Inquisition
Inquisitĭo haeretĭcae pravitātis (Ketzergericht) oder Sanctum Officium (Heiliges Offizium), in der röm. Kirche das geistliche Gericht zur Aufspürung und Bestrafung der Ketzer (s. d.). In der altchristl. Kirche hatten die Bischöfe die Pflicht, gegen Ketzer mit kirchlichen Strafen bis zur Exkommunikation vorzugehen. Um die Mitte des 3. Jahrh. veranlaßten die Novatianischen Streitigkeiten (s. Novatianer) einzelne morgenländ. Gemeinden, mit Rücksicht auf die Ketzer, einen eigenen «Bußpriester» zu bestellen.
Nachdem das Christentum Staatsreligion geworden war, traten zu den kirchlichen Strafen bürgerliche, weil die Ketzerei als ein Verbrechen gegen den Staat galt; angesehene Kirchenväter, wie Augustinus, Leo d. Gr., billigten die Anwendung von Zwangsmaßregeln gegen die Ketzer. Todesstrafe wurde von Theodosius d. Gr. zuerst angedroht und an Priscillian 385 zuerst vollzogen. Aber erst im 12. Jahrh., als mit den Katharern (s. d.) und Albigensern (s. d.) die Ketzerei eine bedrohliche Verbreitung fand, entwickelte sich die eigentliche I., unabhängig von den Bischöfen, unmittelbar unter päpstl.
Leitung. Nachdem schon Papst Lucius Ⅲ. auf dem Konzil zu Verona [* 2] (1184) nähere Vorschriften über das Verfahren gegen Ketzer erlassen hatte, ergriff Innocenz Ⅲ. einschneidende Maßregeln. Um 1199 sandte er zwei Cisterciensermönche als päpstl. Legaten mit weitgehenden Vollmachten zur Unterdrückung der Katharer und Albigenser nach Südfrankreich, wozu auch die weltliche Macht aufgeboten wurde. Das vierte Laterankonzil (1215) machte die Aufspürung und Bestrafung der Ketzer zu einer Hauptaufgabe der Bischöfe.
Jeder Bischof wurde verpflichtet, seine Diöcese persönlich zu durchreisen oder durchreisen zu lassen und in jeder Parochie drei Einwohnern von unbescholtenem Rufe das eidliche Versprechen abzunehmen, alle der Ketzerei Verdächtigen anzuzeigen. Das Konzil zu Toulouse [* 3] (1229) verschärfte diese Bestimmungen noch. Die geheimen Zufluchtsstätten der Ketzer sollten auf Grund des allgemeinen Gerüchtes, geheimer Denunziation oder auch der Selbstanzeige erforscht und entdeckte Ketzer gefangen genommen werden.
Wer einen Ketzer verbarg, wurde mit Verlust des Vermögens oder gar des Lebens bedroht. Jedes Haus, in dem man einen Ketzer fände, sollte niedergerissen werden. Wer mit einem Ketzer, sei es auch nur in einem Wirtshause, verkehrte oder ihm Almosen gab oder in der Ehe mit ihm lebte, war ebenfalls verdächtig. Der auf die Vorladung nicht Erscheinende oder Flüchtige galt als schuldig; wer erschien, wurde eingekerkert. Die Namen der Ankläger und Zeugen wurden den Angeklagten verheimlicht; als Zeugen wurden Gläubige und Ungläubige, ja selbst Meineidige und Verbrecher zugelassen.
Wenn der Angeklagte leugnete, wurde die Tortur angewandt; schwor er sofort seinen Irrtum ab, so kam er mit den kirchlichen Strafen davon; wurde er für schuldig erkannt, so kamen meist noch weltliche Strafen hinzu. Kirchliche Strafen waren die öffentliche Schaustellung des Ketzers vor den Kirchenthüren, Wallfahrten, Bußübungen, bei denen die Büßer, angethan mit einem Sanbenito (Bußhemd, lat. saccus benedictus; ital. sacco benito), sonntäglich in die Kirche zogen und auf dem entblößten Rücken vom Priester mit Ruten gegeißelt wurden, ferner Exkommunikation (s. Kirchenbann) und für ganze ketzerische Gegenden das Interdikt (s. d.). Die leiblichen Strafen, namentlich die Todesstrafe, überließ die Kirche der weltlichen Obrigkeit; denn die Kirche «dürstet nicht nach Blut». Weltliche Strafen waren Einziehung des Vermögens, ¶
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öffentliche Geißelung, Kerkerhaft, häufig auf Lebenszeit und zwar bei Wasser und Brot, [* 5] in enger, nur mit einer kleinen Öffnung an der Decke [* 6] versehenen Zelle, [* 7] Einmauerung, oft noch durch Fesselung in Ketten verschärft, Deportation auf die Galeeren und endlich der Tod, meist auf dem Scheiterhaufen. (S. Auto de Fé.) Das christl. Begräbnis wurde schon im 12. Jahrh. den Ketzern verweigert, in späterer Zeit grub man sogar die Leichen derer, die nach ihrem Tode als Ketzer erkannt wurden, aus und verbrannte sie.
Papst Gregor Ⅸ. entzog die I. der bischöfl. Jurisdiktion, indem er 1232 in Deutschland, [* 8] Aragonien und Österreich, [* 9] 1233 in der Lombardei und in Südfrankreich die Dominikaner zu ständigen päpstl. Inquisitoren bestellte. Seitdem war die I. ein päpstl. Institut, dem sogar die Bischöfe unterstellt waren. Zunächst wütete die I. in Frankreich, namentlich in Südfrankreich; doch schon 1234 wandte sich zu Narbonne und 1212 zu Avignon ein Volksaufstand gegen sie.
Trotzdem erhielt sie sich unter dem Schutze von Ludwig Ⅸ. und seinen Nachfolgern bis ins 14. Jahrh.; dann aber verlor sie an Macht, und auch die Bemühungen unter Franz Ⅰ. und Heinrich Ⅱ., ihr wieder aufzuhelfen, hatten wenig Erfolg, obgleich diese Könige einen außerordentlichen Gerichtshof, die sog. Chambre ardente (s. d.), gegen die Ketzerei einsetzten. Franz Ⅱ. übertrug 1559 dem Parlament das Amt der Glaubensrichter. So bestand die I. in Frankreich bis 1772. Länger hielt sie sich in Spanien. [* 10]
Hier wurden seit 1391 die Juden und Mauren mit Gewalt zum Christentum bekehrt, wobei sich namentlich der Dominikaner Eymericus
(s. d.) hervorthat. Viele von ihnen blieben im stillen dem
väterlichen Glauben treu und gegen sie sollte die I. einschreiten. Ein Reichstag zu Toledo
[* 11] beschloß (1480) die Einsetzung
eines Inquisitio
nsgerichts. König Ferdinand der Katholische sah darin ein bequemes Mittel, die Gewalt des Lehnsadels und des
Klerus zu brechen. Papst Sixtus Ⅳ. übertrug dem König die Ernennung der Inquisitoren und gestattete,
daß die Güter der Verurteilten dem Fiskus anheimfielen.
Damit wurde die I. hier ein königl. Institut. Ferdinand ernannte den Dominikanerprior Thomas de Torquemada zum Generalinquisitor, der seine Thätigkeit 1481 in Sevilla [* 12] begann und bis 1498 fortführte. In diesen Jahren sollen in Spanien von der I. 8800 Menschen lebendig, 6500 im Bilde verbrannt, 90000 mit Vermögensstrafen und kirchlichen Büßungen belegt worden sein. Erst Joseph Napoleon hob 1808 die I. in Spanien auf, Ferdinand Ⅶ. stellte sie 1814 wieder her; aber das Volk widersetzte sich energisch, und 1834 wurde sie endlich für alle Zeiten aufgehoben und ihre Güter zur Bezahlung der öffentlichen Schuld verwandt. Im ganzen sind in Spanien nach den 1834 veröffentlichten Berichten von 1481 an durch die I. 34658 Menschen öffentlich oder im geheimen hingerichtet und 288214 zu den Galeeren oder zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt worden.
Von Spanien aus wurde die I. auch in den amerik. Besitzungen eingeführt. Ihre Einführung in den Niederlanden, wo ihr unter Karl Ⅴ. mindestens 50000 Menschen zum Opfer fielen, veranlaßte die Losreißung dieser Provinzen. Nach Portugal kam die I. 1557. Der Großinquisitor in Lissabon [* 13] wurde vom König ernannt, vom Papst bestätigt. Von Portugal aus kam sie nach Ostindien, [* 14] wo sie in Goa ihren Sitz hatte. Nachdem bereits früher mehrere Einschränkungen erfolgt waren, wurde die I. in Portugal 1821 durch König Johann Ⅵ. aufgehoben. In Italien [* 15] wurde die I. 1235 von Papst Gregor Ⅸ. eingeführt, 1542 von Papst Paul Ⅲ. zur Unterdrückung des Protestantismus verschärft und bis in die neuere Zeit ganz besonders zur Bekämpfung der Waldenser verwendet.
Napoleon Ⅰ. hob 1808 die I. in Italien auf, aber Papst Pius Ⅶ. stellte sie 1814 wieder her, und erst 1859 wurde sie endgültig beseitigt, nachdem noch 1852 die Eheleute Madiai wegen Übertritts zum Protestantismus zu den Galeeren verurteilt worden waren. Als eine der röm. Kardinalskongregationen (Congregatio Sancti Officii) besteht die I. noch jetzt. In der Republik Venedig [* 16] stand die I. unter der Aufsicht des Staates. In Neapel [* 17] hinderten die Streitigkeiten zwischen König und Papst ihre Wirksamkeit. In Deutschland wurde die I. bald nach ihrer Begründung eingeführt, aber schon der erste Ketzerrichter, Konrad (s. d.) von Marburg, [* 18] ward 1233 ermordet. Um den Haß des Volks und der Großen gegen die I. zu dämmen, erließ Kaiser Friedrich Ⅱ., obgleich selbst als Ketzer gebannt, Verordnungen zur Ausführung ihrer Bluturteile, und Karl Ⅳ. mußte sie 1369 von neuem durch Mandate schützen.
Gegen die Beghinen (s. d.) und Begharden ernannte Papst Urban Ⅴ. 1367 wieder zwei Dominikaner als Inquisitoren
für Deutschland, von denen Walter Kerlinger durch Grausamkeit sich hervorthat, und Papst Innocenz Ⅷ. gab ihr 1484 eine größere
Ausdehnung
[* 19] unter dem Vorwande, daß Deutschland von Hexen und Zauberern bedroht sei. Seine beiden Inquisitoren Heinrich Krämer
(Institor) und Jakob Sprenger veröffentlichten u. d. T.: «Hexenhammer» (malleus maleficarum) eine Darstellung
des Inquisitio
nsverfahrens.
Mit der Reformation verschwand die I. aus Deutschland. In England hat die I., abgesehen von der kurzen Regierung der blutigen Maria, keinen Boden gefunden. –
Vgl. F. Hoffmann, Geschichte der I. (2 Bde., Bonn [* 20] 1878);
Lea, A history of inquisition
(3
Bde., Neuyork
[* 21] 1888);
über die spanische: I. Llorente, Histoire critique de l’inquisition
d’Espagne
(4 Bde., Par. 1817‒18; 2. Ausg.
1820; Auszug von Gallois, 1822; deutsch von Höck, 4 Bde., Gmünd
[* 22] 1819‒22), ferner die span. Werke von Fuente, Orti y Lara
und Garcia Rodrigo (Madr. 1874, 1877, 1879) und Gams, Kirchengeschichte von Spanien (3 Bde., Regensb. 1876‒79);
über die portugiesische I. das Werk von Herculano (3 Bde., Lissab. 1854‒59);
über die italienische: M’Crie, Histoy of the suppression of the reformation in Italy (Edinb. 1827 u. ö.), und Amabile, Il santo officio della inquisizione (2 Bde., Città di Castello 1892);
über die französische: de
La Mothe-Langon, Histoire de l’inquisition
de France (3 Bde., Par. 1829), und
Molinier, L’inquisition
dans le midi de la France au ⅩⅢᵉ et ⅩⅣᵉ siècle (ebd. 1880);
über die niederländische: P. Fredericque, Inquisitio haereticae pravitatis Neerlandica (Haag [* 23] 1892);
über die deutsche: Ribbek, Beiträge zur Geschichte der I. in Deutschland (in der «Zeitschrift für vaterländische Geschichte», Münst. 1888).