Titel
Italienische
Litteratur.
Die ältesten
Denkmäler der italienischen
Nationallitteratur reichen in ihrem
Lebensalter wenig
über den Anfang des 13. Jahrh. hinaus. Nur langsam hatte sich das
Material derselben, die italienische
Volkssprache (lingua
volgare), entwickelt; denn die
lateinische Sprache erhielt sich in ihrer eigentlichen
Heimat länger als in
den
Wohnsitzen der übrigen
Romanen, und bis ins 13. Jahrh. behauptete sie jenseit der
Alpen
[* 2] auf der
Kanzel, im Gerichtssaal
und zum Teil auch auf der Rednerbühne ihre Stätte. So kam es, daß das Italienische
später als die übrigen südeuropäischen
Idiome zu grammatischer
Gliederung und syntaktischer
Ausbildung gelangte und infolgedessen auch der Beginn
der eigentlich italienischen Litteratur
in eine verhältnismäßig späte Zeit fällt.
Wir zerlegen dieselbe nach ihrer geschichtlichen
Entwickelung in fünf
Perioden, von denen die erste das Erwachen der
Dichtkunst
in I. (anfangs unter provençalischem Einfluß) und das Auftreten der ersten großen nationalen Dichter und Schriftsteller
(13.-14. Jahrh.) umfaßt, die zweite durch die Herrschaft der altklassischen
Studien (15. Jahrh.), die dritte durch glückliche Verschmelzung italienischer
Bildung mit der antiken (16. Jahrh.) charakterisiert
ist, während die vierte
Periode (17. und 18. Jahrh.) die
Zeiten des
Verfalles, der sich unter französischem Einfluß vollzieht,
die fünfte endlich die
Epoche des modernen Aufschwunges der Litteratur
im
Dienst patriotischer
Ideen (19.
Jahrh.) begreift.
Erste Periode (13.-14. Jahrh.).
Wenn wir die i. L. noch in ihren Anfängen begriffen sehen zu einer Zeit, in der das örtlich unfern
stehende
Provençalische bereits seine völlige
Entwickelung erreicht, ja überschritten hatte, so erklärt sich das mit aus
der eigentümlichen Kulturentwickelung der italienischen
Nation. Die feinen
Formen mittelalterlicher
Bildung,
welche im südfranzösischen Rittertum ihre reichste Gestaltung gefunden hatten, faßten in
Italien
[* 3] schwerer
Fuß als im übrigen
Abendland. In Oberitalien,
[* 4] wo der eigentliche
Schwerpunkt
[* 5] des italienischen
Nationallebens während des
Mittelalters zu suchen
ist, hatte man am wenigsten
Neigung zur ritterlichen Phantastik; praktisch bürgerliche
Richtung des öffentlichen
Lebens waltete dort vor.
Nur im Süden Italiens [* 6] war das eigentliche Ritterwesen, eingeführt durch die eingewanderten Normannen, wahrhaft heimisch. Schon im 12. Jahrh. fing die provençalische Dichtung an, ihren Einfluß auf Italien zu äußern. Neben den in Oberitalien seit jener Zeit an den kleinen Höfen auftretenden Troubadouren erwarben sich dann allmählich auch Italiener durch kunstreichen Gesang in provençalischer Sprache [* 7] gefeierte Namen. So vor allen Sordello von Mantua [* 8] (13. Jahrh.), den selbst Dante rühmend nennt.
Aber das
Leben der
echt italienischen
Poesie hat seine Wiege in
Sizilien
[* 9] gefunden, an dem
Hofe
Friedrichs II., des
Hohenstaufen,
der selbst mit seinem berühmten
Kanzler
Pier delle Vigne
(Peter de
Vineis) die
Dichtkunst übte und an seinem
Hof
[* 10] eine zahlreiche
Schar von Dichtern sammelte, die im ganzen freilich erst bloße Nachahmer der
Provençalen waren. Unter
ihnen gilt als ältester
Poet
Italiens Ciullo d'Alcamo (gest. 1194), von dem uns ein einziges Gedicht,
eine
Kanzone, erhalten ist, das Gespräch eines
Liebhabers und seiner
Dame, in der
Diktion noch äußerst roh, in der
Sprache
ein Gemisch von sizilischen, provençalischen, spanischen, französischen, lateinischen und griechischen Dialektelementen.
Neben und nach ihm glänzten an
Friedrichs
Hof
Guido delle
Colonne, Jacopo da Lentino (genannt il Notajo), Mazzeo
Ricco und die Sizilierin
Nina,
Italiens älteste Dichterin, berühmt nicht nur durch ihre
Verse, sondern fast mehr noch wegen
ihres poetischen Liebesverhältnisses zu dem toscanischen Dichter
Dante von
Majano, der um 1290 blühte.
Nach Auflösung des sizilischen Poetenkreises gewann die »heitere Wissenschaft« (gaia scienza) einen neuen Mittelpunkt in Bologna. Unter den Dichtern, welche im 13. Jahrh. sich nach der alten berühmten Universität gezogen hatten und von dort aus Ruf und Ehren erlangten, sind hervorzuheben: Guido Guinicelli (gest. 1276), durch ebenso anmutige Bilder wie tiefe Gedanken ausgezeichnet;
Guido Ghislieri, Semprebene, Onesio, Folcacchiero de' Folcacchieri, der Sonettendichter Fra Guittone d'Arezzo (gest. 1294) u. a. m. Diese sämtlich gebrauchen noch die rohere sizilische Mundart.
Nur weniges von ihren
Dichtungen, und unter diesem nicht einmal
alles unzweifelhaft von ihnen herrührend, hat sich erhalten.
Alle Genannten übertrifft an Bedeutung
Guido
Cavalcanti aus
Florenz
[* 11] (gest. 1300), ein Mann von umfassender
Bildung, als
Philosoph von
Boccaccio und
Dante (der ihn den ersten
seiner
Freunde nennt) gerühmt, wichtiger aber als Förderer der
Entwickelung der italienischen
Sprache und als
Poet, der namentlich
in kleinern anspruchslosen Gedichten Vortreffliches leistete.
Die meisten
Produkte der italienischen
Dichtung des 13. Jahrh. bringen in den
Formen der
Kanzone und des
Sonetts und in längern
Gedichten formfreierer Art nur leere Liebesklagen ohne wahres
Gefühl, ohne rechte Natürlichkeit; das
Interesse, welches sie gewähren, ist ein vorzugsweise sprachliches. Im geringern
Grade trifft dieser
Tadel zu bei
Fra
Jacopone da Todi
(gest. 1306), von dem wir eine große Zahl geistlicher Gedichte haben, die, in der
Sprache
roh, an Tiefe und
Innigkeit des
Gefühls sowie durch die Freimütigkeit, mit der sie die kirchlichen
Gebrechen der Zeit rügen, alle andern poetischen
Leistungen jener
Epoche übertreffen.
Auch schöne lateinische Lieder von ihm haben sich erhalten (darunter das ihm zugeschriebene »Stabat mater«). Mehr als Lehrer Dantes denn als Dichter berühmt ist Brunetto Latini (gest. 1294),
dessen poetisches Hauptwerk: »Tesoretto«,
zeigt, daß er viel zu sehr
Rhetoriker und viel zu sehr verstrickt in die
Philosopheme der
Scholastik war, als daß er wahrhaft
Dichterisches hätte schaffen können.
Sein
Schüler
Dante Alighieri (1265-1321) überragt nicht nur alle bereits erwähnten
Dichter der Anfangszeit italienischer
Poesie, er ist nicht nur weitaus der größte poetische
Genius, den
Italien hervorgebracht hat, sondern er ist auch einer der unsterblichen Dichter, welche allen
Zeiten und Völkern angehören.
Mit einer
¶
mehr
Sprache, die er zum Teil erst aus ungefügen und rohen Elementen schaffen mußte, stellt er in seinen weltumfassenden Gedanken und den tiefsinnigsten Bildern, welche je eines Dichters Phantasie formte, die gewaltigsten Ideen dar, welche den Menschengeist überhaupt erfüllen und den Geist seiner Zeit insbesondere bewegten. Seine Nachahmer und Zeitgenossen vermochten nicht, indem sie ihm in der Anwendung der Allegorie folgten, diese mit wirklich poetischem Leben auszustatten, und ihre Lehrgedichte arteten in leere Spielerei und dürre Nüchternheit aus.
Unter den dahin gehörigen Werken sind zu nennen das »Quadriregio« des Federigo Frezzi aus Foligno, welches in 4 Büchern und 74 Capitoli eine treffende moralisch-allegorische Darstellung der Welt und der Menschen enthält; ferner Fazzio degli Ubertis (gestorben um 1366) »Dittamondo«, welches für die irdische Welt das leisten sollte, was Dante für die übersinnliche beabsichtigte. Als Gegner Dantes ist bekannt Cecco (Francesco) d'Ascoli (1327 als Ketzer verbrannt),
dessen Gedicht »Acerba« ein wunderliches unpoetisches Gemisch von Unsinn und Scharfsinn, Aberglauben und scholastischer Gelehrsamkeit ist. Noch unbedeutender als Dichter ist Francesco da Barberini (gest. 1348),
dessen »Documenti d'amore« Regeln zu einem klugen und gottgefälligen Lebenswandel enthalten, während er in
dem Buch »Del reggimento e de' costumi delle donne« Lehren
[* 13] für Frauen jedes Standes und Alters gibt. Neben
solchen meist in allegorisches Gewand sich kleidenden ethischen, religiösen Dichtungen erscheint die rein lyrische Poesie
der Italiener aus jener Zeit in glänzendem Lichte. Dieselbe (wie überhaupt die italienische
Lyrik) hat ihren Gipfelpunkt in
Francesco Petrarca (1304-74), dem Sänger der Liebe und des Liedes, dessen »Rime« (namentlich die Sonette und
Kanzonen) sich durch höchste formelle Vollendung auszeichnen und nicht nur auf die italienische, sondern auf die gesamte
moderne Litteratur
einen unbestrittenen Einfluß ausübten. Von seinen Zeitgenossen, welche, mit Ausnahme des Cino da Pistoja
(eigentlich Sinibaldi, gest. 1336) und des Boccaccio, in poetischer Hinsicht unendlich weit unter ihm stehen, genügt es,
die Namen Antonio de Ferrara
[* 14] (gest. 1363), Francesco degli Albizzi (Freund und Verwandter des Petrarca, gest. 1348), Sennuccio
del Bene (gest. 1349), ferner die beiden Montemagno (Oheim und Neffe) und Zenone de' Zenoni aus Pistoja zu erwähnen. Auch von der
heil. Catarina da Siena (gest. 1380) haben wir einige geistliche Gedichte, die jedoch
unbedeutend sind.
Rittergedichte dieser Periode, nach dem Vorbild der »Teseide« des Boccaccio in Ottaven abgefaßt, sind: »Buovo d'Antona« (um 1300),
»La Spagna« in 40 Gesängen, von Sostagno de' Zanobi, »La regina Ancroja« u. a. Nennenswert ist endlich noch Antonio Pucci, ein florentinischer Glockengießer (gest. 1373),
welcher das erste Beispiel der burlesken Poesie gegeben und eine Chronik des Giovanni Villani unter dem Titel: »Centiloquio« von Anfang bis zu Ende in Reime gebracht hat.
Die Prosa des ersten Zeitraums italienischer Litteratur
umfaßt die Proben erster unbehilflicher Versuche und zugleich die
Erzeugnisse klassischer Vollendung. Als das älteste Produkt der dichterischen Prosa der Italiener ist anzusehen
ein vom heil. Franziskus (gest. 1226) in rhythmischer Diktion verfaßtes Lob Gottes, bekannt unter dem Namen »Cantico del sole«.
Aus etwa der gleichen Zeit stammt eine trefflich geschriebene Übersetzung der Schrift des Cicero: »De oratore« von
Fra Guidotto
de Bologna, um 1257 dem König Manfred dediziert.
Für die ältesten Geschichtswerke in italienischer Sprache galten bisher die »Diurnali« des Matteo Spinelli aus Giovenazzo, die florentinische Chronik des Ricordano und Francesco Malespini und die des Dino Compagni: Nachdem diese jedoch sämtlich in neuester Zeit als Fälschungen erkannt oder verdächtig geworden sind, muß Giovanni Villani (gest. 1348);
der die Geschichte seiner Vaterstadt Florenz von ihrer Gründung an bis zu seinem Tod beschrieb, als der Vater der italienischen Geschichtschreibung betrachtet werden.
Ein in mannigfacher Hinsicht merkwürdiges Buch aus jener Zeit ist der unter dem sonderbaren Namen »Il millione« bekannte Reisebericht des Venezianers Marco Polo (gest. 1323). Neben diesen Prosawerken ernster Gattung entstanden damals Aufzeichnungen von Ereignissen des alltäglichen Lebens, Sammlungen von Schwanken und Anekdoten voll Witz und Derbheit, Übermut und Lüsternheit. Wie die Geschichtschreibung, wollten diese Erzeugnisse der erzählenden Prosa die reale Welt darstellen, aber nur verfeinert und emporgehoben in die Sphäre des Künstlerischen.
Die italienische Nation besaß oder besitzt gerade für solche Hervorbringungen eine angeborne große Begabung. Aus der Anekdote entwickelte sich die Gattung der Novelle, welche in Italien zur klassischen Vollendung gedieh. Die italienischen Novellisten schöpften, wie schon die älteste Novellensammlung der Italiener, die »Cento novelle antiche« (auch »Il novellino« genannt), gegen das Ende des 13. Jahrh. von verschiedenen unbekannten Dichtern verfaßt, bereits besonders gern aus den Fabliauxdichtungen der nordfranzösischen Trouvères.
Der Preis in dieser Gattung der Erzählung wird allgemein dem Boccaccio (1313-75), dem dritten dichterischen Genius Italiens im 14. Jahrh., zuerkannt, dessen übrige zahlreiche und gelehrte Werke durch seine Novellensammlung, das berühmte »Decamerone«, fast in Vergessenheit gebracht worden sind. Durch Boccaccio ist die Novelle zu einer Lieblingsdichtung der Italiener geworden, welche davon viele Sammlungen, die mehr oder weniger Nachahmungen des »Decamerone« sind, besitzen, wovon indessen nur zwei dieser ersten Periode angehören, nämlich die Novellen des Franco Sacchetti (gestorben nach 1400),
welche sich durch einfach natürliche Erzählung und reine Sprache auszeichnen, aber mehr Anekdoten, Stadtgeschichten und Schwänke als eigentliche Novellen sind, und das sogen. »Pecorone«, eine Sammlung von 50 Novellen von Ser Giovanni, wahrscheinlich einem Verbannten aus Florenz, der das Werk 1378 zu Dovadala bei Forli begann. Kunstloser in der Sprache, meist aus dem Provençalischen und Französischen frei übersetzt, zum Teil nur aus der Sage geschöpft oder selbst erfundenen Stoff willkürlich behandelnd sind die damals vielgelesenen Volksbücher: »I reali di Francia«, in 6 Büchern in Prosa, ursprünglich vielleicht lateinisch abgefaßt, aber schon Ende des 13. oder im 14. Jahrh. ins Italienische übersetzt und verarbeitet, die märchenhafte Genealogie Karls d. Gr. und seines Geschlechts enthaltend;
ferner »Guerrino di Durazzo« oder »Il Meschino«, welches bis in die neueste Zeit, aber mit mancherlei Veränderungen und Verstümmelungen wieder abgedruckt worden ist;
»Dell' illustre e famose historia di Lancilotto del Lago«, schon vor Dante ein beliebtes Buch;
»Delle opere magnanime de' due Tristani, cavallieri invitti della tavola rotonda« u. a., welche ungedruckt geblieben sind.
Erst in neuerer ¶
mehr
Zeit zum erstenmal gedruckt ist »Fortunatus Siculus ossia l'aventuroso Siciliano, di Bosone da Gubbio«, angeblich 1311 von einem Freunde des Dante geschrieben. Der Belehrung oder Erbauung gewidmet sind des Piero de' Crescenzi »Trattato dell' agricoltura« und Jacopo Passavantis (gest. 1357) »Specchio di vera penitenza« sowie die vielen, aber in roher Sprache, zum Teil aus dem Lateinischen übersetzten asketischen Schriften des Fra Domenico Cavalca aus Pisa [* 16] (gest. 1342). Ausgezeichnet für die Sprache sind die »Ammaestramenti degli antichi« von Bartolommeo da Santa Concordia aus Pisa (gest. 1347) sowie Agnolo Pandolfinis (gest. 1446) »Trattato del governo della famiglia«, ein Buch voll gesunder Lebensregeln in einfacher und kerniger Sprache.
Unter den berühmten Rechtsgelehrten dieser Periode, die zugleich eine wissenschaftliche Litteratur
schufen, ist zuerst Irnerius
als derjenige zu nennen, welcher die bisher gebrauchten dürftigen Auszüge beseitigte und dafür das Studium der Quellen wieder
in Aufnahme brachte. Die berühmtesten Glossatoren des 13. Jahrh. sind: Pillius, Azzo,
Odofredus, Accursius, Bartolus von Sassoferrato und Baldus von Perugia. Als der berühmteste Kanonist dieser Periode gilt J. ^[Johannes]
Andreä, welcher einen lange Zeit hochgeschätzten Kommentar (»Novellae«) verfaßte.
Zweite Periode (15. Jahrh.).
Die zweite Periode umfaßt das 15. Jahrh., welches für Italien das Zeitalter der Philologie ist. In keinem andern Land ist das wieder erwachte Studium des Altertums mit so großem und allgemeinem Eifer und so glänzendem Erfolg betrieben worden wie damals in Italien. Mit einem Ernst ergab man sich diesen Studien, der nicht bloß die Kenntnis des Altertums erwerben, sondern dieses selbst in Gesinnung und Leben, sogar mit Hintansetzung des Christentums, wieder auferwecken wollte.
Aus Petrarcas Schule ging der Mann hervor, welcher weniger durch Schriften als durch sein Lehrtalent am meisten zur Verbreitung dieser Studien beigetragen hat, Giovanni da Ravenna (gest. 1420), dessen unmittelbare oder doch mittelbare Schüler fast alle berühmten Philologen jener Zeit gewesen sind. Die Häupter der philologischen Schule ihrer Zeit, durch Schriften, aber auch durch wütende Streitigkeiten berühmt, sind: Poggio Bracciolini (gest. 1459), Francesco Filelfo (gest. 1481), Laurentius Valla (gest. 1457), Angelo Poliziano (gest. 1494), Marsiglio Ficino (gest. 1499). Ihnen standen würdig zur Seite: Leonardo Bruni (gest. 1444), Ambrogio Traversari, bekannter unter dem Namen Ambrosius Camaldulensis (gest. 1439), Cristoforo Landino (gest. 1504), Pico von Mirandola (gest. 1494) u. a. Bei dem Eifer, sich ausschließlich mit dem Altertum zu befassen und die hinterlassenen wissenschaftlichen Schätze der alten Griechen und Römer [* 17] auszubeuten, konnte es nicht fehlen, daß auch dichterische Geister zu ihren poetischen Erzeugnissen der alten römischen Sprache sich bedienten. Zu den berühmtesten lateinischen Dichtern dieses Zeitraums gehören, außer einigen der vorhin schon genannten Philologen, namentlich Filelfo, noch folgende: Matteo Veggio aus Lodi (gest. 1458), Tito Vespasiano Strozzi (gest. 1508) und sein Sohn Ercole, Battista Mantovano (gest. 1516), Antonio Beccadelli, bekannter unter dem Namen Panormita, auch als Geschichtschreiber von Ruf (gest. 1471), und sein Schüler Giovio Pontano (gest. 1503);
auch ein Grieche von Geburt, M. Marullo Tarchaniota (gest. 1500).
Im Vergleich mit der vorigen Periode erscheint diese zweite arm an bedeutenden Schriftstellern in der Muttersprache; das allgemeine Verlangen der Schriftsteller, sich an die Alten anzuschließen und die römische Litteratur gleichsam fortzusetzen, ließ die in italienischer Sprache geschriebenen und ebendarum jedem zugänglichen Werke als unbedeutend und plebejisch erscheinen. Ganz besonders dürftig ist in dieser Hinsicht der Anfang dieses Abschnitts, und in dem ganzen ein Jahrhundert langen Zeitraum von dem Tod Petrarcas (1374) bis auf die glänzenden Zeiten Lorenzos des Erlauchten, am Ende des 15. Jahrh., sind kaum zwei oder drei Dichter von einiger Bedeutung zu nennen. Giusto de' Conti da Valmontone (gest. 1449) wird als einer der glücklichsten Nachahmer Petrarcas betrachtet, obgleich bei ihm oft genug gesuchter Witz die Stelle des Geistes und des Gefühls vertritt. Der lustige Barbier Domenico Burchiello (gest. 1448) zu Florenz hat eine Sammlung jetzt fast vollkommen unverständlicher Sonette hinterlassen, welche von den Liebhabern florentinischer Volkswitze lange Zeit hoch geschätzt und von mehreren kommentiert worden ist. Die Manier seiner Sonette hat sogar Nachahmer gefunden, und solche Gedichte wurden »Burchiellesca« genannt. Erst gegen das Ende des 15. Jahrh. wendeten sich auch bedeutende und edle Geister wieder der lange vernachlässigten und verachteten Muttersprache zu. Namentlich verdient Lorenzo de' Medici (gest. 1492) neben die bessern Lyriker Italiens gestellt zu werden, insofern er sich durch die Gewandtheit, Anmut und den Geist, womit er kleine Ereignisse seines Privatlebens und geselligen Kreises zu artigen Werken scherzenden und satirischen oder auch ernsten Inhalts zu benutzen verstand, auch als Improvisator weit über seine Zeitgenossen erhebt. Neben ihm und als Genosse seiner Studien ist vornehmlich Angelo Poliziano (gest. 1494) zu nennen, dessen »Favola d'Orfeo« das erste selbständige und wirklich ausgeführte italienische Drama ist. Zu den nähern Freunden Lorenzos gehörten ferner die drei Dichterbrüder Bernardo, Luca und Luigi Pulci, von denen sich aber nur der dritte, Luigi (gest. 1487), einen bleibenden Namen erworben hat.
Durch sein romantisches Rittergedicht »Morgante Maggiore«, in welchem ein Stoff aus dem Sagenkreis von Karl d. Gr., der bisher schon roh-volksmäßige Bearbeitungen durch herumziehende Sänger erfahren hatte, zum erstenmal in kunstmäßiger Gestalt erscheint. In ernsterer Weise behandelte das Rittergedicht Matteo Maria Bojardo, Graf von Scandiano (gest. 1494), in seinem demselben Sagenkreis angehörigen Heldengedicht »Orlando innamorato«, besonders indem er die edlere Liebe, welche bisher der Sage von Roland gefehlt hatte, derselben als einen neuen Schmuck zuwendete.
Sein Hauptverdienst jedoch ist, daß er nicht allein den schon vor ihm bekannten Helden der Sage scharf ausgeprägte und durchgeführte Charaktere gegeben, von denen seine Nachfolger nicht abzuweichen wagten, sondern daß er auch mit wahrhaft schöpferischer Kraft [* 18] eine bedeutende Zahl selbsterfundener Helden hinzugedichtet und ihnen durch seine Darstellung fast historische Wahrheit und Würde gegeben hat. Wie die Pulci für die Medici, so bearbeitete Francesco Cieco da Ferrara (gest. 1495) in seinem »Mambriano« die Heldensage für seine Gönner, die Gonzaga. Die als Folge der unter den Mediceern verlornen Freiheit im Volk durchweg herrschend gewordene sinnliche Lebensrichtung, der hochmütige, wahrhaft antichristliche Sinn der zahlreichen ¶