Internationale
(Internationale
Arbeiterassociation,
International working men's association), eine sozialdemokratische
Arbeiterverbindung, deren
Gründung, durch K.
Marx (s. d.) und andre Vertreter der radikalsten politischen
und sozialistischen
Ideen lange geplant, am auf einem
Meeting in St.
Martin's
Hall
[* 2] in
London
[* 3] von Sozialisten und radikalen
Republikanern aller
Länder beschlossen wurde. Die
Verbindung war der erste
Versuch, die
Sozialdemokratie zu einer einheitlich
organisierten internatio
nalen
Partei zu machen, um als revolutionäre Agitationspartei gleichzeitig in allen
Ländern für
die Verwirklichung des Marxschen radikalen sozialdemokratischen
Programms (s.
Sozialismus) und seines Volksstaats zu agitieren
und die soziale
Revolution vorzubereiten.
Auf jenem
Meeting wurde ein
Ausschuß von 50
Personen eingesetzt, um
Programm und
Statut der
Verbindung vorzubereiten;
ein späterer internatio
naler
Kongreß sollte darüber beraten und entscheiden. K.
Marx, die
Seele der
Bewegung, entwarf beides
und fand die Zustimmung sowohl des
Ausschusses als des ersten, die I. konstituierenden internatio
nalen
Kongresses zu Genf
[* 4] im J. 1866. Das
Programm lautet: »In Erwägung, daß die
Emanzipation der arbeitenden
Klassen durch die arbeitenden
Klassen
selbst erobert werden muß; daß der
Kampf für die
Emanzipation der arbeitenden
Klassen nicht einen
Kampf für die Klassenprivilegien
und
Monopole, sondern für gleiche
Rechte und
Pflichten und für die Vernichtung aller Klassenherrschaft bedeutet; daß die
ökonomische Abhängigkeit des
Mannes der
Arbeit vom Monopolisten der
Werkzeuge,
[* 5] der
Quellen des
Lebens, die
Grundlage der Knechtschaft in jeder Form, des sozialen
Elends, der geistigen Herabwürdigung und politischen Abhängigkeit
bildet; daß deshalb die ökonomische
Emanzipation der arbeitenden
Klassen das große
Ziel ist, welchem jede politische
Bewegung
als bloßes Hilfsmittel sich unterordnen sollte; daß alle auf dieses große
Ziel gerichteten Anstrengungen bisher
an dem Mangel der
Solidarität zwischen den vielfachen
Zweigen der
Arbeit jedes
Landes und an dem Nichtvorhandensein eines brüderlichen
Bandes der
Einheit zwischen den arbeitenden
Klassen der verschiedenen
Länder gescheitert sind; daß die
Emanzipation der
Arbeit
weder ein lokales noch ein nationales, sondern ein soziales
Problem ist, welches alle
Länder umfaßt,
in denen moderne
Gesellschaft existiert, und dessen
Lösung von der praktischen und theoretischen Mitwirkung der vorgeschrittensten
Länder abhängt; daß das gegenwärtige Wiederaufleben der arbeitenden
Klassen in den gewerkthätigen
Ländern
Europas, während
es neue
Hoffnungen rege macht, eine feierliche Warnung vor einem
Rückfall in alte
Irrtümer enthält und ein unmittelbares
Bündnis der noch getrennten
Bewegungen erfordert: aus diesen
Gründen erklärt der erste internationale
Arbeiterkongreß, die
internationale
Arbeiterassociation und alle ihr angehörigen
Gesellschaften und Individuen,
Wahrheit,
Recht und
Sitte als die
Grundlage ihres Betragens untereinander und gegen alle ihre Mitmenschen ohne Rücksicht auf
Farbe,
Bekenntnis oder
Nationalität
anzuerkennen. Der
Kongreß betrachtet es als
Pflicht des
Mannes, die
Rechte eines
Mannes oder
Bürgers nicht
bloß für sich selbst, sondern für jedermann, der seine
Pflicht thut, zu fordern.
Keine
Rechte ohne
Pflichten, keine
Pflichten
ohne
Rechte.«
Die Organisation der I. war folgende: Von den Lokalsektionen (den Mitgliedern der I. an einem Ort) wurden Delegierte gewählt;
diese bildeten die Föderationen;
die Delegierten der Föderationen bildeten dann den Kongreß, der jährlich zusammentreten und das souveräne Vereinsorgan sein sollte.
Neben ihm war das leitende Verwaltungsorgan der Generalrat (Sitz in London), in dem zugleich die Generalsekretäre für die einzelnen Länder funktionierten. (K. Marx war der Generalsekretär für Deutschland.) [* 6] Kongresse fanden nacheinander statt in Genf (1866), Lausanne [* 7] (1867), Brüssel [* 8] (1868), Basel [* 9] (1869). Durch die Beschlüsse auf diesen Kongressen wurde das radikale positive politische und ökonomische Programm im einzelnen festgestellt, das letztere namentlich durch die Beschlüsse in Brüssel und Basel (s. Sozialismus).
Die I. gewann schnell in allen industriellen Ländern (außer in England) Boden, die Zahl der Mitglieder bezifferte sich bald auf viele Hunderttausende, mit den äußern Erfolgen wuchs die Zuversicht der Führer auf den Sieg der nahen sozialen Revolution, die Geschicklichkeit, aber auch die Kühnheit der Agitation - nach dem Ausbruch des deutsch-französischen Kriegs und der Gründung der französischen Republik trug man sich sogar mit dem Gedanken an die Ausführbarkeit einer sozialen Revolution in Deutschland, wo die I. zahlreiche Mitglieder und unter der Führung von Bebel, ¶
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Liebknecht, Bracke etc. die beste Organisation hatte. In der Kommune von Paris, im Frühjahr 1871, feierte sie ihren ersten Sieg. Die I. wurde zu einer ernsten Gefahr. Da trat in der Partei unter den Führern immer schärfer ein Antagonismus heraus, der schließlich auf dem Kongreß im Haag [* 11] (1872) zum offenen Bruch, zu einer Spaltung der I. und damit zu ihrer Auflösung führte. Der Grund des Zwiespalts war, abgesehen von persönlichen Differenzen der Führer (namentlich Marx und Bakunin), die Frage der Diktatur des Generalrats.
Marx und die deutschen Führer vertraten die Diktatur, Bakunin und mit ihm die Führer der I. in den romanischen Ländern bekämpften dieselbe. Auf dem Kongreß im Haag siegten die Zentralisten über die Föderalisten mit 26 gegen 23 Stimmen. Die Majorität verlegte den Sitz des Generalrats nach New York, die Minorität schied aus, um eine neue I. zu gründen. Beide Parteien tagten 1873 in Genf gleichzeitig, aber gesondert und befehdeten sich auf das heftigste. Alle Versuche, die Einigung wieder herbeizuführen, namentlich auf dem Kongreß in Genf 1877, mißlangen, ebenso der Versuch Mosts auf einem Kongreß in London 1881, eine neue I. der anarchistischen Partei zu begründen.
Die Sozialdemokraten der verschiedenen Länder, gespalten jetzt in Anarchisten und Gemäßigtere, unterhalten
noch internationale
Verbindungen; aber eine einheitliche Organisation, wie sie in der I. bestand, existiert nicht mehr.
Vgl.
Eichhoff, Die internationale
Arbeiterassociation (Berl. 1868);
Testut, L'Internationale
(Par. 1871; deutsch, Leipz. 1872);
Villetard, Histoire de l'I. (Par. 1871);
Pachtler, Die internationale
Arbeiterverbindung (Essen
[* 12] 1871);
Yorke, Geheime Geschichte
der internationalen
Arbeiterverbindung (Stuttg. 1872);
»Zur Geschichte der I.« (von M. Busch, Leipz. 1872);
Jäger, Der moderne Sozialismus etc. (Berl. 1873);
L. Favre, Histoire de l'I. et du socialisme (Par. 1879, 2 Bde.);
Zacher, Die rote I. (3. Aufl., Berl. 1884).