Titel
Hippokrates
(griech., »Rossebändiger«),
1) aus Chios, Mathematiker, lebte im 5. Jahrh. v. Chr. und lehrte in Athen die Geometrie, ward aber, weil er sich bezahlen ließ, von den Pythagoreern ausgestoßen. Nach ihm wird noch eine von ihm gefundene geometrische [* 1] Figur zur Quadratur des Kreises genannt (lunula Hippocratis), mittels deren er zuerst die Gleichheit einer von krummen Linien eingeschlossenen Fläche mit einer von geraden begrenzten entdeckte. Er schrieb zuerst ein System der Geometrie hinter dem Titel: »Stoicheia«, das aber verloren ist, und löste zuerst das »Delische Problem« (s. d.). Genaueres über Hippokrates, besonders auch die wörtliche Übersetzung eines Teils seines Werkes, findet man bei Bretschneider, Die Geometrie und die Geometer vor Euklides (Leipz. 1872).
2) Hippokrates von Kos, der Vater der Heilkunde, der berühmteste Arzt des Altertums, stammte aus dem Geschlecht der Asklepiaden, Sohn des Heraklides und der Phänarete, geboren um 460 v. Chr., erhielt seine erste Ausbildung in der ärztlichen Kunst der Asklepiaden durch seinen Vater, genoß später philosophischen Unterricht in Athen, durchwanderte Griechenland, Kleinasien, Skythien, Libyen, überall seine Kunst ausübend, bis er endlich nach Kos zurückkehrte. Er starb 364 (377) zu Larissa in Thessalien.
Seinen Namen tragen 52 Schriften, aber als echt gelten nur die über die alte Medizin: über Luft, Wasser und Ortsverhältnisse;
Vorhersagung;
über Diät in hitzigen Krankheiten;
über Epidemien, Buch 1 und 3;
über Kopfwunden;
über Knochenbrüche;
über Gelenkkrankheiten;
über ärztliches Gebaren und ärztliche Technik;
Aphorismen. Hippokrates ist der eigentliche Vertreter der gesamten griechischen Medizin und der Reformator der meisten vor ihm geschaffenen Disziplinen.
Seine anatomischen Kenntnisse sind allerdings noch sehr mangelhaft, Leichenuntersuchungen hat er, wie es scheint, nicht vorgenommen, den Sitz der seelischen Thätigkeit verlegte er in das Herz; vom Gehirn heißt es, es sezerniere Schleim, der aus der Nase heraustrete, auch zum Herzen gelangen könne; im Gehirn soll auch der Same bereitet werden, der durch das Rückenmark in die Hoden gelange. Aus den vier Elementarqualitäten der alten Naturphilosophen entwickelte er seine vier Kardinalsäfte: Schleim, Blut, gelbe und schwarze Galle, und die Krankheiten entstehen nach ihm aus den Abnormitäten der Beschaffenheit und Mischungsverhältnissen dieser Säfte.
Die Symptome dokumentieren das Bestreben der Natur, die kranken Säfte durch einen Kochprozeß (pepsis) unschädlich zu machen, sie darauf durch die Krise auszustoßen, welche vorzugsweise an gewissen ungleichen Krankheitstagen, den sogen. kritischen Tagen, eintritt. Die Hippokratische Therapie verhält sich infolge dieser Auffassung zu Anfang der Krankheit sehr vorsichtig, abwartend; es gilt, die Vorbereitungen der Natur nicht zu stören. Deshalb wendet er auch im ersten Stadium der Krankheit eine außerordentlich strenge Diät an. Nur da, wo ihn die Notwendigkeit zwingt, unterstützt er die vis medicatrix naturae, und hier sucht er den Indikationen durch seine Hauptmittel: emetica, laxantia und revulsiva, zu genügen.
Namentlich sucht Hippokrates durch die Revulsion und Derivation zu wirken, d. h. Ableitung der krankmachenden Säfte; dies that er bei Affektionen oberhalb des Zwerchfelles durch den Aderlaß, unterhalb desselben durch Laxantien. Trotz aller Veränderungen der pathogenetischen Anschauungen ist die Hippokratische Therapie bis in unsre Tage hinein aufrecht erhalten worden und ist in ihren Hauptzügen noch gleich kurant und gleich beliebt. In seinem ganzen ärztlichen Verfahren stellte übrigens Hippokrates die Diagnostik als Grundlage auf und erklärte die objektiven Symptome für zuverlässiger als die subjektiven.
Die Auskultation war ihm schon bekannt, wenn auch nur in den Anfängen, und wir können nicht genug die Feinheit und Überlegenheit der Beobachtungen bewundern und den edlen und schönen Geist, der alle seine Schriften durchweht. Dafür zeugt schon allein der Hippokratische Eid, in welchem der griechische Arzt gelobt, »in Keuschheit und Frömmigkeit sein Leben zu führen und seine Kunst zu bewahren«. Ausgaben der Schriften des Hippokrates erschienen griechisch Venedig 1526, Basel 1538;
mit lateinischer Übersetzung Venedig 1588, von Kühn (Leipz. 1826-27, 3 Bde.), von Ermerius (Utrecht 1859-64, 3 Bde.), von Reinhold (Athen 1864-67, 2 Bde.);
in lateinischer Übersetzung von Haller (Laus. 1769-71);
in deutscher von Grimm (Altenb. 1781-92, 4 Bde., unvollendet; neue Ausg. von Lilienhain, Glog. 1837-39, 2 Tle.), von Upmann (Berl. 1847);
in französischer von Littré (Par. 1839-1861, 10 Bde.).