Hussiten
,
öfters auch Bethlehemiten (s. d.) genannt, die Anhänger des Johannes Huß (s. d.) in Böhmen, [* 2] dessen Verbrennung sie aufs äußerste erbitterte. Im Sept. 1415 sandten 452 böhm. Adlige einen feierlichen Protest an das Konstanzer Konzil und schlossen miteinander ein Bündnis: die freie Predigt des Wortes Gottes auf ihren Besitzungen zu schirmen, Verordnungen der Bischöfe und des Papstes nur so weit anzuerkennen, als sie mit der Schrift übereinstimmten.
Papst Martin V. bewog König Wenzel, gegen sie einzuschreiten: dieser starb aber und seinen
Bruder Sigismund
(s. d.) wollten die Hussiten
nicht als König anerkennen, da er das dem
Huß versprochene sichere Geleit nicht gehalten hatte. Eine Reihe blutiger
Kriege
(Hussitenkriege) war die Folge. Die von religiöser
und nationaler
Begeisterung erfüllten Hussiten
schlugen 1420–27 alle
Angriffe der
Deutschen siegreich ab; nachdem sie am Ziskaberg
(1420), bei Pankratz (1420), bei
Deutsch-Brod (1422), bei
Aussig (1426), bei Mieß (1427) gesiegt hatten,
gingen sie ihrerseits zum
Angriff über und unternahmen verheerende Kriegszüge nach
Deutschland.
[* 3]
Ihre Feldherren
Ziska (s. d.) und Prokop (s. d.)
waren tüchtige Führer, bedienten sich namentlich des
Geschützes mit großem Geschick und schufen ein treffliches, zum
Teil
mit Dreschflegeln bewaffnetes Fußvolk, das der schweren deutschen Reiterei erfolgreich entgegentrat.
Mit
Vorteil benutzten die Heereshaufen der Hussiten
verteidigungsfähige Rüstwagen zur
Deckung des Lagers in der
Schlacht und auf dem
Marsche. Als auch ein Kreuzzug gegen die Hussiten
, geführt vom Kardinal Cesarini, mit der
Niederlage bei
Taus endete,
betrat das
Baseler Konzil den Weg der Verhandlungen.
Das führte zu innern Zwistigkeiten unter den Hussiten.
Von Anfang an gab es unter ihnen eine gemäßigtere und eine
strengere
Richtung; während die
Strengern nur gelten lassen wollten, was die
Schrift ausdrücklich vorschreibt, ließen die
Gemäßigtern sich manches gefallen, was zwar die
Schrift nicht lehrte, aber auch nicht wider sie stritt.
Die Gemäßigtern, weil sie in
Universität und Stadt
Prag
[* 4] ihre Hauptstütze hatten,
«Prager» genannt, beschränkten ihre Forderungen
auf die
Anerkennung der vier
Prager
Artikel (Juli 1420): freie Predigt von
Gottes Wort in der Landessprache, Spendung des
Abendmahls
unter beiderlei Gestalt, daß die weltliche Herrschaft und irdischen
Güter dem Klerus genommen und alle
Todsünden in jedem
Stande abgethan würden.
Wegen der Forderung des
Kelches (lat. calix) für die Laien hießen sie Kalixtiner, wegen der Forderung des
Abendmahls unter
beiderlei Gestalt (lat.
sub utraque specie)
Utraquisten. Die
Strengern verwarfen auch die
Lehre
[* 5] vom
Fegefeuer,
die
Anbetung der
Heiligen, den
Bilderdienst u.dgl.m. Sie hatten ihren Stützpunkt in der Feste
Tabor und hießen danach
Taboriten.
Ihr erster Führer war Joh.
Ziska. Nach dessen
Tode wählte die Mehrzahl Prokop d. Gr. zum Führer, während eine kleine Zahl,
die sog. Waisen (Orphaniten), führerlos blieb. Als nun das
Baseler Konzil (s. d.) sich zu Verhandlungen
genötigt sah, gelang es durch die
Prager Kompaktaten (auch
Baseler Kompaktaten) vom die gemäßigten Hussiten
zu befriedigen.
Der Laienkelch ward zugestanden und auch betreffs der freien Predigt des Wortes
Gottes, der Haltung des Klerus und der Sittenzucht
wurden Versprechungen gegeben.
¶
mehr
Damit war die Einheit der Hussiten
gesprengt, denn die Taboriten und Waisen weigerten sich, ihren Frieden mit der Kirche zu schließen.
In der Schlacht bei Böhmisch-Brod und Lipan wurden die Taboriten völlig geschlagen sie verschwanden als eigene
Partei, doch erschienen Ausläufer derselben wieder unter den Böhmischen Brüdern (s. d.). Die Kalixtiner
gewannen die Herrschaft und die Kompaktaten wurden vom Landtage zu Iglau
[* 7] feierlich bestätigt und von Sigismund
beschworen, der nun als König von Böhmen anerkannt wurde.
Alsbald aber versuchte er die den Hussiten
gemachten Zugeständnisse wieder aufzuheben, ebenso sein Nachfolger Albrecht II. (1437-39).
Nach dessen Tode entstand in Böhmen so große Verwirrung, daß die Hussiten
die Wahl Georg Podiebrads 1458 zum
König von Böhmen durchsetzen konnten. Freilich erklärte Papst Pius II. die Kompaktaten für aufgehoben und wollte
Georg Podiebrad nur dann als König anerkennen, wenn er sich verpflichte, die Ketzerei in Böhmen auszurotten;
aber der gegen Böhmen unternommene Kreuzzug wurde glänzend abgeschlagen.
Auch Georgs kath. Nachfolger, der poln. Prinz Wladislaw II. (1471-1516),
mußte auf dem Landtage zu Kuttenberg 1485 die Kompaktaten bestätigen, und der Reichstag von 1512 verlieh und Katholiken
volle Gleichberechtigung. Als sich die deutsche Reformation vollzog, trat unter den Hussiten
eine Scheidung
ein. Einige kehrten zur kath. Kirche zurück, andere schlossen sich den Protestanten an und vereinigten sich mit ihnen 1575 auf
Grund der Confessio Bohemica.
Über die Litteratur s. Huß;
vgl. ferner: Lenfant, Historie de la guerre des Hussites (Amsterd. 1729; Utr. 1731);
W. F. Schubert, Geschichte des Hussitenkrieges (Neust. 1825);
Palacky, Urkundliche Beiträge zur Geschichte des Hussitenkrieges 1419-36 (2 Bde., Prag 1872-74);
die einschlägige Partie in Schlesingers «Geschichte Böhmens»;
Bezold, Zur Geschichte des Hussitentums
(Münch. 1874);
ders., König Sigmund und die Reichskriege gegen die Hussiten
(3 Tle., Münch.
1872-77);
Grünhagen, Die Hussitenkriege der Schlesier 1420-35 (Bresl. 1872);
Loserth, Beiträge zur Geschichte der hussitischen Bewegung (Wien [* 8] 1890).