Karikatur
(v. ital. caricare, ȟberladen,
übertreiben«, franz. charger), Zerr- oder Spottbild, eine charakteristische
Darstellung, in welcher der dargestellte Gegenstand
unverkennbar getroffen ist, einzelne Merkmale aber in Übertreibung hervortreten. In künstlerischer Beziehung hat die Karikatur
gleiches
Recht wie die
¶
mehr
burleske Satire in der Poesie. Der Karikaturist
kann, wie Hogarth, ganze (moralische oder soziale) Gattungen charakterisieren,
wie den Dummen, den Geizigen, den Prahler, den Murrkopf, den Hochmütigen, den Wollüstling, den Spieler etc.; die an verschiedenen
Repräsentanten einer Gattung hervortretenden Merkmale, auf das Abbild eines einzigen Individuums gehäuft, machen dasselbe
zur Karikatur;
umgekehrt wird dagegen das nur an Einem Individuum, sonst nicht wiederkehrende Merkmal, karikiert
aufgefaßt, zum Typus einer ganzen Gattung.
Für die Komödie, wie überhaupt für die poetische Satire, ist die ein notwendiges Element; Kaliban und Falstaff bei Shakespeare,
der Don Quichotte des Cervantes, Tartaglia bei Gozzi, der Buffo in der italienischen Opera buffa sind Karikaturen.
Schon bei den Alten wurde die Karikatur
angewandt. Unter den Italienern zeichneten sich besonders Leonardo da Vinci, unter dessen Namen
noch zahlreiche Zeichnungen karikierter Köpfe in den Sammlungen vorhanden sind, und Annibale Carracci als Karikatur
isten aus,
unter den Franzosen Callot, unter den Engländern Hogarth.
Die politische Karikatur
, eine mächtige Waffe in den Parteikämpfen, ist zuerst in England und Frankreich gepflegt worden, von da
aber auch nach allen übrigen Kulturstaaten gekommen und spielt heute eine bedeutende Rolle, namentlich in den Händen der
Opposition gegen die Staatsgewalt. In England steht der »Punch« allen Karikatur
isten voran, stark hauptsächlich
in der persönlichen Karikatur
, worin sich überhaupt die Engländer hervorthun. Cruikshank ist der bedeutendste auf diesem Gebiet.
In Frankreich waren während der großen und nach der Julirevolution Karikaturen
(der sich selbst guillotinierende Henker, von
Geköpften umgeben, als auf die Schreckenszeit; die »Birne« und der »Regenschirm« als auf das
Bürgerkönigtum) häufig.
Der »Charivari« geißelte Modethorheiten, lächerliche Szenen des geselligen Lebens und des Lebens in der Provinz. Gavarni, Grandville
und Daumier waren damals die Hauptvertreter der französischen in neuerer Zeit Cham und Grévin. Mit der Februarrevolution von 1848 trat
die bis dahin durch strenge Gesetze in Schranken gehaltene persönliche Karikatur
wieder in den Vordergrund. Ihr
verfielen Lamartine, Cavaignac, Ludwig Bonaparte, Proudhon etc. Die ersten deutschen Zerrbilder waren nur Nachdrucke fremder Blätter;
erst zur Zeit des Wiener Kongresses wurde die Karikatur
auch in Deutschland
[* 3] lebendiger.
Besonders war Napoleon I. der Gegenstand derselben. Die Krähwinkeliaden in der Zensurzeit sind von untergeordneter
Bedeutung. In den 30er Jahren regte sich die politische Karikatur
von neuem. Die Reihe der Karikatur
zeitungen eröffnet die Mainzer
»Narrhalla« von Kalisch,
[* 4] ein Blatt
[* 5] voll Witz und Laune, jedoch ohne bedeutende karikierende Illustrationen. Seit 1845 erscheinen
unter Mitwirkung bedeutender Künstler (besonders Hermann Dycks) die Münchener »Fliegenden Blätter«, die
»Düsseldorfer Monatshefte«, die »Leuchtkugeln« als ziemlich harmlose Karikatur
blätter.
Die geistreichsten Karikaturen
seit der Bewegung von 1848 schuf der Berliner
[* 6] »Kladderadatsch«, nach dessen Vorbild bald in allen
großen und größern deutschen Städten Karikatur
blätter und politische Witzblätter entstanden (in Wien
[* 7] der »Figaro«, der
»Floh«). Bleibenden Wert aber haben fast nur die Parlamentskarikaturen
von Banü und die berühmt gewordenen Zeichnungen von Schrödter zu Detmolds Schrift »Thaten und Meinungen des Herrn Piepmeyer,
Abgeordneten zur konstituierenden Nationalversammlung in Frankfurt
[* 8] a. M.« erlangt.
Während
der Konfliktszeit in Preußen
[* 9] nahm die politische Karikatur
, deren Spitze sich vornehmlich gegen Bismarck richtete, einen
neuen Aufschwung, der sich durch die Kriege von 1866 und 1870 noch steigerte. Namentlich gab letzterer
Veranlassung zu einer Hochflut von Karikaturen, die besonders Napoleon III. zum Gegenstand hatten. Eine umfangreiche, alle
Länder umfassende Sammlung derselben befindet sich in der königlichen Bibliothek zu Berlin.
[* 10] Auf dem Gebiet der nichtpolitischen
Karikatur haben sich in Deutschland in den 60er Jahren besonders Herbert König und L. Löffler, neuerdings neben
den Zeichnern der »Fliegenden Blätter« (Harburger, Oberländer, Meggendorfer) besonders W. Busch (s. d. 5) einen Namen gemacht.
Vgl. Flögel, Geschichte des Grotesk-Komischen (Liegn. 1778; neue Ausgabe von Ebeling, Leipz. 1886);
Champfleury, Histoire générale de la caricature (Par. 1865-80, 5 Bde.; Ergänzungsband 1885);
Wright, History of caricature and grotesque (Lond. 1875);
J. ^[John] Grand-Carteret, Les mœurs et la caricature en Allemagne, en Autriche, en Suisse (Par. 1885).