Titel
Jesus
Christus, der Stifter der christlichen Religion. Der Doppelname beruht auf einer erstmalig bei Paulus begegnenden Kombination des Personennamens (Jeschua, später verkürzte Form für Jehoschua, Josua, »Gott hilft«) mit dem Amtsnamen Christus. Die Kombination selbst aber beruht auf dem Urteil, welches das älteste Bekenntnis der christlichen Gemeinde darstellt: »Jesus ist der Christus«, d. h. in dieser bestimmten Persönlichkeit haben sich die messianischen Weissagungen und Hoffnungen erfüllt.
Die Idee vom Messias (s. d.) selbst aber ist das ausschließliche Eigentum und Erbe des jüdischen Volkes gewesen. Während die Mythologie andrer Völker die sozialen und politischen Ideale in Gestalt eines goldenen Zeitalters an den Anfang der Geschichte verlegt, überträgt der seiner menschheitlichen Mission sich bewußte monotheistische Gottesglaube Israels dieselben in die letzte Zukunft, von der Vergangenheit, insonderheit der Davidschen, nur das phantasiemäßige Kolorit entlehnend.
Ein neuer David, welcher die vom alten Gotteshelden ins Werk gesetzte Herrschaft des auserwählten Volkes über die Völker der Erde vollenden und den Dienst des Einen Gottes zur Weltreligion erheben sollte, wurde in demselben Maß mit glühender Sehnsucht erhofft und erbeten, wie die äußern Verhältnisse des jüdischen Staats immer ärmlicher und kläglicher, der Abstand zwischen dem, was die Vergangenheit versprochen, und dem, was die Gegenwart gehalten hatte, immer weiter und trostloser wurde. Seit den Tagen des Exils hatte das jüdische Volk nacheinander persische,
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ägyptisch-ptolemäische und syrisch-seleukidische Knechtschaft gekostet, und den glorreichen Jahren der Makkabäischen Erhebung und hasmonäisch-nationalen Herrschaft war rasch das Zwangsregiment der idumäischen Herodes-Dynastie gefolgt, welche selbst wieder von der Gnade der Römer lebte. Seit dem Jahr 7 unsrer Zeitrechnung war das eigentliche Judäa sogar dem römischen Universalstaat direkt einverleibt worden, während die übrigen Teile Palästinas vorläufig noch den Söhnen Herodes' d. Gr. (s. d.) unterworfen blieben. Aber in demselben Augenblick, als die Einführung des römischen Zensus dem Volk zum erstenmal seine nunmehr unabwendbar gewordene Abhängigkeit von der erdrückenden heidnischen Weltmacht fühlbar machte, brach auch die Empörung des religiösen und nationalen Bewußtseins der Juden in lichten Flammen aus. In jene Tage des Galiläers Judas (s. d. 4) verlegt die spätere Sage der Christengemeinde die Geburt des Stifters (Luk. 2, 1. ff.), während mit ungleich mehr Wahrscheinlichkeit eine frühere Erzählung die letzten Jahre der Regierung des Herodes, etwa das J. 6 vor unsrer Zeitrechnung, dafür ansetzt (Matth. 2, 1. ff.; Luk. 1, 5). Beide Formen der Geburtsgeschichte, wie sie jetzt in den beiden ersten Kapiteln der nach Matthäus und nach Lukas genannten Evangelien vorliegen, schließen sich gegenseitig in allen Stücken aus, mit Ausnahme zweier Punkte, auf denen das dogmatische Interesse, welches beiden gemeinsam zu Grunde liegt, durchschlägt.
Während nämlich Jesus aus dem galiläischen Städtchen Nazareth oder Nazara stammte (Matth 13, 54-57;. 21, 11), daher er auch im Leben wie im Tod immer »Jesus von Nazareth« heißt, wie er als bloßer Einwanderer nicht hätte heißen können, mußte er wegen des Micha 5, 1 (vgl. Matth. 2, 5). angegebenen Kennzeichens der Messianität aus Bethlehem in Judäa sein. Um nun aber zu zeigen, daß er hier geboren sei, läßt die Geburtssage bei Matthäus seine Familie, die von alters her in der Davidsstadt Bethlehem wohnte, sich vor den Herodäern zuerst nach Ägypten, dann nach Galiläa flüchten, während die spätere Form bei Lukas zwar von der richtigen Voraussetzung ausgeht, die Eltern Jesu hätten in Nazareth gewohnt, dieselben aber vermöge eines äußerst künstlichen Apparats, wobei auch der oben angeführte Zensus eine Rolle spielt, vorübergehend und gerade so lange nach Bethlehem versetzt, als nötig war, um das Jesuskind dort geboren werden zu lassen.
Der zweite Punkt der Übereinstimmung betrifft die sogen. vaterlose Erzeugung, die jungfräuliche Geburt Jesu. Während die beiden Geschlechtsregister (Matth. 1, 1-17;. Luk. 3, 23-38). ursprünglich auf der Voraussetzung der Vaterschaft des Joseph beruhen, während Matthäus unbefangen von Jesu Vater, Mutter, Brüdern, Schwestern (12, 46; 13, 55. 56), Lukas von seinen Eltern redet (2, 27. 33. 41. 43. 48), während Markus überhaupt von einer Geburtsgeschichte schweigt, Jesu Mutter und Brüder aber als auf die besondere Rolle, die er später aufnimmt, auch nicht im geringsten vorbereitet darstellt (3, 21. 31), wird Matth. 1, 18-25. die vaterlose Erzeugung in legendarischer Form eingeführt und findet sich Luk. 1, 35. eine förmliche Theorie derselben.
Ohne Zweifel hätte der jüdische Gottesbegriff derartigen mythologisierenden Gedankengängen erfolgreichern Widerstand entgegengesetzt, wenn nicht gleichzeitig das Christentum schon in heidnischen Kreisen weitgehende Eroberungen gemacht und entsprechende Vorstellungsformen adoptiert hätte. Innerhalb des Judentums nämlich hieß zunächst Israel als auserwähltes Volk der Sohn Gottes (2. Mos. 4, 23;. Jer. 31, 9). Wie nun aber der Messias persönlich dasjenige ist, was das ganze Volk sein sollte, so heißt auch er, mit Bezug auf Psalm 2, 7,. »Sohn Gottes«, und in diesem messianischen Sinn ist die Bezeichnung immer gefaßt, wo sie bei Matthäus und Markus Jesu dargeboten, von ihm acceptiert oder gar selbst in Gebrauch genommen wird. Die griechisch-römische Welt dagegen wußte von Gottessöhnen in handgreiflicherem Sinn; sie fand solche nicht bloß in den Heroen des Mythus, sondern sogar in geschichtlichen Persönlichkeiten, wie Pythagoras, Platon, Alexander, Augustus. Das Christentum hat solchen Vorstellungen mindestens die grobsinnlichen Elemente abgestreift, daher die Gotteskraft des Heiligen Geistes (s. d.) als Vermittelung der Zeugung aufgefaßt.
Dieselbe dogmatisch-mythische Bearbeitung und Darstellung des Lebens Jesu, welche solchergestalt in den beiden Geburtsgeschichten des Matthäus und Lukas noch mit Händen zu greifen ist, beeinflußt übrigens bis zu einem gewissen Grad auch diejenigen Teile der Lebensgeschichte Jesu, deren irdische Wirklichkeit noch durch die Hülle einer von alttestamentlichen Erinnerungen und messianischer Dogmatik bedingten, halb poetischen Darstellungsform deutlichst zu erkennen ist.
Zugestandenermaßen stehen der geschichtlichen Wirklichkeit am nächsten die Evangelien des Markus und des Matthäus, namentlich in allen denjenigen Berichten, bezüglich welcher Übereinstimmung unter ihnen herrscht, so daß sich die neuern kritischen Darstellungen des Lebens Jesu in der Regel nur durch ein Übergewicht der Bevorzugung, die dem einen oder dem andern der beiden genannten Evangelisten zu teil wird, zu unterscheiden pflegen. Noch größere Übereinstimmung herrscht in einer von theologischem Vorurteil und dogmatisch-apologetischer Tendenz emanzipierten Wissenschaft hinsichtlich des dritten und des vierten, d. h. der spätern Evangelien.
Dasjenige des Lukas hält sich zwar noch im allgemeinen an den synoptischen Stoff, behandelt ihn aber im einzelnen schon vom Standpunkt einer höhern, insonderheit der Paulinischen, Christuslehre, während das vierte, nach Johannes genannte Werk gleich mit der Spekulation über das übersinnliche, göttliche Wesen Jesu beginnt, von vornherein weniger Geschichte als Theologie in Aussicht stellt und den ganzen Rahmen der ältern Form der Berichterstattung auf allen Punkten durchbricht (s. Evangelium). So ist es z. B. erst Folge dieser Johanneischen Umgestaltung und Erneuerung, welche die ältern Elemente der Sage erlitten haben, wenn die Zeitdauer der öffentlichen Wirksamkeit Jesu auf etwas mehr oder weniger als drei Jahre geschätzt wird. So lange hätte er sich, zumal als erklärter Messias, der Hochflut der hierarchisch-pharisäischen Opposition und der rücksichtslosen Praxis der römischen Polizei gegenüber schwerlich halten können.
Dem ältern synoptischen Bericht zufolge hat Jesus die messianische Fahne erst am Tag seines Einzugs in Jerusalem offen und vor allem Volk entfaltet, um sie etwa eine Woche über aufrecht zu halten, während seine öffentliche Wirksamkeit denselben Quellen zufolge etwa von einer Osterzeit zur andern reichte; sein erstes Auftreten fällt wahrscheinlich in den Anfang des Jahrs 34 unsrer Zeitrechnung, sein Tod in den April 35; die neuern Forschungen weisen allerdings ein Schwanken innerhalb des Zeitraums von 34-36 auf. Maßgebend bleibt die schon in der Mitte des 2. Jahrh. nachweisbare und dann hartnäckig, trotz der glänzenden Autorität des vierten Evangeliums, Jahrhunderte
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hindurch festgehaltene und z. B. von Julius Africanus vertretene Überlieferung der Kirche, wonach Jesus ein volles Jahr oder auch ein Jahr und etliche Monate öffentlich gewirkt hätte.
Auch die äußern Umrisse dieses öffentlichen Auftretens lassen sich noch mit hinreichender Bestimmtheit feststellen, während sie zugleich ausreichende Anhaltspunkte ergeben zur richtigen Beurteilung des geistigen Bildes, in welchem sich die alttestamentliche und jüdische Messiasidee auf dem Grunde des religiösen und sittlichen Bewußtseins Jesu abzeichnete. Charakteristisch ist gleich der Anfang und Anlaß der öffentlichen Laufbahn. Während von den Tagen jenes Galiläers Judas bis zu den Zeiten des erklärten Messias Bar-Kochba (s. d.) unter Hadrian, also im Laufe von 4-5 Menschenaltern, die messianische Idee sich, soweit sie ihre Spuren auf dem breiten Fahrwasser des jüdischen Volkslebens zurückließ, fast ganz nur als ein politisches, stetig auf Rebellion gegen Rom hinarbeitendes, darum auch nur verhängnisvoll wirksames Ferment des nationalen Bewußtseins erwiesen hat, ist Jesus nicht etwa erst später, als er das Wort vom Zinsgroschen sprach, gänzlich aus diesen Geleisen herausgetreten, sondern war denselben entwachsen, seitdem der erste zündende Funke in seine Seele gefallen.
Die Stimme, die ihn aus der Stille und Zurückgezogenheit des bis in sein gereiftes Mannesalter zu Nazareth geübten Zimmermannshandwerks (Mark. 6, 3). auf den öffentlichen Schauplatz rief, war »die Stimme eines Predigers in der Wüste«, es war die gewaltige Bewegung, welche ein Mann hervorgerufen hatte, der sich bewußt war, unmittelbar an der Schwelle des messianischen Zeitalters zu stehen, der aber zugleich dieses bevorstehende Reich auf lauter Vorbedingungen rein sittlicher Art gründen wollte.
Dies war Johannes der Täufer (s. d.). Was man auch bezüglich der Einflüsse, die, sei es von essäischer, sei es von pharisäischer Seite her, auf Jesus erfolgt wären, vermutet hat, mit Sicherheit läßt sich, abgesehen von den Bildungselementen, welche dem heranwachsenden Sohne Nazareths der Verkehr mit den Lehrern der Synagoge und die eigne selbständige Lektüre des Alten Testaments lieferten, nur noch reden von dem tiefgehenden, lange nachwirkenden Eindruck, den die Gestalt des Wüstenpredigers auf ihn gemacht hat, der da kein Rohr war, im Wind hin- und herbewegt, kein Mann in weichen Kleidern, wie sie in den Häusern der Könige eine entsprechende Moral predigen, aber ein Prophet und mehr als ein Prophet (Matth. 11, 7. ff.). Und doch wußte sich Jesus in dem Moment, als er dieses Wort über den Täufer gesprochen hat, auch schon innerlich von ihm geschieden.
Zwar gehörte auch er zu den Zahllosen, die dem Aufruf des Täufers Folge geleistet und am Jordan die Taufe empfangen hatten; ja, auch er hat anfangs nur dieselbe Rede geführt wie der Täufer: »Nahe ist das Himmelreich«; aber dieses sein »Himmelreich« war doch ein andres als jenes gut alttestamentliche Königtum Gottes, wie es im Anschluß an die Reden der Propheten eben noch ihr letzter und größter verkündigt hatte (Matth. 11, 11). Bezeichnend für die sittliche Vertiefung, die Jesus dem Begriff des messianischen Reichs gab, sind vielmehr jene Seligpreisungen, womit die Bergpredigt beginnt.
Wenn hier die Nichtshabenden gepriesen werden, die doch alles haben;
die nach der Gerechtigkeit Hungernden und Durstenden, weil sie satt werden sollen;
die reinen Herzens sind, weil sie Gott schauen;
die Friedensstifter, weil sie Gottes Kinder heißen werden (Matth. 5, 3. ff.): so spricht sich in alledem ein vom reinsten und tiefsten Gefühl aller drückenden Widersprüche des zeitlichen Daseins getragenes Bewußtsein aus, aber auch ein Bewußtsein, welches in demselben Augenblick, da es seine Schranken anerkennt, schon über dieselben erhaben ist und sich sammelt im seligen Gefühl der Einheit der eignen Lebenszwecke mit dem seiner Erfüllung allein ganz sichern Zweck Gottes. In nichts anderm aber besteht das eigentliche Wesen der Religion (s. d.).
Während also nach der im Judentum herrschenden Weltanschauung vornehmlich Siege über die Feinde, Herrschaft über alle Heiden und ein glänzendes Genußleben zu den Merkmalen der dem ganzen Volk als Lohn für seine Gesetzestreue in Aussicht gestellten messianischen Herrlichkeiten gehören, bieten dafür die von der Reichspredigt Jesu angeschlagenen Töne eine Reihe von wechselnden Ausdrücken für das in ihm mächtig pulsierende und ihn ganz ausfüllende Leben der Religion selbst.
Was aber so in der unmittelbaren Erfahrung einer unvergleichlich intensiv arbeitenden, aufnehmenden und ausgebenden religiösen Natur mit Einem Schlage gesetzt ist, das selige Gefühl unverkümmerter Einheit mit sich selbst, mit Gott und mit seiner Schöpfung, das legt sich für die nach Ausdruck ringende Vorstellung in einer Zweiheit von religiösen Begriffen auseinander, zu deren Bezeichnung die Namen »Vater« und »Sohn« dienen. Der Name »Vater«, im Alten Testament nur vereinzelt und wie zufällig einigemal anklingend, ist in der Verkündigung Jesu zum eigentlich begriffbestimmenden Namen Gottes geworden, wie denn auch in den urchristlichen Gemeinden Jesu Gebetsruf »Abba« widertönte und die Apostel stetig grüßen »vom Vatergott und seinem Sohn J.« Nennt sich dem entsprechend Jesus selbst aber den »Sohn«, so geschieht solches wenigstens in den synoptischen Evangelien noch ganz im Zusammenhang und unter Voraussetzung derselben Weltanschauung, der zufolge auch in der Bergpredigt gerade die »Söhne Gottes« heißen, welche dasjenige auf dem Weg zeitlicher Entwickelung und sittlichen Wachstums zu werden im Begriff sind, was der über alles Zeitliche erhabene Gott im Himmel ewig ist, der auch ebendeshalb, weil er immer ist, was Menschen jederzeit nur werden sollen, »Vater« heißt (Matth. 5, 9. 45. 48). Indem nun Jesus den jüdischen Messiasbegriff in der Richtung vertiefte, daß daraus der Sohn wurde, welcher allein den Vater erkannt und der Welt geoffenbart hat (Matth. 11, 27),. also der Schöpfer des wahren Gottesbewußtseins ist, war er sich wohl bewußt, in einen unversöhnlichen Widerspruch mit den glänzenden Messiasträumen seines Volkes zu treten. Es ist daher nicht zufällig geschehen, wenn er im Anfang seiner Reichspredigt überhaupt mit Enthüllungen über seine eigne Person zurückhielt.
Was er predigte während der ersten glücklichen Wochen und Monate des »galiläischen Frühlings«, das ist die Kunde vom Reiche Gottes, welches nahe, ja welches schon dasei. Mit inbrünstiger Wonne kündigt er der Welt den Vater an, dessen ewige Liebesherrlichkeit ihm die Lilien auf der Flur und die goldene Saat auf den Feldern, wovon die »Gleichnisse« sprechen, noch mehr aber freilich die innere Harmonie des eigensten persönlichen Lebens offenbarte, kraft derer er der vollen Strömung göttlichen Lebens im menschlichen erfahrungsmäßig gewiß geworden war. Sofort sehen wir solche, die glauben oder gern glauben möchten an sein Wort, ihm begierig folgen; verehrende und dienende Frauen sitzen zu seinen Füßen, ja selbst Heilungen gehen von der Gesundkraft seines Wesens aus, und wunderhafte
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Wohlthaten werden erlebt, wo sein Wort empfänglichen Boden findet. Wenn gerade solche Vorkommnisse von der Berichterstattung mit Vorliebe erfaßt und je länger, desto sagenhafter durchgebildet werden, so ist doch nicht zu übersehen, daß derselbe wundersüchtige Trieb schon im geschichtlichen Leben Jesu selbst wirksam war und bald nach dem ersten Auftreten Jesu ihm trotz seiner abweisenden Erklärung (Matth. 16, 4;. Mark. 8, 12). selbst fortwährend neuere und größere Wunder ab- und ansah, zumutete und aufdrang (s. Evangelium).
Was aber die geschichtliche Beurteilung dieser Elemente im Leben Jesu betrifft, so ist alles gesagt, wenn man liest, daß solche »Wunder« geschahen, selbst ohne daß Jesus sie beabsichtigte (Mark. 5, 25. f.); daß er selbst in solchem Fall ebenso bescheiden wie wahr spricht: »Dein Glaube hat dir geholfen« (Mark. 5, 34);.
daß dagegen, wo er keinen Glauben fand, auch die Erfolge ausblieben, zum Teil zu seiner eignen Verwunderung (Mark. 6, 5. 6).
Er selbst hatte es auf eine Wirksamkeit durch das Wort abgesehen, das »Zeichen des Propheten Jonas«, welches hingereicht hatte, die Niniviten zur Umkehr zu bewegen. »Gottesreich, Vater und Menschensohn« - um das Dreigestirn dieser Grundbegriffe bewegte sich fortwährend der Himmel seiner religiösen Gedankenwelt. Daß er dabei, um sein persönliches Sohnsbewußtsein zum Ausdruck zu bringen, gerade den dunkeln und vielgedeuteten Ausdruck »Menschensohn« (s. d.) wählte, beruht natürlich keineswegs auf einer Unterscheidung, welche er selbst etwa im Sinn der Kirchenlehre zwischen seiner menschlichen und seiner göttlichen Natur getroffen hätte, sondern der gewählte Ausdruck deutet irgendwie die menschheitliche Wendung an, welche der jüdisch-partikularistische Messiasbegriff in seinem Mund annehmen sollte. Im Sinn des wahrhaft menschheitlichen Elements, welches er z. B. Mark. 2, 28,. wo er als Vertreter aller Rechte und Würde des Menschen erscheint, betont, faßte er seine Messianität auf, ohne dieselbe darüber im geringsten abzulösen von dem volkstümlichen Lebensgrund der alttestamentlichen und jüdischen Vorstellungswelt, welche vielmehr so sehr auch den Rahmen seiner eignen Vorstellungen bildete, daß er die Tragweite seiner eignen Wirksamkeit sowie diejenige seiner Jünger zunächst nicht über die Grenzen des Volkes Israel ausgedehnt dachte (Matth. 10, 5. 6. 23; 15, 24).
Die Anerkennung, daß das messianische Heil unmittelbar auch für die Heiden bestimmt sein könne, ist nachweisbar von ihm selbst erst mit Deutlichkeit ausgesprochen worden beim Abschied aus Galiläa (Luk. 13, 25-30). und in Jerusalem (Matth. 21, 41. 43). Während der ersten galiläischen Zeit dagegen ist Jesus ganz der echte Sohn seines Volkes, und die im Munde des letztern gebräuchlichen Bezeichnungen der Heiden sind auch ihm selbst nicht fremd geblieben (Matth. 7, 6;. 15, 26); auch die weltbürgerlichen Ideen, welche damals durch die Welt gingen, übten keinen nachweisbaren Einfluß auf ihn aus, das römische Staatsleben sowenig wie die griechische Wissenschaft.
Erst als der Himmel über seinem galiläischen Paradies anfing, trüber zu werden, als die dunkeln Wolkenschatten der pharisäischen Opposition und hierarchischen Verfolgungssucht darüber hinliefen und auch der Volksanhang anfing, seinen jederzeit zweifelhaften Charakter zu offenbaren, verändert sich allmählich die Stellung Jesu. Zwei Reiseunternehmungen, die Jesus von Kapernaum, seinem gewöhnlichen Aufenthalt, nach Osten und nach Westen unternahm, fanden ein unerwartet rasches Ende, indem die Bewohner des östlichen Seeufers sich seine Anwesenheit verbaten, die Einwohner von Nazareth dagegen, denen er als treuer Mitbürger die Zeichen der Zeit zu deuten sich verpflichtet glaubte, an der ihnen wohlbekannten niedern Herkunft und den das Gewöhnliche nicht übersteigenden Eindrücken, die sie aus seiner Jugend und von seiner Familie bewahrt hatten, Anstoß nahmen. Es begannen die Enttäuschungen, die feindlichen Zusammenstöße, die Rückzüge, wie wir denn in der That Jesum von jetzt an weniger ständig in Kapernaum, öfters dagegen am einsamen Nordufer des Sees, auch wohl in der am Einfluß des Jordans in den See gelegenen Stadt Bethsaida finden.
Die Opposition der eigentlichen Führer des Volkes, der pharisäischen Schriftgelehrten und Synagogenvorstände, hatte er hauptsächlich dadurch hervorgerufen, daß er im Sinn einer freien und gesunden, von innen kommenden Sittlichkeit sich über den ganzen unabsehbaren Kranz von Satzungen und Observanzen hinwegsetzte, mit welchen sie das Leben des Menschen auf Schritt und Tritt umgeben und zum mühseligsten Werkdienst herabgewürdigt hatten; daß er ferner trotz aller in der Sache nie verleugneten Pietät gegen das mosaische Gesetz doch dieselbe Kritik unbefangen auch an der gesamten Außenseite desselben übte und namentlich in dem Bewußtsein, daß nicht der Sabbat, sondern der Mensch Selbstzweck sei (Mark. 2, 27),. sich freien Geistes von aller Qual und Knechtung lossprach, welche die altheilige, im Lauf der Jahrhunderte nur immer peinlicher gewordene Sabbatsitte mit sich führte; daß er endlich die ganze Art von Sittlichkeit, womit die Pharisäer durch äußerliche Befolgung zahlloser kleinlicher Gebote und Verbote das Heil des messianischen Regiments für das Volk und das ewige Leben für den Einzelnen dem Himmel abzuringen und abzuzwingen gedachten, als ein ungenießbares, mühsames Gebräu, als ebenso fadenscheinigen wie hochmütigen und prunkenden Werkdienst, als einen durchaus zerfetzten und überall durchlöcherten Tugendmantel kennzeichnete, dem gegenüber er sogar die traurige Blöße des seiner Schuld bewußten und nach Vergebung seufzenden, aber auch seinerseits zur Vergebung geneigten Sünders als kostbar und vor Gott wertgehalten bezeichnete. »Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid!« Und das »leichte Joch«, das er ihnen anstatt des schweren auflegen will, besteht nicht etwa in einer neuen, verbesserten Auflage des Gesetzes, sondern in der Aneignung des sittlich-religiösen Gehalts seines ganz in der Richtung auf das Reich Gottes aufgehenden Lebens: »Lernet von mir«.
Je länger, desto vernehmbarer machen sich daher die Anklagen auf Zöllner- und Sünderfreundschaft, auf Entweihung des Sabbats, auf Bruch der überlieferten Satzungen, aus Widerspruch gegen das Gesetz geltend; es kommt in der Landschaft Genezareth, der eigentlichen Stätte seines bisherigen Wirkens, zu einigen herben Konflikten, infolge deren Jesus endlich im Spätherbst diese Zentralstätte seines Schaffens ganz aufgibt und den Winter über auf Fluchtwegen zubringt, die ihn bald westlich in das Gebiet der heidnischen Städte Tyros und Sidon, bald östlich in die Dekapolis, zuletzt auch nördlich an die Quellen des Kleinen Jordans, in die Nähe der glänzenden Stadt Cäsarea Philippi, führen. Hier richtete er, der bisher fast nur von seinem Werk und Reich, kaum je von seiner Person gesprochen hatte, die entscheidende Frage an den Kreis der Zwölf, die ihm treu geblieben und bis dahin gefolgt waren, und jetzt entrang sich dem Munde des Sprechers derselben, des
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galiläischen Fischers Simon, genannt Petrus, das richtige, von Jesus selbst herausgeforderte Wort und Bekenntnis, wonach sie in ihrem Meister niemand anders als den Messias selbst gefunden zu haben überzeugt waren.
Einstweilen war aber auch in der Seele Jesu eine neue Errungenschaft gemacht worden. Dem thatsächlich sich steigernden Unglauben des lauter Enttäuschungen bereitenden jüdischen Volkes war verheißend das religiöse Bedürfnis und manche erfahrene Empfänglichkeit der Heidenwelt gegenübergetreten; Samaritaner bewiesen mehr sittlichen Gehalt als Juden, der Hauptmann von Kapernaum, das kananäische Weib zeigten mehr Glaubenskraft, als er in Israel je gesehen hatte.
Jesus staunte, und in seinem Geist wurden um so lichter einzelne prophetische Worte, die ihm einen Beruf antrugen, welcher auch »die Heiden bringen sollte zu Gottes heiligem Berg«. Sein Geist rang sich los von den nationalen Schranken, wenngleich die Thränen, beim Anblick Jerusalems vergossen, beweisen, wie wenig leichten Herzens er das Gericht über sein Volk vollzog. Aber auch noch in einer andern Beziehung war es nicht mehr der alttestamentliche und nationale Messias, welcher bei Cäsarea Philippi aus der rätselhaften Hülle des »Menschensohns« ans Licht trat.
Bereits damals stand der Todesentschluß fest, welcher daher auch dem aufsteigenden Messiasjubel der Jünger sofort als Dämpfer entgegengesetzt wird (Mark. 8, 29-31). Jesus hatte verzichtet auf zeitlichen Erfolg. Die Tausende, die ihm noch immer zuströmten, die seine Worte und Thaten nach allen Winden ausbreiteten, waren doch wieder Landsleute und Geistesverwandte jener Nazarethaner, unter welchen er eine der bittersten Erfahrungen seines Lebens gemacht hatte; sie waren nur die regbarsten Teile des sittlich rohen und harten Stoffes, woraus das ganze Volk gebildet war. Je länger, desto deutlicher trat an den Tag, daß das Volk in seiner überwiegenden Mehrheit sich nicht von der herrschenden Partei zu lösen vermochte, offen auf die Seite des Angreifenden sich zu schlagen nicht wagte, und so wurde denn in dieser letzten galiläischen Zeit der Gegensatz gegen die Farbenglut der nationalen Messiasträume in der That siegreich und bis dahin durchgekämpft, daß der Träger des neuen, des sittlichen Messiastums, anstatt über die Höhen der Erde im Sturmschritt überwältigender Erfolge zu wandeln, vielmehr als demütiger und armer Diener der Menschheit das Kreuz derselben zu schleppen und, erliegend unter der Last der heraufbeschwornen Feindschaft, an Einem Marterpfahl mit dem geringsten und zertretensten ihrer Glieder zu enden entschlossen war.
Den Glauben an den gleichwohl im letzten Hintergrund stehenden, von und in Gott selbst verbürgten Sieg seiner Person und Sache, den Glauben an das »Reich Gottes« (s. d.) und seine Realisierbarkeit, rettete er, indem von nun an sich steigernde Weissagungen, in kühnster Bildlichkeit gehalten, eine glänzende Wiederkunft in Herrlichkeit in baldige, von Freunden und Feinden zu erlebende Nähe stellten. Dieser Glaube an die Wiederkunft in Herrlichkeit war somit die Form, in welcher der Widerspruch, an dem sein Messiastum zu scheitern schien, nämlich der Gegensatz des wirklichen Geschicks zu den messianischen Erwartungen und dem ganzen Gottesglauben des Volkes, sich wie für die älteste Gemeinde, so ohne Zweifel auch, falls nicht eine ganze Menge von Christussprüchen für unecht erklärt werden soll, für den Stifter derselben selbst ausgeglichen und ausgelöst hat.
Die lichte Zukunft im Auge, hat Jesus die Katastrophe seines äußern irdischen Geschicks selbst heraufbeschworen. Denn wenn er nach längerm unsteten Aufenthalt im Norden Galiläas, nach allen Erfahrungen, welche er über die Aufnahme seiner Reichspredigt beim Volk und über den Widerstand gegen sie bei den Gegnern gemacht hatte, den Entschluß faßte, vom Nordende seines Wirkungskreises aus in direktem Weg nach Süden Judäa und Jerusalem aufzusuchen, in der Hauptstadt selbst, am Sitz der Machthaber, zu erscheinen, zu deren herrschendem System seine ganze bisherige Wirksamkeit in dem entschiedensten Gegensatz stand, so kann dieser so folgenreiche Schritt nur aus der Überzeugung von der Notwendigkeit hervorgegangen sein, daß seine zur Entscheidung reife, nicht länger in der Schwebe zu haltende Sache nunmehr sich auch wirklich entscheiden müsse.
Als der Frühling wieder nahte, sehen wir ihn den letzten Abschied von Galiläa nehmen, bald darauf inmitten der Passahpilger in Jerusalem einziehen und bei dieser Gelegenheit die erste und letzte, ganz unmißverständliche messianische Demonstration wagen, ja sogar im Tempelvorhof selbst thätlich gegen die Praxis der bestehenden Autoritäten vorgehen. Die Katastrophe folgte fast auf dem Fuß nach, und schon die Sonne des ersten großen Festtags der Osterwoche sah auf das Kreuz herab.
Jesus starb unter Vorangehen der kaltblütigen und grausamen sadduzäischen Priesterpartei, welche in ihm, dem Messias, zugleich die volkstümlichen, übrigens auch pharisäischen Reichsgedanken und Zukunftsschwärmereien treffen wollte und dabei den Vorteil hatte, von der pharisäischen Demagogie selbst thatkräftig unterstützt zu werden. Am letzten Abend vor seiner Verhaftung und Hinrichtung war er noch einmal mit dem engern Jüngerkreis allein, und hier war es, daß er in der unendlichen Ergriffenheit des Moments das letzte Mahl hielt, eine fortan zu seinem und des Opfers seines Lebens Gedächtnis festzuhaltende Liebes- und Opfermahlzeit, deren Gäste die errungene Gemeinschaft mit Gott, die Kindesstellung dem Vater gegenüber, die Vollendung des neuen Bundes der Gnade bis ans Ende der Tage fortfeiern sollten. Das Weitere s. Christentum und Christologie.
Litteratur.
Die Litteratur über das Leben Jesu ist seit 60 Jahren in steigendem Wachstum begriffen, schon an sich ein Zeichen einer Krisis, welche über das christliche Bewußtsein der Gegenwart hereingebrochen ist. Auf dem Standpunkt des ältern Rationalismus steht Paulus (»Das Leben Jesu als Grundlage einer reinen Geschichte des Urchristentums«, Heidelberg 1828, 2 Bde.); ästhetisch-rationalistische Gesichtspunkte befolgt Hase (»Das Leben Jesu, für akademische Vorlesungen«, 5. Aufl., Leipz. 1865; »Geschichte Jesu«, das. 1876). Die kritische Richtung konsequent verfolgend, hat Strauß (»Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet«, Tübing. 1835-36, 2 Bde.; 4. Aufl. 1840; für das deutsche Volk bearbeitet, Leipz. 1864; 4. Aufl. 1877) in scharfsinniger Polemik sowohl gegen die übernatürlichen Annahmen des Supernaturalismus als gegen die natürlichen Auslegungen des Rationalismus den faktischen Inhalt der Evangelien als Mythus aufgefaßt, in dessen vergrößerndem, durch alttestamentliche Vorbilder und messianische Erwartungen gebildetem Reflex nur wenige einfache Linien der geschichtlichen Wahrheit noch zu erkennen seien. Gleichzeitig mit Strauß hat Weiße (»Die evangelische Geschichte, kritisch und philosophisch bearbeitet«, Leipz. 1838, 2 Bde.), von der Echtheit und Vorzüglichkeit des
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Markus-Evangeliums ausgehend, mit origineller und geistreicher Kritik in der evangelischen Geschichte historische und unhistorische Bestandteile zu scheiden versucht, und Gfrörer (»Geschichte des Urchristentums«, Stuttg. 1838, 5 Bde.) wollte zeigen, wie das Christentum auf dem Boden des vom Talmud aus zu erkennenden Judentums aufgewachsen sei. Neuere, durch die Straußsche Kritik hervorgerufene und sie mit mehr oder weniger Erfolg bekämpfende Bearbeitungen des Lebens Jesu sind von Neander (Hamb. 1837, 5. Aufl. 1852), Krabbe (das. 1839), Kuhn (Mainz 1838, Bd. 1), J. ^[Julius] Hartmann (Stuttg. 1837-39, 2 Bde.), Theile (Leipz. 1837), J. P. ^[Johann Peter] Lange (Heidelb. 1844-1847, 3 Bde.), Ammon (Leipz. 1842-47, 3 Bde.), Friedlieb (Bresl. 1855, 2. Aufl. 1886), Riggenbach (Basel 1858), Baumgarten (Braunschw. 1859).
Vgl. Strauß, Streitschriften zur Verteidigung meiner Schrift über das Leben Jesu und zur Charakteristik der gegenwärtigen Theologie (Tübing. 1837, 3 Hefte).
Ein ähnliches Aufsehen wie Strauß in Deutschland erregte in Frankreich das Werk von Renan: »Vie de Jésus« (Par. 1863), welches in kurzer Zeit in viele Sprachen übertragen wurde. Renan hat darin bei mehr geistreicher als methodisch-korrekter Quellenbenutzung und phantasiereicher Ausschmückung das Leben Jesu auf reizendstem landschaftlichen Hintergrund gezeichnet als Bild eines liebenswürdigen und heitern Propheten, welcher, einmal in Gegensatz zu Pharisäern und Priestern getreten und zum Fortgehen auf dieser Bahn gedrängt, zum Schwärmer wird und sich allmählich darin gefällt, den mit der Wundergabe ausgerüsteten Messias zu spielen, bis er diesen Genuß mit dem Tod büßt.
Von den zahllosen Streitschriften wider das Renansche Werk heben wir nur hervor die französischen, wissenschaftlich auf freiestem Standpunkt stehenden Kundgebungen von Réville, Colani, Schérer und Coquerel. Gleichfalls mit der Menschheit Jesu vollsten Ernst zu machen, war die durchschlagende Tendenz in Schenkels »Charakterbild Jesu« (Wiesbad. 1864, 4. Aufl. 1873),
in welchem mit Zugrundelegung des zweiten Evangeliums das Leben Jesu vorzugsweise nach der Seite seiner der Satzungsreligion entgegentretenden Lehrwirksamkeit hin dargestellt wird. Das Trifolium »Strauß, Renan, Schenkel« wurde nun sofort wieder zum Gegenstand des Angriffs von seiten einer ganzen Reihe von theologischen und theologisierenden Schriftstellern, unter welchen auf katholischer Seite Veuillot (»Leben unsers Herrn J.«, deutsch, Köln 1864) und Sepp (»Thaten und Lehren Jesu«, Schaffh. 1864),
auf holländischer van Oosterzee (»Das Bild Christi nach der Schrift«; »Geschichte oder Roman«, beides deutsch, Hamb. 1864),
auf französisch-protestantischer Pressensé (»Jésus-Christ, son temps, sa vie, son œuvre«, 3. Aufl., Par. 1866; deutsch, Halle 1866) genannt werden mögen. Eine Arbeit von großer Bedeutung für die kritische Feststellung der Grundlagen sind Weizsäckers »Untersuchungen über die evangelische Geschichte, ihre Quellen und den Gang ihrer Entwickelung« (Gotha 1864). Vermittelnd schrieb Krüger-Velthusen: »Das Leben Jesu« (Elberf. 1872). Die über das Leben Jesu Christi angefachte wissenschaftliche Bewegung hat dann auch das nachgelassene »Leben Jesu« von Schleiermacher (Berl. 1864) sowie dasjenige von Bunsen (Leipz. 1865) an das Licht gebracht, mit welchen die unklar apologetisch gehaltene »Geschichte Christus'« von Ewald (3. Aufl., Götting. 1867) den allgemeinen Standpunkt teilt. In der neuesten Phase der auf die Geschichte Jesu Christi bezüglichen wissenschaftlichen Forschung ragt ganz entschieden Keims Werk hervor: »Geschichte Jesu von Nazara, in ihrer Verkettung mit dem Gesamtleben seines Volkes« (Zürich 1867-72, 3 Bde.; dritte [kurze] Bearbeitung, 2. Aufl. 1875). Ähnlich, jedoch statt des Matthäus den Markus zu Grunde legend, stehen auch Holtzmann in der mit Weber gemeinsam bearbeiteten »Geschichte des Volkes Israel und der Entstehung des Christentums« (Leipz. 1867, 2 Bde.),
Hausrath (»Neutestamentliche Zeitgeschichte«, Teil 1: »Die Zeit Jesu«, Heidelb. 1868; 3. Aufl. 1879) und Wittichen (»Das Leben Jesu in urkundlicher Darstellung«, Jena 1876),
während auf gleicher Grundlage Volkmar (»Jesus Nazarenus und die erste christliche Zeit«, Zürich 1882) wieder näher an Strauß (s. d.),
bez. B. Bauer (s. d.) heranrückt, B. Weiß aber eine die apologetischen Bemühungen in ermäßigender Form zusammenfassende Darstellung gibt (»Das Leben Jesu«, Berl. 1882; 2. Aufl. 1884, 2 Bde.),
zu welcher Beyschlags Werk ein farbenreicheres Seitenstück bildet (»Das Leben Jesu«, Halle 1885-86, 2 Bde.).
Als Stifter der christlichen Religion bildete J. auch für die mittelalterliche Dichtung, voran die deutsche, den Mittelpunkt aller Empfindung und Phantasievorstellung. Für die geistliche Dramatik, die aus den Kulthandlungen selbst hervorwuchs und vom 12. Jahrh. an mit deutsch geschriebenen Weihnachtsspielen, Passions- und Osterspielen einen außerordentlichen Umfang erlangte, blieb J. lange Zeit der ausschließliche Held; seine Geburt, sein Leiden, seine Auferstehung und Himmelfahrt bildeten die Haupthandlungen der geistlichen Aufführungen.
In der epischen Dichtung treten den gereimten Evangelienharmonien, dem »Krist« des Otfried, dem »Heliand«, dem »Leben Jesu« der Dichterin Ava etc., allerdings bald andre Stoffe zur Seite, und in der Fülle der Legenden verschwindet die Christusgestalt hinter der großen Schar der Heiligen und Märtyrer. Die Nachwirkungen des geistlichen Dramas lassen sich durch die protestantisch-biblische Dramatik des 16. und noch durch die Operndichtung des 17. Jahrh. hindurch verfolgen.
Solange sie währten, blieb Leben und Sterben des Erlösers Lieblingsstoff der Darstellung und gewährte den Dramatikern den Vorteil eines allbekannten epischen Unter- und Hintergrundes. In der neuern deutschen Dichtung begann die epische Behandlung des Lebens Jesu mit Klopstocks »Messias« (1748-73),
an den sich Lavaters »Jesus Messias« (1783),
v. Halems »Jesus, der Stifter des Gottesreiches« (1810),
Mehrings »Jesus in seiner siegenden Gotteskraft« (1821),
Friedr. Rückerts »Leben Jesu« (1839),
Karl Moritz' »Christus der Überwinder« (1841) und K. Siebels »Jesus von Nazareth« (1856) anreihen. Neuere dramatische Versuche gehen von ganz andern Voraussetzungen als die naiv-gläubigen Dramen der ältern Zeit aus; eine charakteristische Probe dieser veränderten Anschauung ist »Jesus der Christ« von Albert Dulk (1865).