Höhlentempel
,
indische, unterirdische Bauwerke, welche in manchen Teilen
Indiens ebenso häufig sind wie die
Kirchen
in christlichen
Ländern. Die
Inschriften, welche darin gefunden worden, beginnen mit dem 3. Jahrh.
v. Chr. und reichen
bis tief in das
Mittelalter hinab. Die meisten und ältesten Höhlentempel
sind von den Buddhisten ausgehauen.
Schon
Buddha selbst pflegte
sich mit seinem
Jünger Anenda zu frommer Sammlung in eine
Höhle zurückzuziehen. Solche
Höhlen wurden von den buddhistischen
Mönchen noch mehrere
Jahrhunderte nach dem
Tod
Buddhas häufig bewohnt. Es gab zwar auch
Tempel,
[* 2] aber keine
steinernen, sondern nur Holzbauten.
Hieraus erklärt es sich auch, daß die ältesten, aus den
Felsen ausgehauenen
Tempel den Einfluß der Holzstruktur in den
Decken und in den
Ornamenten deutlich verraten. Auch kam
Holz
[* 3] selbst zur Verwendung, und mehrfach, z. B. in dem Höhlentempel
von
Karli,
hat sich das zum
Schmuck und zur Verkleidung dienende Holzwerk noch erhalten. Einen großen Aufschwung
nahm die
Ausgrabung von Höhlentempeln
im 3. Jahrh.
v. Chr., und es wäre nicht unmöglich, daß die Bekanntschaft mit griechischer
Kunst, welche der
Alexanderzug vermittelte, einen Einfluß auf diese Thätigkeit geübt hat.
Doch sind die
Säulen
[* 4] der Höhlentempel
von den griechischen ganz verschieden, und der Umstand, daß sich
die große
Mehrzahl derselben, über 1000, im westlichen
Indien vorgefunden hat, legt es nahe, die
Ausgrabung dieser Höhlentempel
mit
der
Beschaffenheit des dortigen Gesteins in
Verbindung zu bringen. Die
Lagerung der Felsenschichten ist dort durchgehends eine
horizontale und außerordentlich regelmäßige.
Schichten von hartem und weicherm
Gestein wechseln miteinander
ab, so daß man die
Grotten mit besonderer Leichtigkeit dazwischen einschieben kann.
Auch lassen diese
Felsen nirgends die
Feuchtigkeit durch. Unter diesen Umständen war das Ausgraben der Höhlentempel
wahrscheinlich billiger
und
weniger mühsam, als die Errichtung von Bauten gleichen
Umfangs aus dem nämlichen
Gestein sich gestaltet
haben würde, und die Unzerstörbarkeit der Höhlenbauten gewährte einen so großen Vorteil, daß man
sie den in andern
Ländern
üblichen Steintempeln vorzog. Ungefähr drei
Viertel der Höhlentempel
im westlichen
Indien rühren von den Buddhisten her.
Man kann sie in zwei Hauptklassen einteilen: Chaityas und Vihâras. Die Chaityas haben ihren Namen von dem darin enthaltenen Chaitya oder Dagoba, einem aus dem Felsen gehauenen Steincylinder, der oben in eine Kuppel ausläuft, auf der sich ein viereckiger Säulenhals, darüber ein Kapitäl und an der Decke [* 5] ein Steinschirm befindet. Unter dem Schirm, dem Zeichen der Herrschaft und Verehrung, pflegten die Reliquien ausgebreitet zu werden, die man der gläubigen Menge zeigte.
Der vordere Teil dieser Chaityatempel ist eine längliche, oft mit Säulen geschmückte Halle. [* 6] Die Vihâras (Klöster) bestehen aus einer Anzahl Zellen, in welchen die buddhistischen Mönche wohnten, und einer davor befindlichen Veranda, wozu in späterer Zeit noch eine Versammlungshalle kam. In der Nähe des Eingangs befindet sich eine ebenfalls aus dem Felsen ausgehauene Zisterne. Jede Zelle, [* 7] wenigstens in den ältern Vihâras, enthält eine Bank oder Lagerstatt von Stein.
Die ältern
Tempel rühren alle von der Hinayanasekte der Buddhisten her.
Ihre Ornamentik ist einfach,
und sie enthalten keine
Götterstatuen. Der bekannteste und architektonisch großartigste
Tempel dieser
Klasse ist der zwei
Stunden
von der
Station Lanauli der Bahnlinie
Bombay-Puna entfernte Höhlentempel
von
Karli (s. d.), der schon in einer alten
Inschrift über dem
Eingang, welche aus dem 1. Jahrh.
v. Chr. herrührt, als »unvergleichlich« bezeichnet wird. Zu den interessantesten
Aushöhlungen der ältern
Epoche gehört auch ein Teil der Höhlentempel
von Ajanta, nordöstlich von dem vorigen,
in den
Bergen,
[* 8] welche das
Tafelland von
Dekhan von dem
Thal
[* 9] des
Tapti scheiden.
Hier ist auch eine große Anzahl sehr gut erhaltener Gemälde entdeckt worden, welche Wundergeschichten aus dem
Leben des
Buddha und aus den alten buddhistischen Märchensammlungen darstellen und eine
Anschauung von dem sozialen
Leben der
Hindu in der ältern
Periode des
Buddhismus gewähren. Die Höhlentempel
von Ajanta sind sehr zahlreich und gehören verschiedenen
Jahrhunderten an. Ein großer Teil derselben ist erst in der spätern
Epoche des
Buddhismus angelegt worden, als die Mahayanasekte
zur Herrschaft gelangte.
Auch in diesen
Tempeln befinden sich interessante Gemälde. Die 109 Höhlentempel
von Kanheri, auf der
Insel
Salsette, nördlich von
Bombay,
[* 10] scheinen ebenfalls zum größten Teil dem spätern
Buddhismus anzugehören. Die wichtigste und mannigfaltigste
Gruppe von Höhlentempeln
hat
Ellora (s. d.) aufzuweisen, das etwa 3
Meilen östlich von Aurengabad in den
Staaten des
Nizams von
Haidarabad
gelegen ist. Ein Teil der Höhlentempel
von
Ellora reicht noch in die buddhistische
Epoche zurück, aber die bedeutendsten derselben rühren
von brahmanistischen
Sekten her.
Als bei dem
Verfall des
Buddhismus in
Indien die
Brahmanen im Wetteifer mit den buddhistischen
Priestern sich um die Volksgunst
bewarben, griffen sie eifrig nach einer Form der
Architektur, welche sich so großer
Popularität erfreute,
und so begann im 6. und 7. Jahrh.
n. Chr. die Aushöhlung der brahmanistischen
Grotten, welche an
Ausdehnung
[* 11] und
Kunst der
Dekoration
den buddhistischen Höhlentempeln
mindestens gleichkommen, wenn sie auch weniger geschmackvoll sind.
Ihre Bauart schloß sich
an die Vihâras der
¶
mehr
Buddhisten an. Doch entwickelte sich bald ein selbständiger brahmanistischer Stil, der seinen Gipfelpunkt in dem berühmten Kailasatempel zu Ellora erreichte. Dieser merkwürdige Tempel kam nicht durch Ausgrabung einer Höhle an der Seite eines Hügels zu stande, sondern es wurden drei gewaltige Schnitte in den Felsen geführt. So macht das Ganze den Eindruck eines an die Felswand angelehnten, aus soliden Quadern aufgeführten Gebäudes. Die Ornamentik ist außerordentlich reich.
Die Skulpturen stellen siwaitische Gottheiten und Szenen aus den beiden indischen Nationalepen, dem »Mahâbhârata« und »Râmâyana«,
dar. In etwas spätere Zeit als der Kailasatempel in Ellora, wahrscheinlich in das 8. oder 9. Jahrh., fällt
der Höhlentempel
von Elefanta, einer Insel bei Bombay. Auch dieser Höhlentempel
ist von Siwaiten ausgehöhlt und voll von mythologischen Darstellungen.
Noch später als die brahmanistischen Höhlentempel
sind diejenigen der Dschaina, aus dem 7.-15. Jahrh. n. Chr. Sie stehen sowohl an historischem
Interesse als an Kunst der Ausführung hinter den buddhistischen wie hinter den brahmanistischen bei weitem
zurück. Über das Künstlerische der Höhlentempel
vgl. auch Baukunst,
[* 13] S. 484, nebst dazu gehöriger Tafel I,
[* 12]
Fig. 8-13, sowie Fergusson
und Burgeß, The cave temples of India (Lond. 1880); »Archaeological survey of Western
India« (Bd. 4. u. 5,
das. 1882 u. 1883); Schlagintweit, Indien in Wort und Bild (Leipz. 1881).