Indogermanen,
Sammelname für die Völker, deren Sprachen dem indogermanischen Stamm angehören, nämlich in Europa die Griechen, die italischen Stämme, die Kelten, Albanesen (Illyrier), Germanen und Slawo-Letten, in Asien die Inder, Iranier und Armenier. Der Ausdruck I., welcher diesen Sprach- und Volksstamm durch die am weitesten östlich wohnende und die am weitesten nach W. vorgeschobene Sprachfamilie bezeichnen sollte, ist heutzutage nicht mehr ganz zutreffend, da die Kelten, deren indogermanischen Charakter man erst neuerdings erkannte, in der Bretagne, in Wales und Irland, also noch weiter nach W. hin wohnen als die Germanen.
Einige, namentlich englische und französische, Sprachforscher gebrauchen daher lieber die Bezeichnung Indoeuropäer, andre den Ausdruck Arier (s. d.), der jedoch speziell die Inder und Perser bezeichnet. Die Zeit, in welcher die Vorfahren der indogermanischen oder indoeuropäischen Stämme ein Volk bildeten, liegt weit hinter ihren historischen oder Sagenüberlieferungen zurück; es lassen sich daher über ihre Urheimat und ihre allmähliche Zerstreuung nur Vermutungen aufstellen.
Lange hielt man es für wahrscheinlicher, daß die uralte Völkerwanderung der I. von O. nach W., als daß sie von W. nach O. ging, und die besten Autoritäten in Sprachwissenschaft und Völkerkunde neigten sich der Ansicht zu, daß die Urheimat der I. in Zentralasien, etwa im Quellengebiet des Oxus, an den Abhängen des Hindukusch, zu suchen sei. Hier wäre die erste Spaltung eingetreten, indem die Ahnen der europäischen I. (im Norden des Kaspischen Meers?) nach W. zogen und sich in Europa durch eine Reihe weiterer Spaltungen in die vorerwähnten Völker schieden, dagegen die Arier, d. h. die Vorfahren der sehr nahe verwandten Inder und Perser, zurückblieben und sich allmählich teils nach W. zu über Iran, teils in südlicher Richtung über Indien ausbreiteten.
Die Armenier, die am nächsten mit den Iraniern verwandt sind, scheinen jedoch erst spät nach Armenien gekommen zu sein, da die ältesten in Armenien gefundenen Inschriften in einer nichtindogermanischen Sprache abgefaßt sind; nicht viel früher scheint Kleinasien von I. besetzt worden zu sein und zwar von Europa aus, da das Phrygische und andre indogermanische Sprachen, die dort im Altertum herrschten, mit den europäischen Sprachen näher verwandt sind. Aus diesen und andern Gründen, namentlich auch wegen der Übereinstimmung der ältesten indogermanischen Kultur mit der Kultur der europäischen Pfahlbauten, verlegen neuere Forscher die Urheimat der I. nach Europa. Von besonderm Interesse sind die Ergebnisse, welche die Ausscheidung der gemeinsamen Wörter für die Kenntnis des Kulturzustandes der I. liefert. Aus dem auf diese Weise festgestellten Sprachschatz der I. erfahren wir, daß sie ein Hirtenvolk
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waren, das aber auch Wagen mit Rädern gebrauchte und Anfänge des Ackerbaues und das Kupfer kannte. Die Bande des Bluts und der Familie hielten sie heilig, und selbst die entferntern Verwandtschaftsgrade wurden sorgfältig unterschieden; auch gab es Geschlechtsverbände, Häuptlinge und Fürsten. Man zählte nach dem dekadischen System mindestens bis 100. Die Religion war polytheistisch, ein Dienst der Naturmächte, z. B. des »Himmelsgottes« (sanskr. Dyaus, griech. Zeus).
Der Versuch, die indogermanischen Sprachwurzeln mit den Wurzeln andrer Sprachstämme, namentlich des semitischen, zu vermitteln, hat bisher kein Resultat geliefert. Flektierend wie der semitische Sprachtypus, repräsentiert der indogermanische Sprachenbau mit ersterm zusammen die höchste Stufe in der Entwickelung des menschlichen Sprachvermögens, ist aber von dem semitischen Typus nach Laut und Form wesentlich verschieden. Die Entdeckung des indogermanischen Sprachstammes verdankt man hauptsächlich dem Dichter Friedr. Schlegel (vgl. dessen »Sprache und Weisheit der Inder«, Heidelb. 1808); den eingehenden Nachweis, daß die Grammatik und der ganze Bau dieser Sprachen bis auf die kleinsten Einzelheiten vollkommen übereinstimmt, gab Fr. Bopp (s. d.) in seiner »Vergleichenden Grammatik«. Der Wortschatz der indogermanischen Urzeit ist am eingehendsten zusammengestellt worden von Fick (»Vergleichendes Wörterbuch der indogermanischen Sprachen«, 3. Aufl., Götting. 1874-76, 3 Bde.).
Vgl. O. Schrader, Sprachvergleichung und Urgeschichte (Jena 1883).