Huß
Johann, böhm. Reformator, geb. 1369 zu Hussinetz, war der Sohn von Bauern slawischer Abstammung. Er studierte in Prag, [* 2] nahm die Weihen, wurde 1393 Bakkalaureus der freien Künste, 1394 der Theologie und im Januar 1396 Magister an der Artistenfakultät. 1398 begann er Vorlesungen an der Universität zu halten und wurde 1402 zum Predigeramt an der bei den Tschechen in besonderm Ansehen stehenden Bethlehemskapelle der Altstadt Prag berufen. Über die innere geistige Entwickelung des hochbegabten Mannes ist man leider nur sehr ungenügend unterrichtet.
Jedenfalls brachten die
Schriften Wiclefs eine Umwandlung in ihm hervor, zu welcher auch
Lehrer der
Prager
Universität, wie
Magister Niklas von
Leitomischl,
Stephan Palec und vor allen
Magister
Stanislaus von
Znaim, den
Grund gelegt
haben mochten. Auf einer
Disputation von 1399 zeigte es sich, daß Huß
die
Lehren
[* 3] des englischen
Reformators schon in umfassender
Weise angenommen hatte.
Bald darauf (1403) ward die Ausbreitung Wiclefscher
Lehren jedem
Magister bei seinem Universitätseid
verboten.
Inzwischen hatte sich Huß
durch seine
Predigten in der Bethlehemskapelle nicht nur bei der großen
Masse des
Volkes, sondern
auch bei dem König und bei dem klugen, aber in die wissenschaftlich-theologischen
Fragen nicht eingeweihten
Erzbischof Sbynko
Ansehen verschafft. Am
Hof
[* 4] erhielt er die
Stelle eines
Beichtvaters bei der
Königin, während der
Erzbischof 1403 ihm
das wichtige
Amt eines
Predigers bei den Diözesansynoden erteilte. Vom
Erzbischof mit der Untersuchung über die durch die
Reliquie des
Bluts
Christi
¶
mehr
zu Wilsnack angeblich bewirkten Heilungen betraut, erreichte Huß
, daß 1405 die Wallfahrt an den Gnadenort verboten wurde. Kaum
zu bestimmen ist der Anteil, welchen an dem Vorgehen des Königs gegen die nichtböhmischen Nationen genommen hat, infolge dessen 1409 die
sämtlichen nicht zur böhmischen Nation gehörenden Magister und Studenten von Prag nach Leipzig
[* 6] übersiedelten.
Er selbst hat später die Urheberschaft dieser Maßregel für sich beansprucht. Inzwischen hatte schon der Erzbischof Sbynko
mit und seinen Genossen gebrochen und sich mit der von Huß
in Predigten und Büchern angegriffenen Geistlichkeit verbündet,
welche sich in ihren Rechten, Privilegien und Einkünften bedroht sah, während der Adel den Anschauungen
der neuen Lehren immer mehr Sympathien entgegenbrachte.
Aber auch an der Universität war nach dem Abzug der Deutschen der Bruch zwischen den ältern und jüngern Magistern nicht mehr
aufzuhalten. Schon gab Alexander V. dem Erzbischof Sbynko Vollmacht, die Verbreitung Wiclefscher Lehrsätze bei
Strafe der Exkommunikation und das Predigen außer in den Kollegiat-, Pfarr- und Klosterkirchen an jedem andern Ort zu verbieten.
Die schärfste Reaktion begann nun, und ward Huß
von Sbynko exkommuniziert. Während in Rom
[* 7] der Prozeß gegen Huß
eingeleitet
und gegen die von ihm entsendeten Vertreter geführt wurde, predigte er selbst in Prag gegen die päpstlichen
Kreuzbullen und fing an, das kirchliche System in seinen entscheidendsten Stellen, in der Lehre
[* 8] vom Ablaß und von der Infallibilität
des Papstes, zu bekämpfen.
Der Mut und die Ausdauer, mit welchen er sodann seine Sache fortsetzte, auch als Alexanders V. Nachfolger Johann
XXIII. die große Exkommunikation über ihn verhängte und Prag selbst 1411 vom Erzbischof Albik (seit 1411) mit dem Interdikt
belegt wurde, zeigten klar, daß die Kirche es hier mit einer in die Tiefen der Bevölkerung
[* 9] gedrungenen Bewegung zu thun hatte.
Auf König Wenzels eignen Wunsch entfernte sich Huß
1412 von Prag und lebte seitdem auf den Schlössern des
Landadels, wo er eine Reihe von Briefen und Traktaten schrieb, welche seiner Lehre einen zusammenhängenden und systematischern
Ausdruck gaben, als bisher der Fall gewesen. 1413 verfaßte er sein Werk »De Ecclesia«, woraus später das Anklagematerial in
Konstanz
[* 10] wider ihn entnommen wurde. In einer Schrift gegen Stephan Palec, seinen frühern Freund und Genossen,
stellte sich Huß
bereits vollständig auf den Standpunkt der Schrift als Quelle
[* 11] des Glaubens.
Doch war von Huß
selbst noch an ein Konzil in seiner eignen Prozeßsache appelliert worden, und die konziliare Autorität in der
Kirche leugnete er nicht. Er ging überhaupt viel weiter mit der Kirche als vor ihm Wiclef; von der Wandlungslehre,
der Anrufung der Heiligen u. a. ist er nie zurückgetreten, und zu gewissen Konsequenzen des von ihm erfaßten Prinzips hat er
sich überhaupt erst im Kampf mit den Vätern des Konzils hindurchgearbeitet. Wahrscheinlich von König Siegmund selbst
ist der Gedanke ausgegangen, Huß
zur Reise nach Konstanz zum Zweck einer Aussöhnung mit der Kirche und zur Beilegung der in Böhmen
[* 12] bestehenden Wirren zu bestimmen.
Nach manchen Zweifeln und trotz mancher Warnungen nahm Huß
die Einladung zum Konzil an und erhielt vom König einen
vom 18. Okt. datierten polizeilichen Geleitsbrief, genau in derselben Form, wie solche auch andern zum Konzil
reisenden Personen ausgestellt wurden. Huß
äußerte nicht geringes Erstaunen, als er in allen Städten Deutschlands,
[* 13]
durch die
er auf seiner Reise nach Konstanz kam, von weltlichen und geistlichen Obrigkeiten aufs ehrenvollste behandelt wurde.
Für die Verurteilung des Huß
auf dem Konzil selbst aber war der Umstand entscheidend, daß die für die
Glaubenssachen eingesetzte Kommission die feierliche dogmatische Verwerfung der Wiclefschen Lehren schon in der achten
Sitzung des Konzils bewirkt hatte und dadurch der freien Verteidigung Huß'
bei dem ersten und zweiten Verhör (5.
und in jeder Weise durch vorhergegangene synodale Entscheidungen präjudiziert war. Fast gleichzeitig mit Huß
waren
seine bittersten Feinde und Ankläger, unter ihnen Stephan Palec, aus Böhmen in Konstanz angekommen und suchten die Kardinäle
noch vor der Ankunft König Siegmunds zur Wiederaufnahme des kirchlichen Prozeßverfahrens gegen Huß
zu bestimmen.
Da H. überdies in Konstanz Messe las und in Predigten seine Lehren verteidigte, wurde er auf Befehl des Papstes verhaftet.
Nach der Ankunft Siegmunds traten bald politische, bald kanonische Hindernisse einer erfolgreichen Vermittelung seitens des
Königs entgegen. In der Nacht des Palmsonntags 1415 ließ der Bischof von Konstanz Huß
in sein Schloß Gottlieben
zu strengerer Haft bringen. Proteste der Geleitsmänner und eine Erklärung vieler böhmischer Herren blieben vollständig erfolglos.
König Siegmund und die einer freiern Anschauung huldigenden Väter des Konzils, wie d'Ailly, begnügten sich, dem böhmischen
Magister auf jede Weise zuzusprechen, daß er sich mit dem Konzil und der Kirche versöhnen möge. Am 8. Juni wurde
das dritte Verhör gleichfalls in Gegenwart des Königs vorgenommen. Allein Huß
beharrte auf seiner Weigerung, die gerichtliche
Kompetenz des Konzils über ihn anzuerkennen. Danach konnte die 15. allgemeine Sitzung des Konzils, in welcher die Angelegenheit 6. Juli zu
Ende gebracht werden sollte, nur noch von formeller Bedeutung sein. Huß war für seine Überzeugung
zu sterben entschlossen.
Gleich von der Sitzung hinweg vom Pfalzgrafen als Urteilsvollstrecker »auf den Brühl« geführt, bestieg er unerschüttert den Scheiterhaufen und litt unter lang andauernden Qualen den Tod standhaft und mit Seelengröße. Sein Todestag ward in Böhmen lange als kalendermäßiges Fest gefeiert und erst durch die Heiligsprechung des sogen. Johann von Nepomuk (s. d.) verdrängt. An Sagenbildung, welche ihm Nachfolger in der Reformation verhieß, fehlte es nicht, und in der That vermochte es die deutsche Reformation über sich, die großen Verdienste des böhmischen Johann Huß anzuerkennen und die gehässige Seite seiner nationalen Agitation darüber fast der Vergessenheit anheimzugeben. S. Hussiten.
Vgl. die treffliche Ausgabe der Briefe und Schriften von Palacky: »Documenta Magistri Joannis Hus Vitam, doctrinam, causam etc. illustrantia« (Prag 1869);
Becker, und Hieronymus von Prag (Nördling. 1858);
Höfler, J. und der Abzug der deutschen Professoren und Studenten aus Prag (Prag 1864): Berger, J. und König Siegmund (Augsb. 1872);