861) bekannt.
Außerdem gehören der »Willehalm« des
Wolfram von Eschenbach, der
»Wilhelm« des
Ulrich von Türheim sowie der spätere des
Ulrich vom Türlin dem karolingischen
Sagenkreis an, und alle schöpfen aus französischen
Quellen. Die französischen gereimten
Dichtungen wurden im 14. Jahrh. in
Prosa aufgelöst zu
Romanen und Romancyklen, die man im 16. Jahrh. wiederum
zu den
Volksbüchern verkürzte, welche die sogen. Bibliothèque bleue ausmachen. Gleicherweise
entstanden um diese Zeit die deutschen, der Karlssage
angehörigen
Erzählungen: »Loher u.
Maller«, »Die vier
Haimonskinder«,
»Fierabras«
u. a., die sich lange in Ansehen erhielten. In der neuern
Dichtung wurden die
Sagen von
Karl d. Gr. erst wieder
durch die
Romantiker lebendig. Nachdem
Dorothea
Schlegel mit ihrer Erneuerung von »Loher und
Maller« vorangegangen war, bemächtigte
sich
Fouqué der als seiner besondern
Domäne und dichtete die
»Romanzen vom
Thal
[* 8] Ronceval« (1808),
das
Schauspiel
»Eginhard und
Emma« (1811) und das Rittergedicht
»Karls d. Gr.
Geburt und Jugendjahre« (1816). Die schönste Erneuerung
gab
Uhland in einer Anzahl seiner
Balladen. In der neuesten Litteratur hielten sich die
Epiker mit Vorliebe an die Karlssage
, so
Pfarrius
in
»Karlmann« (1841),
O. F. Grupvein »Kaiser Karl« (1852),
Simrock in »Bertha die Spinnerin« [* 9] (1853); M. M. v. Weber in »Rolands Gralfahrt« (1852).
Vgl. Paris, [* 10] Histoire poétique de Charlemagne (Par. 1865);
P. Meyer, Recherches sur l'épopée française (das. 1867);
Gautier, Épopées françaises (2. Aufl., das. 1878-80, 3 Bde.).