Humanität
(lat. humanitas, »Menschlichkeit«) bedeutete schon bei den Alten, namentlich bei Cicero, vorzugsweise die harmonische Ausbildung der dem Menschen als solchem eignen Anlagen des Gemüts und des Verstandes. Eine solche höhere und feinere Bildung des Geistes konnte in Rom [* 3] nur durch Vertrautheit mit den Werken der großen griechischen Dichter und Schriftsteller gewonnen werden. Daher nimmt schon bei Cicero das Wort den Nebensinn der litterarisch-ästhetischen, also wesentlich formalen, Bildung an. Im Mittelalter waren vollends die Überreste der altklassischen Litteratur, zumal der lateinischen, die einzige Quelle, [* 4] aus welcher eine solche Bildung zu schöpfen war.
Humaniora nannte man deshalb die philologischen Lehrfächer und Humanismus diejenige Weise der gelehrten Erziehung, welche die Schriften der Alten als das wesentlichste Bildungsmittel benutzte. Dieses Erziehungssystem gelangte zuerst durch Dante, Boccaccio, Petrarca u. a. in Italien [* 5] zu umfassenderer Geltung und von dort aus mit dem sogen. Wiedererwachen der Wissenschaften zur allgemeinen Herrschaft im Abendland. Seine Vertreter, unter denen in Deutschland [* 6] vor allen Erasmus von Rotterdam, [* 7] Johannes Reuchlin, Philipp Melanchthon, Joachim Camerarius, Joh. Sturm, Valentin Trotzendorf und M. Neander hervorragten, nannten sich Humanisten (s. Gymnasium).
Die von ihnen und unter ihrem Einfluß gegründeten Anstalten, in den meisten Fällen zugleich Pflegstätten der Kirchenverbesserung, blühten bis gegen Ende des 16. Jahrh., verfielen aber nach und nach einem geistlosen und pedantischen Formalismus. Daher traten schon vom 16. Jahrh. an einzelne tiefer blickende Männer gegen den einseitigen Humanismus polemisch auf, so Montaigne in Frankreich, Bacon in England, Ratich und Comenius in Deutschland. Auch die pietistischen Kreise [* 8] waren der ausschließlichen Herrschaft des Lateins in den Schulen und der einseitigen, dem wirklichen Leben abgewandten Beschäftigung mit dem Altertum abgeneigt.
Aus den Anregungen A. Humanität
Franckes (s. d.) und seiner
Schüler gingen zuerst die
Realschulen (s. d.) in
Deutschland hervor, welche
im
Gegensatz zu der rein sprachlichen und logischen (formalen)
Bildung der Gymnasien eine reale
Bildung durch Bekanntschaft
mit den Gegenständen und Vorgängen der
Natur wie des wirklichen Lebenspflegen sollten. Die
Philanthropen
in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. stellten sich ganz auf die Seite dieser realistischen
Bildung. Der durch sie hervorgerufene Streit zwischen
Gymnasium und
Realschule, humanistischer und realistischer
Bildung dauert
noch fort und ist gerade neuerdings wieder heftiger entbrannt.
Doch fehlt es auch nicht an einer besonnenen Mitte, deren Vertreter anerkennen, daß die Bedürfnisse des gegenwärtigen Lebens ihre Berücksichtigung zumal in der Naturwissenschaft und den neuern Sprachen verlangen und zwar für gewisse Lebenskreise vorzugsweise, ohne daß sie darum den hohen Wert der klassisch-humanistischen Schulung für die Fähigkeit, klar und gründlich zu denken und das klar Gedachte in edler Form wiederzugeben, sowie namentlich für die Einsicht in den geschichtlichen Zusammenhang der Entwickelung des menschlichen Geistes verkennen.
Als Vorbild für diese Auffassung kann im wesentlichen auch heute noch
Herder (besonders
»Briefe zur Beförderung der Humanität«
) gelten.
Weiteres s.
Pädagogik. Die Hauptwerke über die Geschichte des
Humanismus sind: Heeren, Geschichte des
Studiums der klassischen Litteratur
(Götting. 1797-1802, 2 Bde.);
Erhard, Geschichte des Wiederaufblühens wissenschaftlicher Bildung (Magdeb. 1827-1832, 3 Bde.);
G. Voigt, Die Wiederbelebung des klassischen Altertums (2. Aufl., Leipz. 1880-81);
Burckhardt, Kultur der Renaissance (4. Aufl., das. 1885, 2 Bde.);
Geiger,
Renaissance und Humanität
in
Italien und
Deutschland (Berl. 1881-83).