Japanische
Malerei. Der Liebhaberei für japanische
Kunstgegenstände ist die kunstgeschichtliche Forschung gefolgt.
Sie ist auf diesem Gebiet, auf dem man noch vor wenigen
Jahren nicht über
Vermutungen hinaus gekommen war, von dem glücklichsten
Erfolg begleitet gewesen. Durch die
Arbeiten von L. Gonse, W.
Anderson, H.
Gierke und Fenollosa ist es ermöglicht
worden, eine Übersicht zu gewinnen sowohl über die geschichtliche
Entwickelung der
Malerei in
Japan
[* 3] als über die charakteristischen
Eigenschaften der einzelnen
Malerschulen und der hervorragendsten
Meister.
Sehr vorteilhaft war es, daß zwei wohlgeordnete Sammlungen japanischer
Malereien nach
Europa
[* 4] gelangt sind. Die umfangreichere
von
William
Anderson ist im
Britischen
Museum ausgestellt, die zweite von
Gierke in den
Besitz des königl.
Museums für
Völkerkunde zu
Berlin
[* 5] gelangt. Mit dem
Maßstab,
[* 6] den wir an die europäische
Malerei anzulegen berechtigt sind,
kann die j. M. nicht gemessen werden; denn sie ist in ihren
Zielen wie in ihren
Mitteln von jener durchaus
verschieden. Die
Raum- und
Luftperspektive sind dem japanischen
Maler fast ganz unbekannt. Erst im 19. Jahrh. haben einige
Künstler
davon
Gebrauch zu machen gesucht.
Ferner fehlt das Verständnis für die
Erscheinungen des
Helldunkels. Das natürliche
Spiel
der
Lichter und
Schatten
[* 7] kann der
Japaner nicht wiedergeben, er kennt keine Glanzlichter und
Reflexe, sondern
er sucht durch konventionelle
Schatten und Hilfsmittel den
¶
mehr
dargestellten Gegenständen die Wirkung des Runden, Plastischen zu geben. Da er in einem schwarzen Gegenstand, einem Gewand, einem Vogel, nicht durch Abtönung des Schattens und Lichtes zu modellieren weiß, wird den Faltenlinien ein weißer Grund gegeben, oder es werden die innern Umrisse weiß ausgespart. Die Unkenntnis der Gesetze der Linearperspektive hat Gierke daraus zu erklären gesucht, daß der Japaner hockend über seine Bildfläche gebeugt arbeitet. In dieser Stellung, in der man nur senkrecht auf das Bild herabsehe, scheine der Mangel an perspektivischer Raumvertiefung nicht so bemerkbar.
Das ist nicht der alleinige Grund, denn es wurde auch vielfach, namentlich früher, vor dem senkrecht stehenden Bilde gemalt. Es ist hierfür, wie auch für die der Natur nicht entsprechende konventionelle Schattierung namentlich der übermächtige Einfluß der altchinesischen Vorbilder maßgebend gewesen, deren Mangel mit übernommen wurden und bis heute nachgewirkt haben. Durch die genannten beiden Hauptmängel ist die j. M. für das europäische Auge [* 9] immer in die Grenzen [* 10] der Skizze, der Dekoration, eingeschränkt geblieben. Innerhalb dieser Grenzen aber hat sie das Höchste geleistet, das mit ihren Mitteln zu erreichen war.
Der japanische
Künstler malt nur auf Seide
[* 11] und Papier und zwar mit Tusche oder mit Wasserfarben, die mit Leim versetzt sind. Nach
der Form teilt man die japanischen
Bilder in Kakemonos (hängende Dinge), in Makimonos (gerollte Dinge) und
in Oribon (Klappbücher). Auch die faltbaren Wandschirme und seltener gerahmte Bilder (Gaku) haben in der Malerei eine Rolle
gespielt. Die häufigste Form für den Schmuck der Wohnung ist der Kakemono. Es ist ein schmaler und hoher
Papier- oder Seidenstreifen, der auf grobe Leinwand geklebt und mit farbigen Brokatstoffen umrahmt ist.
An den Schmalenden sind Holzstäbe eingefügt, damit das Bild beim Aufhängen gerade bleibt, oder über welche es gerollt werden kann, wenn es aufbewahrt wird. Denn die Japaner hängen gewöhnlich nicht mehr als zwei Kakemonos in einem Raume und zwar nur an einer Wand auf. Höchstens sind es drei Bilder, die jedoch nach dem Gegenstand des Dargestellten zusammengehören müssen, wenn sie gleichzeitig aufgehängt werden. Die Makimonos sind niedrige Streifen von beliebiger Länge, die nur aufgerollt bewahrt werden und nicht dauernden Zimmerschmuck bilden sollen.
Die größte Sorgfalt wird der Herstellung guter Pinsel gewidmet. Die Haare [* 12] verschiedener Tiere werden in runde Halter aus Bambus oder flache, breite Halter aus Holz [* 13] gefaßt. Form und Anzahl der Pinsel sind bei den einzelnen Malerschulen verschieden. So verwendet die Tosaschule, die auf feinste miniaturartige Durchführung Wert legt, nur runde, feine u. ganz spitze Pinsel, die Kanoschule bevorzugt breite, flache Pinsel, deren sie zu den virtuosen Improvisationen in Tusche bedarf.
Die Malerei ist durch Vermittelung von Korea vor mehr als einem Jahrtausend aus China nach Japan gelangt. Sie stand in den ersten
Jahrhunderten durchaus im Dienste
[* 14] der buddhistischen Religion und hatte sich bis gegen das 10. Jahrh. von der
Nachahmung der chinesischen Vorbilder aus der Tangdynastie (7.-10. Jahrh.) nicht frei
gemacht. Das Ideal der Chinesen und ihrer japanischen
Nachahmer ist ein kalligraphischer Schwung der Linienführung und eine
kraftvolle Wirkung allein durch Schwarz- und Weißmalerei.
Dieser Art sind die noch erhaltenen Gemälde der ersten japanischen
Künstler, Kose-no-kana-oka, die den
japanischen
Kennern noch heute als die höchsten Leistungen ihrer Kunst gelten. In der Wahl
ihrer Gegenstände waren Kana-oka
und seine Nachfolger in der buddhistischen Stilrichtung, die sich fast unverändert bis in die Neuzeit erhielt, durch die
Überlieferung und Zwecke des Kultus beschränkt. Aus der Nachahmung der chinesisch-koreanischen Muster entwickelte
sich bereits im 11. und 12. Jahrh. die national-japanische
Schule Yamato-riu, die seit dem 13. Jahrh., ihrer höchsten Blüte,
[* 15] den Namen Tosa-riu annahm und behielt. An Stelle der religiösen Darstellungen traten Bilder des heimischen Lebens, Turniere und
Kämpfe, Szenen des Hoflebens und der Heldensage.
Der Tosastil ist der Geschmack der Aristokratie, des Hofes von Kioto. Er kennzeichnet sich durch äußerste
Sorgfalt und Feinheit der Ausführung, die an die persisch-indischen Miniaturen erinnert, denen er auch durch das reiche Kolorit
nahesteht. Die Einzelheiten, leblose Dinge, Blumen und Vögel,
[* 16] werden minutiös ausgeführt; dagegen ist die Empfindung und Erfindung
konventionell und die Darstellung der menschlichen
[* 8]
Figur ungenau und wenig erfreulich. Das 14. und 15. Jahrh.
bringt eine Wiederholung des chinesischen Einflusses in Kunst und Wissenschaft und damit ein Wiederaufleben der kraftvollen
Skizzierkunst Kana-okas. Die Hauptmeister dieser Richtung sind Cho-Densu (1351-1427) und Josetsu, welche die Tuschmalerei
vor
dem Farbenreichtum und der Feinheit der Tosa-riu bevorzugen. Cho-Densu ist als begabtester
[* 8]
Figurenmaler,
Josetsu dagegen als Landschafter bedeutend. Neben letzterm werden noch Soga-Shiubun und Sesshiu (1421-1507) als Landschafter
ersten Ranges genannt.
Die Erneuerung des chinesischen Einflusses führt im 15. Jahrh. zur Kanoschule, die von Kano-Masanobu und seinem Sohn Kano-Motonobu
den Namen trägt. Sie sind aus der Werkstatt des Shiub-un und Sesshiu hervorgegangen. Ohne die Darstellung der
nationalen Geschichte und des Genres ganz zu vermeiden, pflegen sie doch vorwiegend die chinesische Landschaft, Tiere und Pflanzen.
Anfänglich mehr der Schwarz- und Weißmalerei
zugewandt, bilden sie später eine mehr dekorative Richtung aus, die in reicher
Verwendung von Gold
[* 17] und Farben mit der Tosa-riu wetteiferte. Charakteristisch aber bleibt, dem chinesischen
Ursprung gemäß, die virtuose, rasche Mache mit einfachen Mitteln. Die namhaftesten der spätern Meister der Kanoschule sind
Kano Utanosuke, der größte Vogel- und Blumenmaler, und Kano Yeitoku (gest. 1590), der das glänzendste, lebhafteste Kolorit
ausbildete. Im 17. Jahrh. ist der volkstümlichste Vertreter der Schule Tanyu oder Morinobu.
Während der Regierung der Tokugawa-Shogune, im 17. Jahrh., beginnt sich aus der Tosaschule eine neue
Richtung abzuzweigen, deren Vertreter ihre Motive mit Vorliebe dem Leben des gemeinen Volkes entnehmen. Diese volkstümliche
Schule, Ukio-yé, wird von den japanischen
Kennern nicht geschätzt, sie ist aber diejenige, die
den Europäern zumeist bekannt wurde und bei diesen die größte Bewunderung erregte. Sie ist für die gesamte Kunstthätigkeit
von Japan von der höchsten Bedeutung, wenn ihre ästhetische Würdigung als Malerei auch bestritten bleibt, vornehmlich dadurch,
daß die Künstler der Ukio-yé den Holzschnitt zur Vervielfältigung ihrer Werke in reichstem Maße heranzogen.
Sie haben dadurch sowohl zur Blüte des Holzschnittes beigetragen als alle Gebiete des Kunsthandwerks mit einer Fülle von Vorbildern
versorgt. Unter den zahlreichen Anhängern der vulgären Schule ragen als bedeutendste hervor: Miyagawa Choshun, Torii Kiyonobu,
der zuerst die Bilder von Theatergrößen vervielfältigte, und als der
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weitaus berühmteste Hokusai. Im J. 1798 tritt er zuerst als Buchillustrator unter dem Namen Hokusai auf. 1814 erschien sein
berühmtestes Werk, die Mangwa, das Skizzen und Vorlagen aller Art für das Kunsthandwerk enthält. Obwohl von den vornehmen
Kunstfreunden seiner Heimat nicht geschätzt, errang er sich durch die zahlreichen Bücher mit Skizzen,
die er bis in sein höchstes Alter herausgab, weitreichenden Ruhm und wurde das Haupt einer großen Schule. Er starb 90jährig
im J. 1849. Die Anhänger und Nachahmer Hokusais sind nicht die einzigen modernen Vertreter der japanischen
Malerei.
Auch die Tosa- und die Kanoschule leben noch fort, aber im allgemeinen ist seit der sozialen und politischen Neugestaltung des Landes, die unter europäischem Einfluß begonnen hat, das Interesse an der Kunst und diese selbst sehr zurückgegangen. Die Blütezeiten gehören der Vergangenheit an.
Vgl. Gierke, Katalog zur Ausstellung der japanischen
Malereien im Berliner
[* 19] Kunstgewerbemuseum
(1882);
Gonse, L'art japonais (Par. 1883);
Anderson, The pictorial arts of Japan (Lond. 1886);
Brinckmann, Kunst und Handwerk in Japan (Berl. 1889, Bd. 1).