Hypnotismus
(grch.), die Lehre [* 3] von den hypnotischen Erscheinungen; auch der hypnotische Zustand, die Hypnose selbst. Letztere ist eine eigentümliche Störung (meist nicht völlige Aufhebung) des Bewußtseins oder (in den leichtesten Graden) nur des Willens, die durch bestimmte («hypnosigene») Einwirkungen hervorgebracht werden kann. Diese sind einseitige Anspannung der Aufmerksamkeit (z. B. Fixieren eines glänzenden Knopfes, Braidismus, s. auch Braid; einförmige Geräusche oder Töne, leise Hautreize mittels Streichelns u. dgl. hervorgerufen, Mesmerismus) und vor allem das lebhafte Denken an den hypnotischen Zustand, sei es daß dasselbe erweckt wird durch entsprechende Zurufe (Schlafen Sie!) oder durch selbständige Willensthätigkeit (Autohypnose), wobei es sich um eine sog. Suggestion (s. d.) handelt.
Die Tiefe der Bewußtseinsstörung ist sehr verschieden; sie wird bestimmt nach der Fähigkeit, sich nach Aufhebung der Hypnose der Vorkommnisse mehr oder weniger zu erinnern, und nach der Intensität der Reize, die angewandt werden müssen, um die Hypnose zu verscheuchen. Was letztere anlangt, so genügen hierzu meist leichte Hautreize (Anblasen des Gesichts u. dgl.) oder Zurufe (Wachen Sie auf!); in manchen Fällen gelingt es nicht, künstlich die Hypnose zu verscheuchen; man hat dann den sog. lethargischen Zustand vor sich, dessen Zugehörigkeit zur Hypnose zwar z. B. von Charcot behauptet wird, indes fraglich ist. Dann muß die Rückkehr des Bewußtseins von selbst erfolgen, was mitunter erst nach Tagen geschieht. Im lethargischen Zustand ist die Fähigkeit zu willkürlichen Bewegungen völlig aufgehoben.
Die Haupterscheinung des Hypnotismus
ist die
Suggestibilität (s.
Suggestion), und hierauf sind die meisten körperlich-geistigen
Veränderungen
während der
Hypnose zurückzuführen. Zustände des eigenen Körpers oder Vorgänge in der Außenwelt,
welche die Hypnotisierten sich von selbst oder auf äußere Anregung (Worte, Gesten) vorstellen, treten thatsächlich ein,
werden scheinbar wirklich wahrgenommen. Es kommen so die verschiedensten
Störungen der willkürlichen
Bewegungen, der
Muskeln,
[* 4] der Sinneswahrnehmungen zu stande, wie
Lähmungen, Kontrakturen, Katalepsie,
Unempfindlichkeit der
Haut
[* 5] gegen schmerzhafte Eindrücke,
Blindheit,
Taubheit, desgleichen Überempfindlichkeit der
Sinne,
Sinnestäuschungen (s. d.)
u. dgl. Ob unabhängig
von
Suggestionen
Veränderungen im Organismus in der
Hypnose auftreten (z. B. die
Unempfindlichkeit gegen schmerzhafte Einwirkungen,
ungewöhnliche Reflexbewegungen,
Steigerung der Erinnerungsfähigkeit dergestalt, daß Längstvergessenes wieder auftaucht,
Verfeinerung der Sinnesempfindungen, sodaß äußerst schwache Reize empfunden werden), ist noch streitig; doch treten diese
Erscheinungen jedenfalls auch auf, ohne daß man einen suggestiven Einfluß nachweisen kann.
Beschleunigung des Pulses und der
Atmung findet sich hauptsächlich bei der
Hypnose, die nach der Braid
schen Methode hervorgerufen
wird.
In den leichtesten
Graden der
Hypnose, welche zum
Teil dem normalen Schlaf ähneln, fehlen meist sonstige Erscheinungen,
insbesondere die
Suggestibilität; Puls,
Atmung sind verlangsamt
bez. vertieft. Derartige Zustände treten
besonders ein, wenn die
Hypnose durch Zuspruch (Schlafen Sie!) herbeigeführt wird, sodaß diese Methode als die unschädlichste
anzusehen ist. Nach dem Erwachen findet sich in gewissen Fällen vollständige Erinnerungslosigkeit für die während der
Hypnose gemachten Erlebnisse. War hierbei die Fähigkeit, auf äußere Eindrücke zu reagieren,
Bewegungen
auszuführen
u. dgl., erhalten, so spricht man von künstlichem
Somnambulismus, über andere nach der
Hypnose auftretende Erscheinungen
s.
Suggestion.
Über das Wesen der
Hypnose existieren nur unbefriedigende
Theorien; man führt sie auf
Blutarmut, Thätigkeitshemmung der Hirnrinde
zurück, ohne genügende
Begründung. Die Empfindlichkeit für hypnosigene Einflüsse, die Neigung in
den hypnotischen Zustand zu verfallen, ist bei verschiedenen
Personen sehr verschieden. Manche glauben, daß jeder
Mensch hypnotisierbar
ist, andere geben nur einen geringen Prozentsatz zu. Intelligente
Personen sind mehr disponiert als stumpfe; auffallend wenig
disponiert sind Geisteskranke.
Andere Individuen verfallen ohne besondere äußere Veranlassung in
Hypnose
(Morbus hypnoticus),
z. B.
Hysterische, die aber keineswegs alle dazu neigen, sodaß die Identifizierung von
Hysterie und
Hypnose
unbegründet ist. Der Hypnotismus
wird neuerdings, wie schon seit
Mesmer und früher, auch als Heilmethode angewandt. Insofern sich
die hier erzielten
¶
mehr
Resultäte meist oder ausschließlich auf Suggestionen zurückführen lassen, s. Suggestion.
Der moderne Hypnotismus
hat sich aus dem sog. Mesmerismus entwickelt, wenn auch die betreffenden
Erscheinungen teilweise bereits viel früher bekannt waren. Mesmer (s. d.) hielt dieselben für die Wirkung einer besondern
Kraft
[* 7] (des tierischen Magnetismus),
[* 8] die manche Personen in besonderer Intensität besitzen sollten. Tief
drang Abbé Faria (1815) in die Erscheinungen ein, der zu Anschauungen kam, die sich mit den gegenwärtig herrschenden nahezu
decken. Wissenschaftlich untersucht und in methodischer Weise verwertet wurden sie besonders von Braid 1841, der auch die Bezeichnung
Hypnotismus
zuerst anwandte.
Unter den neuern Forschern ist neben Charcot besonders Liébeault zu nennen, welcher die Schule von Nancy
[* 9] gründete und insbesondere die Bedeutung der Suggestion für den Hypnotismus
erkannte. In Deutschland
[* 10] wurde die Aufmerksamkeit der Ärzte
und Laien auf die bereits fast vergessenen Entdeckungen Braids durch den dän. «Magnetiseur» Hansen gelenkt (1876-80), und erst
im Anschluß hieran beteiligten sich deutsche Forscher an dem Studium der hypnotischen Erscheinungen.
Vgl. Weinhold, Hypnotische Versuche (Chemn. 1880);
Heidenhain, Der sog. tierische Magnetismus (Lpz. 1880);
Schneider, Die psychol.
Ursache der hypnotischen Erscheinungen (ebd. 1880);
Preyer, Die Entdeckung des Hypnotismus
(Berl. 1881);
Avé-Lallemant, Der Magnetismus mit seinen mystischen Verirrungen (Lpz. 1881);
Gilles de la Tourette, L' hypnotisme et les états analogues au point de vue médico-legal (2. Aufl., Par. 1888; deutsch, Hamb. 1889);
Preyer, Der Hypnotismus
Vorlesungen (Wien
[* 11] 1890);
Alfr. Lehmann, Die Hypnose (Lpz. 1890);
Moll, Der Hypnotismus
(2. Aufl., Verl. 1890);
Forel,
Der Hypnotismus
(2. Aufl., Stuttg. 1891);
Bernheim, Neue Studien über Hypnotismus
(Wien 1892);
Wundt, und Suggestion (Lpz. 1892);
Schmidkunz, Der Hypnotismus
in gemeinfaßlicher Darstellung (Stuttg. 1892);
Krafft-Ebing, Eine experimentelle Studie auf dem
Gebiet des Hypnotismus
(3. Aufl., Verl. 1893);
Schapira, Der Hypnotismus
in seiner psychol.
Beziehung und forensischen Bedeutung (ebd. 1893);
Zeitschrift für Hypnotismus
, Suggestionstherapie, Suggestionslehre und verwandte psychol. Forschungen (ebd.,
seit 1892).
Auch in der Tierwelt sind hypnotische Erscheinungen durchaus nicht selten, ja hier länger gekannt als bei dem Menschen. Schon Athanasius Kircher erwähnt in seiner «Ars magna lucis et umbrae» (Rom [* 12] 1646) ein «experimentum mirabile», darin bestehend, daß er eine Henne, deren Beine zusammengebunden waren, auf den Boden niederlegte und in querer Richtung von jedem ihrer Augen ab nach außen einen Kreidestrich zog, worauf das Tier auch nach Lösung der Fessel längere Zeit regungslos liegen blieb.
Joh. Nepom. Czermak hat dieses Experiment mit dem nämlichen Erfolge wiederholt; es gelang wohl auch ohne den Kreidestrich,
sicherer mit ihm oder wenn den Tieren etwas (ein Holzreiterchen, Stückchen Wachslicht u. s. w.) auf der
Schnabelwurzel befestigt wurde. Czermak meint, daß die Tiere diesen fremden Gegenstand unverwandt fixieren und dadurch schließlich
in einen so hochgradigen Zustand nervöser Ermüdung geraten, daß sie sogar einschlafen. Auch die fascinierende Kraft des
Schlangenblicks scheint bei kleinen Tieren unzweifelhaft, vielleicht sogar bei nervösen Menschen ähnliche
Erscheinungen hervorzurufen. Wahrscheinlich ist auch das Sichtotstellen vieler
Insekten
[* 13] sowie der taumelnde Flug vom Nest aufgescheuchter
Kiebitze und anderer Vögel
[* 14] weniger Folge einer List und klugen Überlegung, als vielmehr Lähmungserscheinung infolge des
vor Angst geschwundenen Selbstbewußtseins. Preyer unterscheidet zwei Zustände bei den nach Czermaks Art
behandelten Tieren, eine Schreckwirkung (Kataplexie) und den eigentlichen Hypnotismus.
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Vgl. Czermak, Nachweis echter hypnotischer Erscheinungen bei Tieren (Wien 1873);
Preyer, Die Kataplexie und der tierische Hypnotismus
(Jena
[* 15] 1878).