Kalisch
[* 2] (poln. Kalisz), russisch-poln. Gouvernement, erst 1866 gebildet, grenzt im W. u. N. an Preußen, [* 3] im NO. an das Gouvernement Warschau [* 4] und im S. und SO. an Petrokow, 11,373,5 qkm (206,6 QM.); es ist ein vollständiges, nur hier und da von unbedeutenden Hügeln unterbrochenes Flachland. An Flüssen besitzt es zwei größere: die Warthe mit den Nebenflüssen Widawka und Ner, dann die Prosna, welche die Grenze gegen Preußen bildet und bei Pysdry in die Warthe fällt.
Sumpf- und Bruchland findet sich, obwohl in nicht ausgedehnten Flächen, längs der Warthe und des Ner. Das Klima [* 5] ist mild und gesund, der Boden im allgemeinen gut kultiviert, sandig oder lehmig, im N. stellenweise humusreich. Die Ausrodung der Wälder soll ihm Abbruch gethan haben; in der That sind einige Kreise [* 6] fast waldlos, und nur der Kreis [* 7] Wielun hat noch schöne Forsten. Die Bevölkerung, [* 8] (1882) 765,403 Personen, 67 pro QKilometer, ist seit den letzten zehn Jahren in rascher Zunahme begriffen.
Der natürliche Zuwachs der Bevölkerung beträgt 2,3 Proz. jährlich. Nach dem Glaubensbekenntnis überwiegen die Katholiken (80 Proz.); außerdem gibt es Protestanten, Juden und Mohammedaner. Der Ackerbau bildet die Hauptbeschäftigung der Bewohner und befindet sich in verhältnismäßig sehr entwickeltem Zustand. Der Boden ist größtenteils sehr fruchtbar und ernährt selbst in wenig günstigen Jahren die Bevölkerung durchaus. Durch die Emanzipation von 1864 hat sich die Lage der Bauern sehr verbessert; trotzdem schätzt man die besitzlose Landbevölkerung noch immer auf 120,000 Individuen, die sich als Dienstboten und Tagelöhner bei Gutsbesitzern verdingen.
Die Viehzucht [* 9] ist aus Mangel an Weiden nicht sehr entwickelt. Man rechnet ca. 70,000 Pferde [* 10] und 127,000 Stück Hornvieh, doch zeichnet sich der einheimische Pferde- und Viehstand durch nichts aus. Dagegen blüht die Schafzucht; an gewöhnlichen Schafen werden 165,877 Stück, an feinwolligen 44,808 Stück gerechnet. Gewinnbringend ist auch die Zucht von Borstenvieh, von dem es 130,000 Stück geben soll. Der größte Teil dieser Produktion wird nach Deutschland [* 11] verkauft. An Fabriken und industriellen Etablissements existierten 1884: 544 mit 6591 Arbeitern und einer Produktion im Wert von 14,564,000 Rubel.
Unter diesen nehmen die sich mit der Verarbeitung der Rohprodukte der Landwirtschaft beschäftigenden, die Branntweinbrennereien (6,9 Mill. Rub.) und Zuckerfabriken (2,2 Mill. Rub.), den ersten Platz ein. Außer diesen gibt es Fabriken für wollene, baumwollene und halbbaumwollene Waren (47), für Papier und Kartonagen, für Halbporzellan, Steingefäße, Glas- und Kristall, Mühlen, [* 12] Ziegeleien, Gerbereien (46), Seifensiedereien u. a. Mit der Herstellung der wollenen und baumwollenen Gewebe [* 13] befassen sich namentlich die in ziemlich starker Zahl in den Kreisen Sjeradz, Lentschiza und Turek, besonders in den Städten Osorkow, Sdunska, Wola und Turek angesiedelten deutschen Weber. Der Handel, namentlich der Getreide-, Spiritus-, Woll- und Holzhandel, ist fast ausschließlich in den Händen der Juden.
Die Fabrikerzeugnisse werden in größern
Partien aus erster
Hand
[* 14] verkauft. Den Detailhandel vermitteln 260
Jahrmärkte. An
Eisenbahnverbindungen leidet Kalisch
Mangel. Die schon seit
Jahren projektierte
Linie
Breslau-Lodz vermag die
Konzession nicht zu
erhalten. Die Zahl der Unterrichtsanstalten beläuft sich (1883) auf 438, darunter 2 Gymnasien
und 1
Lehrerseminar. 22,370
Schüler, 13,900
Knaben und 8470 Mädchen, besuchten die
Schulen. Kalisch
wird in
acht
Kreise geteilt: Kalisch
,
Kolo,
Konin,
Lentschiza,
Sjeradz, Slupzy,
Turek und
Wielun.
Die gleichnamige Hauptstadt, in einem anmutigen Thal [* 15] an drei Armen der Prosna gelegen, ist Sitz eines römisch-katholischen Bischofs, hat 5 katholische (darunter mehrere mit wertvollen Denkmälern alter Kunst), eine griechisch-russische, eine evang. Kirche, eine Synagoge, ein Gymnasium, ein Lehrerseminar, Theater, [* 16] schöne Promenaden, bedeutende Tuchfabriken und (1882) 18,804 Einw. -
Kalisch
ist eine der ältesten
Städte
Polens; es gilt für das von
Ptolemäos genannte Kalisia im
Lande der Suaven. In der Umgebung
wurden zahlreiche alte
Münzen
[* 17] und andre
Antiquitäten (darunter eine kleine bronzene Athletenfigur griechischen
Ursprungs von hohem Kunstwert) gefunden, und die vielen alten Grabhügel am
Ufer der
Prosna bergen in ihrem Innern wohl noch
manche wertvolle Gegenstände. Geschichtlich denkwürdig ist Kalisch
durch den
Sieg
Augusts des
Starken von
Polen über den schwedischen
General Mardefeld infolge dessen der König
Herr von ganz
Polen ward, sowie in neuerer Zeit
durch einen
Sieg der
Russen über ein französisch-sächsisches
Korps Auch das
Schutz- und Trutzbündnis (der Allianztraktat)
zwischen Rußland und
Preußen vom ward hier abgeschlossen, wie auch der russisch-preußische Aufruf
an die
Deutschen unterm von Kalisch
ausging. Zur
Erinnerung an das 1835 dort gehaltene Lustlager russischer und preußischer
Truppen ist ein Denkmal errichtet. Bei der administrativen Umgestaltung
Polens 1866 wurde Kalisch
von einer Kreisstadt des
Warschauer
Gouvernements zur Hauptstadt des gleichnamigen
Gouvernements erhoben.