Junges
Deutschland, [* 3] der Kreis [* 4] junger Schriftsteller, der mit Beginn der dreißiger Jahre gegen die polit. Reaktion in Deutschland, die herrschende Richtung der Litteratur und die kirchlichen Verhältnisse des Landes litterar. Opposition machte. Die Teilnahme des Volks an der Politik war bis zum Ausgang der zwanziger Jahre sehr gering gewesen. Die Litteratur hatte sich, von den beiden Schlegel, Novalis und Tieck geleitet, zur Romantischen Schule entwickelt und war mit deren Streben, das rein Geistige durch das Sinnliche zu veranschaulichen, in der Erkenntnis eines unheilbaren Zwiespaltes zwischen Ideal und Wirklichkeit, auf Kosten aller Wahrheit der poet.
Lebensanschauung zu ungesunder Überreizung der Phantasie gelangt. Die Kirche stand zum Teil unter der Herrschaft des Jesuitismus, zum Teil unter der der prot. Orthodoxie. Diese Lage der Dinge veranlaßte eine Anzahl talentvoller junger Männer oppositionell mit liberalen Tendenzen hervorzutreten, welche sie dem durch die Julirevolution von 1830 frei gewordenen Socialismus der franz. Belletristik verdankten. Das Streben der jungen Richtung bestand zunächst darin, den Staat und die Kirche vermittelst der «ästhetischen Bildung» neu zu beleben und beide einer freiern Anschauung zugängig zu machen.
Bald wurde die freie Entwicklung des Individuums das höchste Ziel. Staat und Kirche betrachtete man nur noch als Fessel dieser Entwicklung; man nahm, nach Goethes Weltlitteratur, an Stelle des nationalen Gedankens eine reine Humanität an und forderte Emancipation der Juden und der Frauen sowie das Recht der freien Selbstbestimmung des Weibes. In der Aufnahme dieses socialen Princips unterscheidet sich die jungdeutsche Richtung von der romantischen, die auf dem religiösen fußte, und man schrieb nun über die Aufhebung von Staat und Kirche, von Ehe und Vaterland in Romanen und Tendenznovellen, Flugblättern und namentlich ästhetisch-kritischen Raisonnements.
Die jungdeutsche Richtung ist bei ihrer Abhängigkeit von franz. Ideen nicht originell, hat aber das Verdienst, einer neuen polit. Meinung in Deutschland zuerst litterar. Ausdruck verliehen und hierfür eine leichtfaßliche, allgemein verständliche Sprache [* 5] eingeführt zu haben. Ihre Anhänger, die mit Andersdenkenden namentlich durch ihre sittlichen und religiösen Extravaganzen bald in Differenzen gerieten, wurden streng verfolgt. So erklärte der Bundestag zu Frankfurt [* 6] 1835 infolge eines warnenden Artikels Wolfgang Menzels die Schriften von fünf deutschen Schriftstellern: Heine, Laube, Gutzkow, Mundt und Wienbarg, für staatsgefährlich und verbot sie, wie auch sogar die künftigen Werke dieser Männer;
er charakterisierte die gesamte Richtung, der die Genannten angehörten, als eine «litterar. Schule» und nannte dieselbe infolge falscher Auffassung eines von Wienbarg in dessen «Ästhetischen Feldzügen» gebrauchten Ausdrucks Jungdeutschland, hierfür sogar das Bestehen eines revolutionären Vereins annehmend.
Die jungdeutsche Richtung erhielt durch dieses Vorgehen des Bundestags ein Ansehen im Volke, das in keinem Verhältnis zu ihrer geistigen und künstlerischen Bedeutung steht. Die Erbschaft der Jungdeutschen, zu denen sich noch H. Marggraff, E. Willkomm, G. Kühne und A. Jung gesellt hatten, übernahmen auf strengern Principien 1838 die Junghegelianer unter Führung von Rüge und Echtermeyer.
Vgl. Wehl, Das J. D. (Hamb. 1886);
Brandes, Die Litteratur des 19. Jahrh., Bd. 6: Das J. D. (Lpz. 1891);
Proelß, Das J. D. (Stuttg. 1892).
Der Name Jungdeutschland ist seit 1834 auch auf rein polit. Gebiet gebräuchlich geworden und bezeichnet hier, ebenso wie die analogen Benennungen Junges Polen, Junges Italien u. s. w., jede polit. Verbindung mit revolutionärer Tendenz als Verzweigung des sog. Jungen Europas (s. d.).