Hypérbel
(griech. Hyperbole, »Überschuß«),
in der
Geometrie derjenige
Kegelschnitt, dessen numerische
Exzentrizität
ε größer als 1 ist. Sie besteht aus zwei getrennten, symmetrischen
Zweigen, die ins Unendliche laufen und einander
in den Endpunkten A und
A, der Hauptachse, den
Scheiteln (s. Figur), am nächsten kommen. Der Halbierungspunkt
O der Hauptachse
AA' (= 2a) ist der
Mittelpunkt der Hypérbel.
Er liegt außerhalb der
Kurve, und die durch ihn gehende Nebenachse BB' = 2b schneidet
dieselbe nicht.
Auf der
Verlängerung
[* 3] der Hauptachse liegen in gleicher
Entfernung e = ^[img] vom
Mittelpunkt beiderseits die
Brennpunkte
F und
G. Es ist nun für alle
Punkte P der Hypérbel
der Unterschied der beiden
Entfernungen
PF und PG oder der
Leitstrahlen
gleich der Hauptachse, und zwar ist für den
Zweig links
PF - PG = 2a, für den andern dagegen PG -
PF = 2a.
Mittels dieser
Eigenschaft
lassen sich beliebig viele
Punkte einer Hypérbel
zeichnen. Die
Größe e ist die lineare
Exzentrizität; dividiert
man sie mit a, so erhält man die numerische
Exzentrizität ε. In rechtwinkeligen
Koordinaten
[* 4] OM = x und
MP = y
hat die Hypérbel
die
Gleichung (x² / a²) - (y² / b²) = 1. Dieselbe Form hat die
Gleichung auch, wenn man
als Koordinatenachsen ein
Paar konjugierte
Halbmesser nimmt, nur treten dann an die
Stelle von a und b andre
Längen.
Die
Tangente PT eines
Punktes P der Hypérbel
halbiert den
Winkel
[* 5] zwischen beiden
Leitstrahlen
PF und PG. Die Hypérbel
hat zwei
Asymptoten,
d. h.
Gerade, denen sie sich unbegrenzt nähert, ohne sie in endlicher
Entfernung zu erreichen. Es sind
dies die beiden
Geraden, welche man erhält, wenn man im
Scheitel A auf der Hauptachse eine
Senkrechte errichtet, auf ihr
AC
=
AC' = b abträgt und C und C' mit dem
Mittelpunkt O verbindet. Ist
a = b, so schließen die
Asymptoten
einen rechten
Winkel ein, die Hypérbel
heißt dann gleichseitig. Zwei Hyperbeln
heißen konjugiert, wenn die Hauptachse der
einen die Nebenachse der andern ist und umgekehrt.
Vgl.
Kegelschnitte;
[* 6] speziell über die gleichseitige Hypérbel
s. Milinowski,
Geometrie der gleichseitigen Hypérbel
(Leipz. 1883).
In der
Rhetorik und
Poetik heißt Hypérbel
die Übertreibung des
Ausdrucks über das
Maß der
Wahrheit hinaus, um
dadurch den
Gedanken kräftiger hervortreten zu lassen, und zwar kann dieselbe der
Natur der
Sache nach sowohl für das
Erhabene
als für das Lächerliche gebraucht werden. Die
Neigung dazu ist in der
Natur des
Menschen begründet; sie spricht sich schon
in vielen unsrer Höflichkeitsformeln aus (z. B. im
pluralis majestatis Wir, in der Anrede einer einzelnen
Person Ihr, Sie), macht sich aber besonders als Äußerung der lebhaften
Empfindung und der leidenschaftlich erregten
Seele
geltend. R.
Gottschall unterscheidet die naive Hypérbel
von der Hypérbel der
Reflexion.
[* 7] In jener glaubt die
Phantasie selbst an
das Übermaß der
Erscheinung und stellt dieses ohne Zusatz als selbstverständlich hin; sie gehört mehr der Schilderung
an und findet sich am häufigsten in der
Symbolik der orientalischen
Religionen, seltener bei neuern Dichtern, z. B. bei
Ossian:
»Ihn ergötzte die blutige
Schlacht, sein
Arm war ein
Donner des
Himmels«.
Die Hypérbel
der
Reflexion geht unmittelbar aus dem
Pathos der
Leidenschaft
(der
Liebe, des
Zorns des
Schmerzes)
hervor, behält aber unwillkürlich ein
Bewußtsein der Übertreibung bei, indem sie dieselbe auf unmögliche Voraussetzungen
basiert oder in die Form einer unmöglichen
Bedingung, eines unmöglichen
Wunsches kleidet (z. B. bei
Schiller:
»Eh' ich dir
entsage, eh' nahe sich das Ende aller
Tage«). Am häufigsten finden wir diese Ausdrucksweise bei allen
orientalischen Dichtern, bei den
Sängern der
Bibel,
[* 8] bei
Calderon,
Shakespeare,
Schiller,
Victor
Hugo, ebenso bei unsern Kraftdramatikern
von
Lenz und
Klinger bis
Hebbel. Die antiken Dichter und Schriftsteller sind mit Hyperbeln sparsam, auch
Goethe wendet sie
selten an. Zahlreiche
Beispiele komischer Hyperbeln geben
Shakespeare,
Jean Paul u. a. (z. B. bei
Shakespeare:
»Dein
Kopf steht
so wacklig auf dünnen
Schultern, daß ein verliebtes Milchmädchen ihn herunterseufzen kann«).