Hirschhorn
(Hirschgeweih, Cornu cervi), vom Edelhirsch und Damhirsch abstammend, gleicht in seiner Zusammensetzung den Knochen, [* 2] enthält nämlich etwa 57 Proz. phosphorsauren, 7 Proz. kohlensauren Kalk und 36 Proz. leimgebende Substanz. Es kommt ganz oder in Stücken, besonders aus Tirol, [* 3] Ungarn [* 4] und Mittelamerika, in den Handel, läßt sich bohren und abdrehen und wird zu Kronleuchtern, Möbeln, allerlei Gebrauchsgegenständen, namentlich Messer- und Gabelheften, Stockknöpfen etc., auch, in dünne Scheiben geschnitten und gebleicht, zum Furnieren feiner Kästchen benutzt.
Die beim Verarbeiten des Hirschhorns
abfallenden Späne,
welche als geraspeltes Hirschhorn
(Cornu cervi raspatum,
Rasura cornu cervi)
im
Handel vorkommen, benutzt man zur
Darstellung einer
Gallerte, indem man sie anhaltend mit
Wasser kocht,
die Brühe durchseiht, einkocht und erkalten läßt. Diese
Gallerte wird zum
Klären benutzt.
Beim Erhitzen zersetzt sich das
und liefert bei trockner
Destillation,
[* 5] außer brennbaren
Gasen, das Hirschhornsalz
(Sal volatile cornu cervi,
Ammonium carbonicum
pyro-oleosum), mehr oder weniger gelbes oder braunes kohlensaures
Ammoniak, welches sich bei der
Destillation
im Retortenhals verdichtet; eine braune, wässerige
Flüssigkeit, den Hirschhorn
geist oder Hirschhornspiritus, welcher außer
kohlensaurem
Ammoniak wohl noch essigsaures
Ammoniak, Cyanammonium und
Schwefelammonium enthält und früher medizinisch benutzt,
später aber durch eine mit wenigen
Tropfen
Tieröl versetzte
Lösung von reinem kohlensauren
Ammoniak
(Liquor
ammonii carbonici pyro-oleosi) ersetzt wurde.
Neutralisiert man Hirschhorn
geist mit
Bernsteinsäure, so erhält man aus jenem den
Liquor cornu cervi succinatus, welcher
jetzt ebenfalls aus den
Surrogaten bereitet wird.
Endlich tritt bei der trocknen
Destillation des Hirschhorns
noch ein sehr
heftig stinkendes
Öl, das Hirschhornöl
(Tieröl,
Oleum animale foetidum,
Oleum cornu cervi), aus, dessen
Zusammensetzung eine sehr komplizierte ist. Als Rückstand der
Destillation des Hirschhorns
bleibt das schwarz gebrannte Hirschhorn, welches
der
Knochenkohle gleichwertig ist.
Beim Luftzutritt erhitzt, liefert das Hirschhorn
weiß gebranntes Hirschhorn von der
Zusammensetzung der
Knochenasche. - Hirschhorn
geräte
(Hämmer,
Harpunen,
Pfriemen,
Äxte etc.) aus
Hirsch-,
Elch- und Rehgehörn
wurden schon in prähistorischer Zeit dargestellt.
Die einfachste Art der Benutzung des festen und zähen Materials bestand darin, daß man den Hauptstamm oberhalb der Stirnsprosse dicht unter der ersten Gabelung abschnitt u. als Stiel, die Stirnsprosse aber als spitzige Hacke benutzte. Die Enden der Zacken dienten bei der Herstellung von Flechtwerk aus stärkern Seilen und Stricken und bei der Seilerei. Auch Flöten wurden aus denselben gefertigt. Aus dem Stammende stellte man außerdem jene axt- oder hammerförmigen, mit Stielloch versehenen Geräte her, welche als Setzkeile dienten und zum Spalten von Baumstämmen gebraucht wurden.
Außerdem faßte man, namentlich in den
Pfahlbauten
[* 6] der
Schweiz,
[* 7] die Steinbeile manschettenförmig in kurze
Stammenden, welche in den eigentlichen Holzschaft eingesetzt wurden und das Aufspalten des letztern verhüten sollten.
Ferner
fertigte man
Meißel,
[* 8]
Pfriemen, Pfeilspitzen,
Nadeln,
[* 9]
Kämme und Harpunenspitzen aus den Stammenden. Die Verwendung des Hirschhorns
zu diesen
Zwecken reicht von der
Steinzeit
[* 10] bis in späte
Zeiten, in den ehemals wendischen östlichen Gebieten
bis in die wendische Zeit.
Gegenwärtig werden Hirschgeweihe von Jagdliebhabern vielfach gesammelt und zur
Dekoration von Gemächern verwendet, wofür
sich zahlreiche
Beispiele in fürstlichen
Schlössern
(Reinhardsbrunn in
Thüringen) finden.
Schon
Dürers
Freund
Pirkheimer war
ein eifriger Sammler von Hirschgeweihen. Seit der Renaissancezeit wurde das Hirschhorn
sehr mannigfaltig
zu Schnitzereien verarbeitet, und auch gegenwärtig findet es noch mannigfache Verwendung (s.
oben).