Holzbaukunst
(Holzarchitektur), die Bauart, bei welcher die kunstmäßige Verwendung des Holzes die entscheidende Rolle
spielt. Während die
Romanen von alters her hauptsächlich den Steinbau pflegten, haben die
Germanen überall hin eine mehr
oder weniger entwickelte Holzbaukunst
gebracht. (S.
Bauernhaus.)
[* 3] Die kirchlichen Bauten waren in ältester Zeit durchgehends oder doch
ihrer Mehrzahl nach Holzbauten; freilich haben sich von diesen nur wenige erhalten. Das bemerkenswerteste
Beispiel ist die
Kirche zu
Braunau im Riesengebirge von 1071. Sie ist 20 m lang, 8,7 m breit und von einem niedern Umgang umgeben.
Die Wände sind durch Verschalung mit Brettern gebildet. Ähnlich war die 1846 abgebrochene Iodocuskapelle zu Mühlhausen [* 4] in Thüringen, die 1251 errichtet wurde. Diese Kirchen sind in Ständerbau, d. h. derart gezimmert, daß die eigentlich tragenden Hölzer aufrecht gestellt wurden. Schlesien [* 5] besitzt aber auch eine Reihe von Kirchen im Blockbau, d.h. bei welchen die Wände aus aufeinandergelagerten, an den Ecken sich überschneidenden Balken gebildet sind. So in Syrin und Lubom (von 1305), beide mit einem gesondert stehenden Glockenturm.
Ähnliche Formen wurden an mehrern Dorfkirchen
bis in das 17. Jahrh. hinein verwendet. Ebenso bauten unter deutschem Einfluß
viele Gemeinden
Böhmens und Mährens
(Pardubitz, Wietrkowič), Galiziens und
Ungarns (Szuszkó im Beregher
Komitat u. a.); interessant
sind auch die Holzkirchen
Norwegens (Hittendal, Borgund
u. a.; s.
Skandinavische Kunst)
[* 6] und
Rußlands. Auch
nach dem Dreißigjährigen
Kriege blieb
Schlesien teilweise für die
Anlage der
Kirchen bei der Holzbaukunst.
Die Friedenskirchen zu Iauer
(1654 - 55, mit gegen 6000 Plätzen), zu Schweidnitz
[* 7] (1657-58, mit 8000 Plätzen, beide von
A. von Saebisch erbaut) sind
großartige
Beispiele dieser Art.
Ungleich Bedeutenderes leistete jedoch die Holzbaukunst
im Profanbau, in welchem sich ganz bestimmte
Abarten zeigen. Am glänzendsten
entwickelte sich die Holzbaukunst
aus dem niedersächs.
Bauernhause und zwar namentlich in Halberstadt,
[* 8]
Braunschweig,
[* 9] Hildesheim,
[* 10] im
Weserthal, im nördl. Kurhessen, im Lippeschen und in Westfalen;
[* 11] von hier aus erstreckte
sich eine verwandte Bauweise in die Elblande und über diese hinaus nach Nordosten. Das Bezeichnende für diesen
Stil ist
der
Ständerbau, die vorkragenden, meist durch verzierte Kopfbänder gestützten
Balkenköpfe, die
Ausstattung mit Schnitzwerk,
welches regelmäßig aus dem Vollholz herausgekerbt, nicht auf dieses befestigt ist.
Die ältesten erhaltenen Bauwerke dieser Art gehören dem Ende des 15. Jahrh. an. Sie zeigen got. Formen, die sich langsam während des 16. Jahrh. in jene der Renaissance wandeln und auch spät das Barock annehmen. Mit dem 18. Jahrh. endet die kunstmäßige Behandlung. Für die älteste Zeit sind das Trinitatisspital (von 1459) und Krämerhaus (1482) in Hildesheim, die Rathäuser zu Halberstadt (1461), Wernigerode [* 12] (1494), Duderstadt (1528), Wohnhäuser [* 13] in Braunschweig, Halberstadt, Hildesheim, Hameln, [* 14] Münden, Herford, [* 15] Göttingen, [* 16] Quedlinburg, [* 17] Lübeck [* 18] hervorragende Beispiele. Aus dem 16. Jahrh. sind das Knochenhauer-Amtshaus in Hildesheim (1529), das Haus «Am Sack» in Braunschweig hervorragende Beispiele, dann außer in den genannten Städten noch in Goslar, [* 19] Celle, [* 20] Hannover, [* 21] Quedlinburg, Hameln, Stadthagen, Höxter, Osnabrück, [* 22] Einbeck, [* 23] Hamburg, [* 24] Cassel.
Eine zweite Gruppe bilden die aus dem fränk. Bauernhause entwickelten Ständerbauten, die in Ober- und Niederhessen, am Mittelrhein, an der Lahn und Mosel, in Thüringen, am Main heimisch sind. Ein unlängst abgetragenes Haus in Marburg [* 25] von 1320 eröffnet die Reihe, in der das Rathaus zu Alsfeld (1512), das Gasthaus zu Homberg (1480), Bauten in Frankfurt [* 26] a. M., Nürnberg [* 27] die ältere got. Zeit darstellen. Aus der Renaissancezeit sind die zierlichen Erker und Höfe Nürnbergs, das Salzhaus zu Frankfurt a. M., das Kammerzellsche Haus in Straßburg, [* 28] Häuser in Mainz, [* 29] Heldburg, Rhense künstlerisch wertvoll. Ähnlich gestaltet sich das schwäb.-alamann. Haus, das namentlich in Württemberg [* 30] eine glänzende Ausbildung erhielt. Bauten zu Tübingen [* 31] (Rathaus von 1435), Stuttgart, [* 32] Schwäbisch-Hall, Rotenburg ob der Tauber und andern Orten sprechen hierfür.
Eine besondere Gruppe bildet die
Schweizer Holzbaukunst
, welche bis vor kurzem fast allein Beachtung gefunden hat. Charakteristisch
für sie ist auch die
Anlage von offenen
Hallen (Lauben) unter den weit vorragenden, meist flachen Dächern,
und während bei den deutschen Häusern die Kunstformen in der
Anordnung der Ständerbalken und des Riegelwerks wie in der
Schnitzkunst beruhen, sind hier aus Brettern gesägte Ornamente
[* 33] das hervorragendste Schmuckmotiv und erzielen reizvolle Wirkungen.
Ähnlich, doch weniger kunstvoll, gestaltet sich der Holzbau
Schlesiens und
Böhmens und weiterhin der
der slaw.
Länder, namentlich
Rußlands.
In den außerdeutschen
Ländern bietet das nördl.
Frankreich und besonders England reiche
Beispiele einer hochentwickelten Holzbaukunst.
In neuerer Zeit hat man, namentlich auf Anregung des
Deutschen Architektenvereins, auf
die Aufmessung alter Holzbauten und die Verwendung von deren Kunstformen das Augenmerk gerichtet. Nachdem
der «Schweizerstil» lange Zeit allein vorgeherrscht hat, hat man jetzt
mit Vorliebe auf die anmutige und kraftvolle, in den Harzgegenden heimische Bauweise zurückgegriffen.
Vgl.Dahl,
Denkmale einer Holzbaukunst
Norwegens
(Dresd. 1837);
Nash, The mansions of England in the olden time (4 Serien, Lond. 1839 - 49);
Viollet-le-Duc, L'art russe, ses éléments constitutifs, son apogée, son avenir (Par. 1877);
Lehfeldt, Die Holzbaukunst
(Berl. 1880);
Gladbach, [* 34] Die Holzarchitektur der Schweiz [* 35] (2. Aufl., Zur. 1885);
ders., Der schweiz. Holzstil (1. Serie, ebd. 1882; 2. Serie, ebd. 1886);
ders., Charakteristische Holzbauten der Schweiz vom 16. bis 19. Jahrh. (Berl. 1889-93);
Lachner, Geschichte der Holzbaukunst
in
Deutschland
[* 36] (2
Tle., Lpz. 1885
u. 1887);
Cuno und Schäfer, Holzarchitektur des 14. bis 18. Jahrh. (Berlin). [* 37]