Isokrates
,
der vierte unter den zehn attischen Rednern, geb. 435 v. Chr. zu Athen, [* 3] genoß den Unterricht der angesehensten Sophisten jener Zeit, wie Gorgias, Prodikos u. a., und stand auch mit Sokrates in Verkehr, ohne jedoch zu seinen eigentlichen Schülern zu gehören. Schwache Stimme und Schüchternheit hinderten ihn am öffentlichen Auftreten; daher beschäftigte er sich nach dem Sturz der Dreißig Tyrannen, als sein Vater, der früher wohlhabende Besitzer einer Flötenfabrik, sein Vermögen verloren hatte, anfangs mit dem Abfassen gerichtlicher Reden für andre. Um 392 eröffnete er eine rhetorische Schule, die ihm bedeutende Reichtümer einbrachte. Zu seinen Schülern, deren Zahl auf 100 angegeben wird, gehörten die Redner Isäos, Hypereides und Lykurgos sowie die Geschichtschreiber Theopompos und Ephoros.
Vom politischen Leben hielt er sich fern; doch suchte er auf die politischen Verhältnisse Athens wie ganz Griechenlands durch eine Reihe von Kunstreden, die nur zur Lektüre bestimmt waren, einzuwirken. So zuerst in dem hochgefeierten »Panegyrikos«, einer Art Festrede, die er 380 nach 10 oder gar 15jähriger Arbeit veröffentlichte (hrsg. von Herold, griechisch u. deutsch, Nürnb. 1859); sie sollte die Notwendigkeit eines gemeinsamen Kampfes aller Griechen gegen die Perser unter Athens Hegemonie darthun. Im »Areiopagitikos« (hrsg. von Mehler, Groning. 1861) empfahl er seinen Mitbürgern die Wiederherstellung der Solonischen Verfassung zum Zweck einer Wiedergeburt Athens.
Noch im 98. Jahr vollendete er den »Panathenaikos«, eine Lobrede auf Athen, nicht lange bevor er sein Leben wenige Tage nach der Schlacht bei Chäroneia 338 durch freiwilligen Hungertod beschloß, angeblich aus Schmerz über den Sturz der griechischen Freiheit. Das Altertum kannte unter seinem Namen 60 Reden, von denen jedoch nur die kleinere Hälfte für echt galt. Uns sind, außer zehn jedenfalls untergeschobenen Briefen, 21 Reden erhalten, bis auf sechs für andre geschriebene Gerichtsreden sämtlich der epideiktischen Gattung angehörig. I. erscheint in denselben als vollendeter Redekünstler; er ist weniger durch Tiefe der Gedanken ausgezeichnet als durch die sorgfältige Auswahl der im reinsten Attizismus gehaltenen Ausdrücke, die rhythmische Abrundung des Periodenbaues, die geschickte Anwendung der Figuren und aller Mittel, welche die Rede wohlklingend machen.
Sie wurden, außer in den Sammlungen der Redner, herausgegeben von Dindorf (Leipz. 1825), Bailer (Par. 1846), Benseler (2. Aufl. von Blaß, Leipz. 1878, 2 Bde.), Sandys (Lond. 1868); ausgewählte Reden gaben Bremi (Gotha [* 4] 1881), Rauchenstein (5. Aufl., Berl. 1882), O. Schneider (2. Aufl., Leipz. 1874-75, 2 Bde.) heraus. Übersetzungen lieferten Benseler (Prenzl. 1829-31, 4 Bde.; Leipz. 1854-55, 2 Bde.), Christian (3. Aufl., Stuttg. 1869), Flathe (das. 1869).
Vgl. Blaß, Die attische Beredsamkeit, Bd. 2 (Leipz. 1874).