Hutten
,
Ulrich, Ritter von, einer der mutigsten und genialsten Kämpfer für Erringung geistiger Freiheit zu Anfang des 16. Jahrh., wurde auf dem Stammsitz seiner Familie, der Burg Steckelberg bei Fulda, [* 2] als Sohn des Ritters Ulrich v. und der Ottilia v. Eberstein geboren und 1499 in das Stift zu Fulda gebracht, um zum Geistlichen erzogen zu werden. Aber er erkannte die Thätigkeit in hohen Staatsämtern und wissenschaftliche Beschäftigung als die wahre Lebensaufgabe eines jungen Adligen.
Ohne Wissen seiner Eltern verließ er 1505 heimlich das Kloster und studierte zu Köln, [* 3] dann zu Erfurt [* 4] Latein und Griechisch an der Hand [* 5] der Klassiker. Dort hörte er den gelehrten Johann Rhagius, hier im Verein mit Crotus Rubianus und Eoban Hesse, an welche er sich innig anschloß, den Humanisten Maternus Pistoris. Von nachhaltigem Einfluß auf seine Ausbildung wurde jedoch erst seine Bekanntschaft mit dem Philosophen Mutianus Rufus, der von dem benachbarten Gotha [* 6] aus auf die lernbegierige Jugend Erfurts nachhaltig einzuwirken verstand.
Aus
Liebe zu seinem alten
Lehrer Rhagius, der inzwischen nach
Frankfurt
[* 7] a. O. übergesiedelt war, bezog Hutten
1506 diese
Universität
und folgte demselben 1507 nach
Leipzig.
[* 8] In
Frankfurt wurde er
Bakkalaureus, und in diese Zeit fallen seine ersten poetischen
Versuche: eine
Elegie an
Eoban, ein Lobgedicht auf die
Mark, eine Ermahnung zur
Tugend. Obwohl noch unfertig und ohne strenge
Disposition, entbehren diese lateinischen Distichen nicht des
Wohllauts, der Huttens
spätere Gedichte
so anziehend macht.
Schon 1509 trieben Reiselust und Wißbegierde Hutten
in die
Ferne.
Gar wechselvoll sind seine
Schicksale in den nächsten
Jahren;
oft
ist er von allen
Mitteln entblößt und muß von Bewunderern seines
Talents Unterstützungen annehmen, so in
Greifswald,
[* 9] in
Rostock
[* 10] und
Wien.
[* 11] Doch Dankbarkeit ist nicht seine
Tugend; als Sohn der
Musen
[* 12] glaubt er Anspruch auf die
Wohlthaten der Begüterten zu haben, und wo sich diese allzu karg erweisen, geißelt er sie, wie die
Familie
Lötz in
Greifswald,
mit der ganzen
Schärfe seines
Witzes und der Rücksichtslosigkeit seines leidenschaftlichen
Temperaments.
Sein ruheloser
Sinn verschlug ihn 1512 nach
Pavia; doch als ihm bei der
Eroberung dieser Stadt die päpstlichen
Schweizer sein
Letztes nahmen, trieb ihn die
Not in die
Reihen der kaiserlichen
Landsknechte
[* 13] (1513). Die
Kunde von der Ermordung
Hans v. Huttens
, eines
Sohns seines Verwandten und Wohlthäters
Ulrich v. Hutten
, durch den
Herzog
Ulrich von
Württemberg
[* 14] (s. d.) veranlaßte ihn zur Abfassung von fünf
Reden gegen den letztern, welche diesen Familienhandel mit schonungsloser
Schärfe aufdeckten und vornehmlich die
Ächtung des
Herzogs herbeigeführt haben, und eines »Tyrannengesprächs« (»Phalarismus«),
in welchem er zuerst seinen
Wahlspruch: »Jacta est alea«
(ich hab's gewagt)^[(?) dieses ist die Übersetzung von »Attempto«]
gebrauchte. Diese
Teilnahme an dem
Schicksal seines Verwandten versöhnte seinen
Vater wieder mit ihm, der
mit des
Sohns
Flucht aus dem
Kloster und seinen wissenschaftlichen
Studien sehr unzufrieden gewesen war. Die
Angriffe von seiten
der
Kölner
[* 15]
Dominikaner auf
Reuchlin (s. d.) erregten Huttens
lebendigste
Teilnahme und waren die Veranlassung zu seinem Gedicht
»Triumphus Capnionis«, welches er wahrscheinlich 1514 verfertigte, und
worin er die Feinde der
Wissenschaften und der beginnenden
Aufklärung aufs schonungsloseste angriff. Gegen
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den Anfang des Jahrs 1516 erschienen die »Epistolae obscurorum virorum«, an M. Ortuinus Gratius, Lehrer der schönen Wissenschaften
zu Köln, gerichtet, welcher seine humanistische Bildung im Dienste
[* 17] der alten Scholastik verwertete. Hutten
las sie (er war gerade
in Bologna) mit innigem Behagen und verfaßte eine Anzahl ähnlicher Briefe, welche sodann 1517 als 2. Teil
gedruckt wurden. Jedermann ahnte in Hutten
den Verfasser, womöglich sogar des 1. Teils; doch ließ es sich damals
nicht und läßt sich noch heute nur zum geringsten Teil nachweisen. Die »Epistolae« bilden ein Seitenstück zum »Triumphus
Capnionis«; in diesem greift Hutten
die Gegner des Humanismus mit Ernst und Pathos, mit den Blitzen des Unwillens
und Hasses an, in jenen bekämpft er sie mit den Waffen
[* 18] der Satire, enthüllt sie in ihrer ganzen barbarischen Lächerlichkeit
und ihrer sittlichen Unwürdigkeit.
Aus Italien
[* 19] kehrte Hutten
1517 nach Deutschland
[* 20] zurück; hier, in Augsburg,
[* 21] setzte ihm Kaiser Maximilian den Lorbeerkranz aufs
Haupt, verlieh ihm den Goldenen Ring, ernannte ihn zum Dichter und Universitätsredner und nahm ihn in seinen Schutz. Fortan
ward der Kampf gegen Rom und
[* 22] für das von der Kurie ausgebeutete deutsche Vaterland Huttens
ausschließliche Lebensaufgabe.
Auf dieser Bahn war der Eintritt in die Dienste des Erzbischofs Albrecht von Mainz
[* 23] kein Hindernis; denn dieser
Prälat, der bekanntlich den Anlaß zu Luthers Angriff auf den Ablaß gab, war innerlich über Roms Geldgier empört und mit Huttens
kecker Kampfweise wohl zufrieden.
Dieser hatte soeben eine Schrift des Laurentius Valla: »De donatione Constantini quid veri habeat«, herausgegeben und damit die
weltliche Herrschaft des Papstes, dem er die Schrift widmete, in ihrer Grundlage angegriffen. Nachdem er
während des Augsburger Reichstags, den er 1518 im Gefolge des Erzbischofs besuchte, in seiner Schrift »Ad principes germanos ut
bellum Turcis inferant exhortatoria« der deutschen Nation ein Bild ihrer Zerrissenheit vor Augen geführt und sie zur Einigkeit
und zum gemeinsamen Kampf gegen den Glaubensfeind ermahnt hatte, verließ er, des Hoflebens müde (er
geißelte es damals in einem Dialog), den Dienst des Mainzer Erzbischofs und ging nach Schwaben, wo er sich an dem Feldzug gegen
Herzog Ulrich beteiligte (1519). Hutten
trat jetzt einerseits Franz v. Sickingen, der die politische Wiedergeburt
Deutschlands
[* 24] anstrebte, näher, anderseits dem großen Reformator Luther. In mehreren Gesprächen, unter denen der »Vadiscus,
oder die römische Dreifaltigkeit« das bedeutendste ist, deckte der geniale Mann das unermeßliche materielle und moralische
Unheil auf, das von Rom aus seit langem schon über Deutschland hereingebrochen.
Hier zeigte Hutten
, daß er mit Recht seinen Wahlspruch führte; diese Schrift war ein Manifest gegen Rom, ein
würdiges Seitenstück der gewaltigen Schriften, die Luther wenige Monate später (Juni 1520) in die Welt sandte. Von fast gleicher
Bedeutung wie der »Vadiscus«, aber noch vollendeter in der Form waren »Die
Anschauenden«; auch hier fehlte es nicht an Spottreden über den hochmütigen Klerus (sein Repräsentant
ist Cajetan), aber die Hauptsache war eine Schilderung der deutschen Zustände, wie sie dem Sonnengott von seinem erhöhten
Standpunkt aus erscheinen. In einer Vorrede, mit welcher eine Sammlung von Sendschreiben aus dem 14. Jahrh.
einleitete, warnte er die Nation vor den schriftstellernden Schmeichlern und munterte sie zum Kampfe für
die Geistesfreiheit auf (»De schismate extinguendo etc.«, 1520).
Um der guten Sache noch größere Dienste
zu leisten, begab er sich im Sommer 1520 an den Hof
[* 25] des Königs Ferdinand nach den Niederlanden,
wo man damals die Ankunft des neuen Kaisers, Karls V., erwartete. Aber bald kehrte er auf den Rat besorgter
Freunde nach der Heimat zurück; denn in Rom hatten seine Pfeile nur zu gut getroffen, und des Papstes Rache ließ nicht lange
auf sich warten. Leo X. forderte den Erzbischof Albrecht auf, die Frechheit der Lästerer, unter denen sein Diener Hutten
der
schlimmste sei, zu züchtigen.
Huttens
Leben war bedroht, doch fand er einstweilen sichere Zuflucht auf der Ebernburg bei Franz v. Sickingen. Von hier aus veröffentlichte
er ein Sendschreiben an die Deutschen aller Stände, worin er die römischen Anschläge gegen ihn aufdeckte und seine Schriften
verteidigte. Noch zu Ende d. J. (1520) begann er deutsch zu schreiben; die erste
Schrift in der Muttersprache ist die »Klag vnd vormanung gegen den übermässigen gewalt des Bapsts«. Er wollte auf alle Schichten
des deutschen Volkes wirken und verhüten, daß der ungelehrte Ritter und Bürger seine Schriften nur aus den entstellenden Berichten
der Pfaffen kennen lerne.
Der Wormser Reichstag, die Besorgnis für Luthers Leben und den Ausgang der guten Sache riefen eine wahre Flut von Schmähschriften
gegen die Römlinge, vor allen gegen den Legaten Aleander, aus Huttens
Feder hervor; er leitete sie durch ein Sendschreiben
an Kaiser Karl ein, in welchem er den jugendlichen Monarchen vor seinen schlimmen geistlichen Ratgebern
warnte. Doch Karl nahm das Schreiben ungnädig auf und änderte seine Haltung gegen Luther auch dann nicht, als ihn Hutten
in einem
zweiten milder zu stimmen versuchte.
Luthers Verurteilung versetzte ihn in die größte Entrüstung. Aber vergebens bemühte er sich, einen Bund der Ritter und Städte
herbeizuführen; Sickingen brachte zwar 1522 einen Bund der rheinischen Ritterschaft zu stande, doch sein Zug
gegen den Erzbischof
von Trier
[* 26] mißlang. Hutten
hatte, im Fall er in die Hände von Sickingens Feinden geriet, das Schlimmste zu befürchten und floh
nach Basel,
[* 27] wo ihm sein langjähriger Mitstreiter Erasmus, zu weichmütig für jene eiserne Zeit, die Aufnahme
versagte; Zwingli dagegen gewährte dem mittellosen Flüchtling bereitwillig eine Zuflucht, doch er fand einen gebrochenen
Mann.
Jahrelang hatte Huttens Feuergeist gegen die verheerende Krankheit angekämpft, welche Ausschweifungen dem heißblütigen Jüngling zugezogen hatten. Jetzt errang die Krankheit doch den Sieg und ließ sich nicht durch die Heilkraft der warmen Quellen aufhalten, welche Hutten in Pfäfers aufsuchte. Zwinglis milde und feste Hand waltete auch ferner über dem unglücklichen Mann: er erwirkte ihm bei einem heilkundigen und wohlgesinnten Geistlichen Aufnahme auf der Insel Ufnau im Züricher See.
Wenige Monate nach Sickingens traurigem Untergang wachte ein schneller Tod den Leiden [* 28] des Freundes ein Ende (in den letzten Tagen des Augusts oder Anfang September 1523). Die Idee, für die allein. Hutten gelebt hatte, Deutschland zugleich kirchlich und politisch neu zu gestalten, ging mit ihm zu Grabe. Seine Werke hat zuletzt Böcking herausgegeben (Leipz. 1859-62, 5 Bde. mit 2 Supplementbänden); ein Verzeichnis der Schriften Huttens enthält Böckings »Index bibliographicus Huttenianus« (das. 1858). Die Gespräche sind übersetzt und erläutert von Strauß [* 29] (Leipz. 1860).
Vgl. D. Strauß, Ulrich von Hutten (4. Aufl., Bonn [* 30] 1878, 2 Bde.);
die Darstellungen von Huttens Leben durch Mohnike, Wagenseil, Bürck u. a. sind veraltet.
Die heldenhafte Persönlichkeit Huttens übte ¶
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übrigens auch auf die neuere Dichtung eine mächtige Anziehungskraft, namentlich seit den 30er Jahren. In epischer Form wurde sein Leben behandelt von Ernst v. Brünnow in dem Roman »Ulrich v. Hutten« (Leipz. 1843),
von A. E. Fröhlich in den Gesängen »Ulrich v. Hutten« (Zürich [* 32] 1845),
von Schlönbach in einem gleichnamigen Epos (Berl. 1862),
am vortrefflichsten von K. F. Meyer in der lyrisch-epischen Dichtung »Huttens letzte Tage« (Leipz. 1871). Zum Helden eines Dramas machten ihn R. Gottschall (1842), Hutten Köster (Bresl. 1846, neu bearbeitet 1855), G. Logau (1848), K. Nissel (Leipz. 1861), K. Berger (Schaffh. 1864).