(lat. Immunitätsrecht,Emunität), im allgemeinen
Befreiung von Obliegenheiten,
¶
mehr
insbesondere von öffentlichen Diensten, Lasten und Abgaben. In den ältesten Zeiten deutscher Geschichte genossen einer solchen
Bevorzugung die Güter des Königs und seiner nächsten Umgebung. In Verbindung hiermit stand die Befreiung von der Gewalt der
gewöhnlichen öffentlichen Gerichte, an deren Stelle der Besitzer des Freigebiets in Person oder durch seine
Beamten, Vögte, die Gerichtsbarkeit ausübte. Besonders aber war es die Geistlichkeit, welche im Mittelalter für sich und ihre
Besitzungen die I. (Immunitas ecclesiastica) zu erreichen und auch außerhalb derselben Laien in geistlichen wie in weltlichen
Dingen vor ihre Gerichte zu ziehen wußte. Dem Rechtsstaat der Neuzeit widerstrebt jede I., aber nur allmählich
ist deren Beseitigung gelungen. Heutzutage bestehen nur noch wenige rechtliche Bevorzugungen einzelner Stände, wie z. B.
die Befreiung der Mediatisierten von der allgemeinen Wehrpflicht. Solche Sonderrechte werden auch jetzt noch Immunitäten genannt.
I. hieß auch der Bezirk, für welchen die fraglichen Sonderrechte in Anspruch genommen werden konnten. - In der
Medizin versteht man unter I. die Widerstandsfähigkeit gegen Ansteckungskeime, welche unter gewöhnlichen Verhältnissen
eine Krankheit hervorrufen.
Eine gewisse Anzahl von Ansteckungskeimen sind nur bei Menschen wirksam (Cholerabacillen,
[* 3] Scharlach, Masernkontagium, Syphilis),
während alle Tiere dagegen immun sind; andre Ansteckungskeime wirken auf Menschen und auf einzelne Tierarten, z. B. die Spirochäten
des Rückfallfiebers sind wirksam auf Menschen und Affen,
[* 4] das Hundswutgift auf Menschen, Hunde,
[* 5] Wölfe, Katzen,
[* 6] Kaninchen,
[* 7] während andre Tiere, z. B. Affen, dagegen sich immun verhalten. Drittens gibt es Krankheitskeime, welche nur auf
einzelne Tierarten wirken (Rinderpest, Lungenseuche etc.), während alle Menschen dagegen I. besitzen. Ausnahmsweise beobachtet
man bei einzelnen Individuen zuweilen eine I. gegen Krankheitskeime, gegen welche die meisten andern
Individuen empfänglich sind. Künstlich kann eine I. durch »Gewöhnung«,
d. h. entweder durch einmaliges Überstehen der Krankheit oder durch Impfung
[* 8] (s. d.) mit einer schwächern Abart desselben Ansteckungsstoffs,
erworben werden.
Wenn auch das Wesen der I. immer noch nicht völlig aufgeklärt ist, so hat doch die Lehre
[* 9] von derselben
(vgl. Immunität, Bd. 17) neuerdings
sehr bedeutsame Fortschritte zu verzeichnen. Indem einerseits die Unhaltbarkeit der Erschöpfungstheorie durch experimentelle
Untersuchungen klar dargethan wurde, hat sich anderseits zunächst das Studium den andern Theorien wieder mehr zugewandt, und
es ist Metschnikow geglückt, trotz der gewichtigsten Einwände und vieler gegenteiliger Beobachtungen andrer Forscher schließlich
doch den Nachweis zu führen, daß, wenigstens unter Umständen, wirklich lebende Bakterien in die weißen Blutkörperchen
[* 10] immuner Tiere aufgenommen werden; zuerst glaubte er in einem besondern Färbeverfahren (mit Vesuvin) die
lebenden von den toten Bakterien unterscheiden zu können.
Als dieses Verfahren sich als nicht einwandfrei erwiesen hatte, ging er von der Überlegung aus, daß die Bacillen (in allen
den fraglichen Versuchen handelte es sich um Milzbrandbacillen), wenn sie vor der Berührung mit den Freßzellen
geschützt wären, leichter auskeimen und sich vermehren müßten. Um dies zu erweisen, wickelte er an Seidenfädchen angetrocknete
Milzbrandsporen in Schilfrohrsäckchen und ähnliches Material, welches den Körpersäften, nicht aber den weißen Blutzellen
den Durchtritt gestattete, ein, brachte diese Säckchen immunen Tieren unter die Haut
[* 11] und fand nun, daß
die Sporen innerhalb der Säckchen zum Auskeimen gelangten, außerhalb dagegen nicht.
Die Resultate, welche andre Forscher bei Nachprüfung dieser Versuche erhielten, waren teils widersprechend, teils nicht Unbedingt
bestätigend. Schließlich gelang Metschnikow der Nachweis auf die Art, daß er Phagocyten haltendes Exsudat von der Impfstelle
in Bouillon brachte, wodurch die Freßzellen getötet wurden, nicht aber die innerhalb derselben liegenden
Bacillen, und diese konnte er nun unter dem Mikroskop
[* 12] unmittelbar auswachsen sehen. Er konnte darauf an eben diesen von den
Zellen aufgenommenen (aber durch Abtötung der Freßzellen wieder befreiten) Bacillen sogar noch ihre Infektionstüchtigkeit
durch Übertragung auf Tiere erweisen. So schön aber der Beweis geliefert war, daß wirklich lebende Bacillen
von den Phagocyten aufgenommen werden, so konnte sich dennoch Metschnikows auf diese
¶
mehr
Beobachtungen gestützte Theorie von der I. keine allgemeine Anerkennung verschaffen. Es wurde nämlich neuerdings von verschiedenen
Forschern übereinstimmend die Beobachtung gemacht, daß das zellenfreie Blutwasser (Serum) bakterientötende Eigenschaften
besitze. Darauf wurde eine neue Immunitätstheorie aufgebaut, indem man annahm, das normale Blut enthalte eine bakterienfeindliche
Substanz in größerer oder geringerer Menge, bez. Giftigkeit, und von der qualitativen oder quantitativen
Verschiedenheit dieser Substanz hänge die für die verschiedenen Menschen, bez. Menschenrassen
[* 14] und für die verschiedenen Tiergattungen
verschiedene I. ab. Diese Theorie mußte die Phagocytenlehre Metschnikows mindestens als überflüssig erscheinen lassen, denn
wenn beim immunen Tiere schon die Blutflüssigkeit die Bakterien abtötet, so bedarf es nicht noch des
Kampfes der zelligen Elemente mit den Bakterien, um diese letztern der Vernichtung entgegenzuführen.
Nun hätte man aber folgerichtig erwarten müssen, daß nur das Blutserum immuner Tiere diese Fähigkeit, pathogene Bakterien
zu töten, besitze, nicht aber auch dasjenige der empfänglichen Tiergattungen. Dies ist aber nicht der
Fall: auch das Serum der für Milzbrand empfänglichen Tiere vermag Milzbrandbacillen abzutöten, anderseits wurde diese Fähigkeit
bei Blutserum milzbrandimmuner Katzen etc. vermißt. Bei Würdigung all dieser Versuche darf man nicht aus dem Auge
[* 15] verlieren,
daß sie an aus der Ader gelassenem toten Blute angestellt sind. Eine befriedigende Erklärung für die
I. kann also auch die Thatsache der bakterienvernichtenden Kraft
[* 16] des zellenfreien Blutserums nicht liefern.
Wie aber die praktischen Bestrebungen, zum Schutz, bez. zu Heilungszwecken künstliche I. zu erzeugen, in der Erreichung
glänzender Erfolge der theoretischen Ergründung des Wesens der I. vorausgeeilt sind, so haben sie auch für die Theorie neue
Gesichtspunkte eröffnet: die Beobachtungen, welche man bei der Herstellung und Anwendung der künstlich abgeschwächten Giftstoffe
gemacht hat, haben die Wahrscheinlichkeit immer näher gerückt, daß die künstliche Immunisierung weniger durch die (abgeschwächten)
Bakterien selbst, als vielmehr durch deren Stoffwechselprodukte, also durch chemische Gifte bedingt werde, daß also die Durchseuchung
eines Individuums mit einer Infektionskrankheit im wesentlichen dadurch zur I. führen müsse, daß Stoffwechselprodukte
von Bakterien im Körper zurückbleiben, welche nur sehr langsam aus dem Körper wieder verschwinden, und an deren Anwesenheit
der Körper sich gewöhnt wie an andre chemische Gifte auch.
Diese Stoffwechselprodukte machen es, wenn sie in gewisser Konzentration im Organismus vorhanden sind,
neu eindringenden Bakterien derselben Art unmöglich, sich anzusiedeln, weil, wie auch im Reagenzglas zu beobachten ist, die
Bakterien, nachdem sie eine gewisse Entwickelungsgrenze erreicht haben, durch ihre eignen Stoffwechselprodukte am Weiterwachsen
gehindert werden. Dies ist nichts andres als die schon Band
[* 17] 17 erwähnte Retentionshypothese. Auf solchen Erwägungen
fußend, hat man denn auch angefangen, zur Erzielung künstlicher I. statt der abgeschwächten Bakterienkulturen sterilisierte
zu verwenden, also die I. lediglich durch die chemischen Produkte des Bakterienstoffwechsels herbeizuführen und, so jung
diese Bestrebungen noch sind, mit dem glänzendsten Erfolg.
Die Verwendung sterilisierter Kulturen zur Immunisierung hat neben der hohen theoretischen Bedeutung den
gar nicht hoch genug anzuschlagenden praktischen
Vorteil, daß damit der zur Immunisierung verwandte Stoff zu einem richtig
abmeßbaren, dosierbaren, chemischen Körper wird, wogegen man bei Einverleibung wenn auch abgeschwächter, so doch vermehrungsfähiger,
pathogener Mikroorganismen die Wirkung auf den Organismus nicht in allen Fällen mit der nötigen Sicherheit in der
Hand
[* 18] hat.
Schon in Band 17 wurde hervorgehoben, wie als letztes Endziel der Studien über I. die Heilung der Infektionskrankheiten angestrebt
werde. Die EntdeckungRobertKochs steht auf diesem Boden der künstlichen Immunisierung durch Stoffwechselprodukte der Tuberkelbacillen,
welche durch Sterilisierung der Bacillenkulturen und Isolierung der chemischen Giftstoffe durch ein besonderes
technisches Verfahren (Ausziehen mit 50proz. Glycerin) gewonnen werden.Koch äußerte sich über diesen Punkt in seinem Vortrag beim
achten MedizinischenKongreß in Berlin
[* 19] wie folgt: ». ich kann über dieselben (Versuche) daher nur so viel mitteilen, daß Meerschweinchen,
welche bekanntlich für Tuberkulose außerordentlich empfänglich sind, wenn man sie derWirkung einer solchen
Substanz aussetzt, auf eine Impfung mit tuberkulösem Virus nicht mehr reagieren, und daß bei Meerschweinchen, welche schon
in hohem Grade an allgemeiner Tuberkulose erkrankt sind, der Krankheitsprozeß vollkommen zum Stillstand gebracht werden kann.«
Ferner gelang es Fränkel, vermittelst sterilisierter Kulturen von Diphtheriebacillen Meerschweinchen gegen
Diphtherie immun zu machen, und Behring und Kitasato konnten sogar schon mit Diphtherie, bez. Wundstarrkrampf infizierte Tiere
durch ähnliche Immunisierungsverfahren heilen.
Sind auch zur Zeit die Erfolge mit dem Kochschen Heilmittel gegen Tuberkulose noch nicht richtig übersehbar, haben sich auch
die Stimmen, welche demselben seine Bedeutung absprechen oder dasselbe für schädlich zu erklären geneigt
sind, eher gemehrt als gemindert, so bleibt doch für diejenigen, welche den Gang
[* 20] der Immunisierungs-Untersuchungen verfolgen,
kein Zweifel, daß hier die Therapie der Zukunft, und zwar der allernächsten, liegt, und daß die zur Zeit noch bestehenden
Mißstände und Schwierigkeiten sich bald und sicher werden beseitigen lassen.
Ausnahmestellung gewisser Personen im Sinne eines Vorrechts;
z. B. Diplomaten eines fremden Landes, dann
aber auch Parlamentarier, die während der Sessionen nicht strafrechtlich verfolgt werden können. Dann auch: Nichtanfälligkeit
für Krankheitskeime, gewisse Ideen usf.