Homöopathie
,
eine besondere von Samuel
Hahnemann (s. d.) begründete und systematisierte Art des Heilens, die am
besten durch die zwei griech. Worte hómoios, ähnlich, und páthos,
Krankheit (aus denen das Wort Homöopathie
zusammengesetzt
ist), charakterisiert wird, weil eins der Grundprincipien dieses
Verfahrens die
Heilung von
Krankheiten mit
Mitteln bildet, die
im Organismus des gesunden
Menschen jenen
Krankheiten ähnliche
Symptome hervorrufen sollen.
Hahnemann stellte die Homöopathie
dem ebenfalls
von ihm geschaffenen
Ausdruck
Allopathie (s. d.) gegenüber. Er veröffentlichte sein
System schon 1796 (im «Journal für praktische
Arzneikunde», hg. von C. W.
Hufeland). In seinem «Organon der praktischen Heilkunst»
(1810) unterwarf er die Schwächen des damaligen Heilverfahrens einer scharfen Kritik. Während man bis dahin in nicht rationeller
Weise die
Krankheiten nach dem Grundsatz «Contraria contrariis curantur» («Entgegengesetztes
wird durch Entgegengesetztes geheilt») zu heilen gesucht habe, liege der rechte Weg zum
Heilen in dem
Grundsatz «Similia similibus curantur» («Ähnliches
wird durch Ähnliches geheilt»). Man müsse in jedem Krankheitsfall das
Mittel anwenden, das an und für sich im stande sei,
ein dem zu
¶
mehr
heilenden Leiden
[* 3] ähnliches Leiden hervorzurufen. Zur Begründung seiner Behauptung führt Hahnemann viele Beispiele aus der Litteratur
an. Thatsächlich ist der Grundsatz «Ahnliches wird durch Ähnliches geheilt»
auch schon früher ausgesprochen worden, besonders von John Hunter (s. d.). Aber erst Hahnemann entwickelte diese Lehre
[* 4] zu einem
einheitlichen Ganzen und machte sie zu einem System. Um die homöopathische
Wirkung der Arzneien zu erforschen,
wurden sie an Gesunden geprüft, unter genauer Beobachtung der sich dabei entwickelnden Symptome und Empfindungen.
Auf Grund dieser Symptome wird ein Arzneimittel in solchen Fällen bei Kranken verwandt, welche ein jener Prüfung möglichst
ähnliches Symptomenbild darbieten. Da die Wirkung des gegebenen Mittels eine specifische, im Sinne Hahnemanns,
ist, so muß es in sehr kleinen Dosen verabreicht werden, und dieser Umstand hat die eigenartige homöopathische
Gabenlehre
hervorgerufen, bei welcher der Arzneistoff, in seine kleinsten Bestandteile zerlegt, verabreicht wird.
Dieses Verfahren heißt Potenzierung. Den Grundstoff dieser Potenzen bildet die aus frischen Pflanzen hergestellte Essenz, oder die aus Droguen hergestellte Tinktur, welche mit Alkohol verdünnt wird, und zwar nach der Decimal- oder nach der Centesimal-Skala (1:10 oder 1:100), indem aus der ersten Verdünnung durch Hinzufügung von 9 bez. 99 Teilen Alkohol eine zweite Verdünnung, aus der letztern auf gleiche Weise eine dritte u. s. w. hergestellt wird, ein Verfahren, welches von den Homöopathen früher bis zur dreißigsten Ziffer und noch höher fortgesetzt wurde.
Für trockne Arzneistoffe, welche in Alkohol nicht löslich sind, gilt eine besondere Vorschrift bis zur sechsten Decimalstufe,
resp. dritten Centesimalstufe. Hier werden im Verhältnis von 1:10 oder 1:100 innigste Verreibungen
des Arzneistoffs mit Milchzucker vorgenommen. Die Ziffern, welche man in den zur Krankenbehandlung nach
homöopathi
schen Grundsätzen herausgegebenen Büchern hinter den Arzneimittelnamen angegeben findet, bedeuten die Höhe der
Verdünnungs- oder Potenzierungsstufe, also 3., 6., 9. u. s. w. In der homöopathi
schen
Rezeptur gilt als Regel, daß bei den nach der Decimal-Skala angefertigten Verdünnungen vor dieser Ziffer
ein D oder dec. angebracht wird.
Die Homöopathie
hat ihre Bedeutung in der Geschichte der Medizin; sie hat eine Reaktion gegen die Anwendung von Arzneien in großen
Dosen und unnötigen Zusammensetzungen (die «langen Rezepte») hervorgebracht und hat indirekt die Aufmerksamkeit auf die Naturheilkraft
und auf die Bedeutung der Diät in Krankheitsfällen gelenkt. Die neuere Homöopathie
hat infolge
der Fortschritte der mediz. Wissenschaften so manche von ihrem Begründer und seinen Nachfolgern aufgestellte Theorie aufgegeben
und die den Grundstock der Homöopathie
bildende, rein symptomatische Arzneimittellehre von der wissenschaftlichen
Pharmakologie beeinflussen lassen.
Die Ausbreitung der Homöopathie
ist verhältnismäßig bedeutend, aber ihre Anhänger bestehen zum größten Teil
aus Laien in der Medizin, an die sich auch die Litteratur der Homöopathie
vorwiegend wendet. An homöopathischen Ärzten giebt es (nach
Willmar Schwabe) in Deutschland
[* 5] etwa 500, in Österreich-Ungarn
[* 6] 400, in der Schweiz
[* 7] 40, in Italien
[* 8] 250, in England 400, in Spanien
[* 9] 300, in Frankreich 500, in Belgien
[* 10] 60 u. s. w. Außerordentlich verbreitet ist die Homöopathie
in den Vereinigten Staaten
[* 11] von
Amerika,
[* 12] wo es 3000 homöopathische Ärzte giebt.
Homöopathische Akademien finden sich in Chicago, Iowa, Boston,
[* 13] Ann Arbor (Michigan), St. Louis, Neuyork,
[* 14] Cleveland, Cincinnati
und Philadelphia,
[* 15] zum größten Teil verbunden mit homöopathischen Hospitälern. Schwabe zählt an letztern 27 mit
etwa 1800 Betten. In Europa
[* 16] finden sich homöopathische Krankenhäuser in Leipzig,
[* 17] Cöthen,
[* 18] München,
[* 19] Gumpendorf bei Wien,
[* 20] Budapest,
[* 21] Turin,
[* 22] Paris,
[* 23] Madrid
[* 24] u. s. w.; Lehrstühle für Homöopathie
in London,
[* 25] Madrid, Paris und Budapest.
In der Pharmacie bildet die Homöopathie
eine Specialität. Homöopathische Centralapotheken finden sich in Leipzig (Willmar Schwabe; Täschner
& Co.), in Paris (Catellan Frères), München, London, Petersburg
[* 26] und in Nordamerika
[* 27] (Böricke & Tafel
in Neuyork und Philadelphia). In Deutschland sind die homöopathischen Arzte korporativ vertreten durch den «Homöopathischen
Centralverein Deutschlands»
[* 28] (eingetragene Genossenschaft in Leipzig) sowie durch Lokalvereine in Berlin,
[* 29] Leipzig, Sachsen-Anhalt,
Schlesien,
[* 30] Württemberg
[* 31] und Rheinland-Westfalen. Außerdem bestehen gegen 300 Laienvereine, die sich in
Sachsen,
[* 32] Württemberg, Pommern,
[* 33] den Bergischen Landen u. s. w. zu Landesverbänden vereinigt haben.
Litteratur. Von der großen Reihe der einschläglichen litterar.
Erscheinungen seien erwähnt: In der Therapie: Kafka, Die homöopathische Therapie auf Grundlage der physiol. Schule (2 Bde., Sondersh. und Gotha [* 34] 1863-69);
Grauvogl, Lehrbuch der Homöopathie
(Nürnb. 1866);
Jahr, Klinische Anweisung zur homöopathischen Behandlung der Krankheiten (3. Aufl., Lpz. 1867);
Heinigke, Handbuch der homöopathischen Arzneiwirkungslehre (ebd. 1880);
von Bakody, Hahnemann redivivus (ebd. 1883);
Lehrbuch der homöopathischen Therapie (2 Bde., 5. Aufl., ebd. 1891);
Hirschel, Homöopathischer Arzneischatz (15. Aufl., ebd. 1891);
Clotar Müller, Haus- und Familienarzt (12. Aufl., ebd. 1892);
Groß und Hering, Vergleichende Arzneiwirkungslehre (ebd. 1392).
In der Pharmacie: Schwabe, Pharmacopoea homeopathica polyglotta (2. Aufl., Lpz. 1880; fünfsprachig);
Grüner, Homöopathische Pharmakopöe (6. Aufl., ebd. 1890).
In der Tierheilkunde: Schwabe, Großer illustrierter Haustierarzt (Lpz. 1888);
Hübner, Tierarzt (9. Aufl. 1892).
Geschichte: Kleinert, Geschichte der Homöopathie.
(Lief. 1-7, Lpz. 1861-62);
Ameke, Entstehung und Bekämpfung der Homöopathie
(Berl. 1884).
Gegenschrift: Rogers, Present state of therapeutics (Lond. 1870).
Zeitschriften: Allgemeine homöopathische Zeitung (Lpz. 1832 fg.), Zeitschrift des Berliner
[* 35] Vereins homöopathischer Ärzte (Berl. 1881 fg.),
Leipziger populäre Zeitschrift für Homöopathie
(Lpz. 1870 fg.), Homöopathische
Monatsblätter (Stuttg. 1876 fg.).