Holbach,
Paul Heinrich Dietrich, Freiherr von, der »Nährvater« (wie sein Freund Diderot der geistige Vater) der Encyklopädisten, geb. 1723 zu Heidelsheim in der Pfalz, brachte sein Leben in Paris, dem damaligen Herde der Geisterbewegung, zu, deren Zentrum die Encyklopädie und deren Ausgangsort ein gastfreies Haus bildete. Ein reiner und menschenfreundlicher Charakter, dessen Ehrgeiz darin bestand, das Beste seiner Mitmenschen, wie er es verstand, zu fördern, widmete er sein Leben und sein Vermögen mit deutscher Beharrlichkeit der Bekämpfung dessen, was ihm als schädliches Vorurteil, sowie der Verbreitung desjenigen, was ihm als Wahrheit erschien. Da seiner Ansicht nach die wahre Bestimmung des Menschen darin besteht, glücklich zu sein, so müssen alle derselben im Weg stehenden Meinungen als schädliche Vorurteile beseitigt, dagegen alle damit in Übereinstimmung stehenden Erkenntnisse möglichst allgemein verbreitet werden. Zu jenen rechnet Holbach nicht nur das Christentum, sondern alle Religionen, die er als Erzeugnisse priesterlichen Eigennutzes darzustellen, und deren Entbehrlichkeit nicht nur, sondern Nachteiligkeit für Moral und Völkerglück er darzuthun sich bemüht, zu diesen dagegen die Naturwissenschaften, welche, indem sie die Dinge darlegen, wie sie wirklich sind, den menschlichen Geist von Irrtümern und Einbildungen über sein Wesen, seinen Ursprung und seine Zukunft freimachen. Ersterer Richtung gehören seine zahlreichsten einst einflußreichen, jetzt völlig vergessenen Schriften au, wie: »Christianisme dévoilé« (Lond. [Nancy] 1767); »Examen critique de la vie et des ouvrages de saint Paul« (Lond. 1770); »La contagion sacrée« (1767); »De l'imposture sacerdotale« (1767); »Lettres à Eugénie, ou préservatif contre les préjugés« (1768); »Les prêtres démasqués« (1768); »L'esprit du judaïsme« (1770); »Ecce homo« oder »Histoire critique de Jésus-Christ, ou analyse raisonnée des évangiles« (1770, Edinb. 1799 u. Lond. 1813); »Essai sur les préjugés« (1770); »La politique naturelle« (1773, 2 Bde.); »Système social« (1773, 2 Bde.); »L'éthocratie, ou le gouvernement fondé sur la morale« (1776) und »La morale universelle« (1776). Für die Naturwissenschaften hat er nicht nur (seit 1752) durch Übersetzungen naturwissenschaftlicher und technischer Schriften (meist aus dem Deutschen) gewirkt, sondern hauptsächlich durch sein berühmtestes (oder
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berüchtigtstes) Buch, das »Système de la nature« (Lond. [Amsterd.] 1770, 2 Bde.; deutsch von Schreiter, Frankf. 1783, 2 Bde.; Leipz. 1843), denselben eine (materialistisch-mechanische) metaphysische Grundlage zu geben versucht. Der Zusatz auf dem Titel: »ou des lois du monde physique et du monde moral« verrät deutlich, daß es dessen Verfasser (oder Verfassern), wie einst Spinoza mit seiner »Ethik«, um die praktischen Konsequenzen wenigstens ebensoviel wie um die theoretische Welteinsicht zu thun war. Dasselbe erschien unter dem Namen des (zehn Jahre vorher verstorbenen) Akademikers Mirabaud und war seinem Inhalt nach, wie aus Diderots nachgelassenen Schriften erhellt, diesen teilweise wörtlich, wahrscheinlicherweise aber auch handschriftlichen Aufsätzen von La Grange, Naigeon u. a. entlehnt. Zweck desselben ist, zu beweisen, daß der Materialismus als Weltanschauung konsequent (was übrigens auch dessen diametralem Gegenteil, dem Idealismus Berkeleys, zugestanden wird) und wohlthätig sei. Ersteres gehe daraus hervor, weil ihm zufolge Moralisches und Physisches (Geist und Körper) dasselbe, das einzige Existierende die Materie und die von ihr unzertrennliche, auch derselben nicht erst mitgeteilte Bewegung sei. Zwecke gibt es daher ebensowenig wie moralische Beweggründe; alle Veränderung in der Natur geht durch wirkende Ursachen mit Notwendigkeit vor sich, und was die Psychologen Selbstliebe, Liebe und Haß nennen, ist nichts andres als die Bewegungsbedingungen, welche die Physiker Trägheit, Attraktion und Repulsion heißen. Wohlthätig aber wirke der Materialismus, weil er denjenigen, welcher weiß, daß alles Geschehende notwendig ist, von betrüglicher Hoffnung und quälender Furcht befreie und in der Gegenwart glücklich zu sein lehre. Statt durch Moralpredigen, lehrt er die moralisch Kranken dadurch zu bessern, daß er sie physisch gesünder zu machen sucht (der Arzt tritt an die Stelle des Seelsorgers); statt von den Menschen das Unmögliche zu fordern, daß sie, um sittlich zu handeln, gegen ihren Vorteil handeln sollen, lehrt er, daß sich die Gesellschaft am besten befindet, wenn jeder (durch sie) seinen Vorteil sucht; da letzteres jeder gern und, ohne gezwungen werden zu müssen, thut, so werden die Strafen immer seltener sein, welche, da alles aus Notwendigkeit geschieht, nicht darum verhängt werden, weil der Verbrecher frei und verantwortlich ist, sondern aus demselben Grund, aus welchem wir Flüsse, die beides nicht sind, doch eindämmen. Fanatiker der Konsequenz, Materialist aus »Humanität«, flößte Holbach nicht nur Gleichgesinnten Verehrung, sondern auch offenen Gegnern, wie Rousseau, solche Achtung ein, daß ihn dieser zum Modell seines Herrn v. Wolmar (in der »Neuen Heloise«) nahm. Die Kaiserin Katharina II. von Rußland zog ihn bei ihrer Gesetzgebung zu Rate. Er starb am Vorabend der Revolution, die er mit vorbereiten half, 21. Juni 1789. Vgl. Avezac-Lavigne, Diderot et la société du baron Holbach (Par. 1875).