Horāz
(Quintus Horatius Flaccus), röm. Dichter, wurde 8. Dez. 65 v.Chr. als Sohn eines Freigelassenen zu Venusia in Apulien geboren. Schon als Knabe kam er mit seinem Vater, der sein kleines Grundstück verkaufte, nach Rom, wo er eine vorzügliche Erziehung und speciell den Unterricht des strengen Grammatikers Orbilius Pupillus genoß. 45 ging er zu seiner weitern Ausbildung nach Athen. Als nach Cäsars Ermordung Brutus die röm. Jugend zur Verteidigung der Republik unter die Waffen rief, trat auch Horaz in das Heer desselben ein (43 v.Chr.) und nahm als Kriegstribun (höherer Offizier) an den Feldzügen und an der für die republikanische Partei verhängnisvollen Schlacht bei Philippi (42) teil, aus der er sich durch die Flucht rettete. Nach Rom zurückgekehrt, kaufte er sich mit dem Rest seines väterlichen Vermögens das Amt eines Schreibers bei den Quästoren (scriba quaestorius), wandte sich aber bald (wohl schon seit 41) der Poesie und zwar zunächst der iambischen (Epoden, nach dem Vorbilde des Archilochus) und satirischen zu. Durch seine Gedichte gewann er die Freundschaft zweier der angesehensten Dichter jener
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Zeit, des Varius und des Virgil, die ihn bei Mäcenas (s. d.) einführten. Auch diesem trat Horaz bald näher und hatte sich seiner besondern Gunst zu erfreuen, welche Mäcenas durch die Schenkung eines Landgütchens im sabinischen Gebiet und durch Empfehlung des Dichters bei Augustus bethätigte.
Im J. 35 v. Chr. gab Horaz das erste Buch seiner Satiren oder, wie er sie selbst betitelte, «Sermones» (d. h. Gespräche, weil sie in ihrer ganzen Haltung an den Gesprächston anklingen) heraus und begann gleich darauf die Abfassung eines zweiten Buches, das im J. 30 vollendet und veröffentlicht worden zu sein scheint. Um dieselbe Zeit hat er wohl auch die Sammlung seiner Epoden (oder, wie er selbst sie nennt, «Iamben») herausgegeben. Von nun an wandte sich Horaz mehr der lyrischen und Liederpoesie zu und veröffentlichte im J. 23 die drei ersten Bücher seiner Oden oder, wie er sie betitelte, «Carmina», d. h. Gedichte, die er seinem Gönner Mäcenas widmete. Hierauf kehrte er zu der didaktischen Richtung, aber nicht mehr in der bittern Stimmung seiner Jugendzeit, zurück, indem er eine Reihe von poet. Episteln verfaßte, worin er in ruhigem, oft schalkhaftem Tone seine Lebensphilosophie und seine litterar. Grundsätze darlegt. Das erste Buch gab er 20 v. Chr. heraus und ließ diesem in seinen letzten Lebensjahren noch ein zweites folgen, dessen dritte Epistel gewöhnlich als besonderes Gedicht u. d. T. «Ars poetica» erscheint. In ihr entwickelt Horaz seine Ansichten von der Dichtkunst, namentlich der dramatischen, aber nicht nach Art eines Lehrbuches, sondern in der ungebundenen Weise eines Briefs. Die «Ars poetica» wird auch nach dem Namen der Adressaten als «Brief an die Pisonen» (schwerlich L. Calpurnius Piso, Konsul im J. 15 v. Chr., eher Gnäus Piso, Konsul 13 v. Chr., und dessen Söhne) bezeichnet. 17 v. Chr. dichtete Horaz im Auftrage des Augustus zur Feier der von diesem veranstalteten Säkularspiele das sog. «Carmen saeculare», und 17-13 v. Chr., ebenfalls auf Andrängen des Augustus, ein viertes Buch der Oden. Er starb 27. Nov. 8 v. Chr. und wurde auf dem Esquilinischen Hügel neben dem kurz vorher verstorbenen Mäcenas bestattet.
Horaz gehört wesentlich zu den reflektierenden Dichtern, d. h. die Reflexion, der klare, nüchterne Verstand überwiegt bei ihm. Daher ist er vor allem für die satirisch-didaktische Richtung angelegt. Seine Schöpfungen auf diesem Gebiete zeigen zwar nicht die Kühnheit des Lucilius, seines Vorgängers auf dem Felde der Satire (wozu auch die veränderten Zeitverhältnisse beitrugen, die den Horaz nötigten, sich polit. Anspielungen zu enthalten), aber sie zeichnen sich durch feine Beobachtung, Klarheit und Schärfe der Charakterzeichnung, anmutigen Witz und Eleganz der Darstellung aus. In der Lyrik zeigt er in Scherz und Ernst eine bewunderungswürdige Anmut und feinen Geschmack. Überall aber bewährt er sich als Meister der sprachlichen wie metrischen Form, die er nach strengen Grundsätzen, den besten griech. Mustern folgend, behandelt. In Bezug auf den Inhalt seiner Dichtungen in den Satiren und Episteln ist Horaz fast durchaus original-römisch, in den Oden dagegen hat er mehrfach griech. Originale, besonders des Alcäus, ziemlich treu nachgebildet.
Zur Kritik und Erklärung der H.schen Gedichte sind aus dem spätern Altertum mehrere Scholiensammlungen erhalten («Acronis et Porphyrionis commentarii in Quintum Horatium Flaccum», hg. von Hauthal, 2 Bde., Berl. 1864-66), von denen die des Porphyrio die wichtigste ist (hg. von Wilh. Meyer, Lpz. 1874). Unter den Ausgaben sind hervorzuheben die kritischen von R. Bentley (zuletzt Berl. 1869), die von Meineke (zuletzt ebd. 1874), die von M. Haupt (zuletzt ebd. 1881), die von Lucian Müller (Lpz. 1874 u. 1879) und die von Keller und Holder (2 Bde., ebd. 1864-70); als brauchbare Handausgaben für die Erklärung die von J. C. Orelli (4. Aufl., 2 Bde., Berl. 1885-90, besorgt von Hirschfelder und Mewes), die von Dillenburger (7. Aufl., Bonn 1881), von Schütz (3 Bde., Bd. 1 in 2. Aufl., Berl. 1880-83), von Kießling (3 Bde., Bd. 1 in 2. Aufl., ebd. 1886-90) und von Keller und Häußner (2. Ausg., Lpz. 1892); von Sonderausgaben der Oden die von Hofmann-Peerlkamp (2. Aufl., Amsterd. 1862), von Hertz (Lpz. 1892), von G. Horaz Müller (Straßb. 1892) und die Schulausgaben von K. Nauck (13. Aufl., Lpz. 1890); der Satiren die von Heindorf (3. Aufl., besorgt von Döderlein, ebd. 1859), von Kirchner und Teuffel (2 Bde., ebd. 1854-57), von Döderlein (lateinisch und deutsch, ebd. 1860) und von Fritzsche (2 Bde., ebd. 1875-76); der Episteln von Döderlein (lateinisch und deutsch, 2 Bücher, ebd. 1856-58), von O. Ribbeck (Berl. 1869); der Satiren und Episteln von G. T. A. Krüger (11. Aufl., von G. Krüger besorgt, Lpz. 1885) und von L. Müller (1892). Von Übersetzungen sind zu erwähnen für die Oden die von Bacmeister (Stuttg. 1871), die Auswahl von Geibel in seinem «Klassischen Liederbuch» (5. Aufl., Berl. 1888) und von Mähly in dessen «Röm. Lyriker» (in der «Bibliothek ausländischer Klassiker», Lfg. 154, Lpz. 1880); für die Satiren die von Ch. M. Wieland (2 Tle., 4. Aufl., ebd. 1819) und von Döderlein (2. Aufl., ebd. 1862), für die Episteln die von Ch. M. Wieland (2 Tle., 4. Aufl., ebd. 1837) und von Bacmeister und Keller (ebd. 1891). Eine gute Gesamtübersetzung hat Strodtmann (2. Aufl., ebd. 1860) geliefert. - Vgl. Teuffel, Charakteristik des Horaz (Tüb. 1843); ders., Horaz, eine litterarhistor. Übersicht (ebd. 1868); W. E. Weber, als Mensch und Dichter (Jena 1844); Walckenaer, Histoire de la vie et des poésies d'Horace (2. Aufl., 2 Bde., Par. 1858); Noël des Vergers, Étude biographique sur Horace (ebd. 1855); Luc. Müller, Horaz, eine litterarhistor. Biographie (Lpz. 1880); Boissier, Horace et Virgile (Par. 1886); Jacob, und seine Freunde (2. Aufl., Berl. 1889); Detto, und seine Zeit (2. Aufl., ebd. 1892).