Hetärie
(griech.,
»Verein,
Klub,
Bündnis von
Freunden«) nannte man im alten
Griechenland
[* 2] die Vereinigungen von Parteigenossen
zum
Zweck gegenseitiger Unterstützung bei Bewerbungen,
Prozessen u. dgl. gegen den überwältigenden
Druck des
Volkes. Diese Hetärien
erlangten in bewegten
Zeiten, in Parteikämpfen erhöhte Bedeutung und,
als Geheimbünde organisiert, deren Mitglieder sich durch
Eide verpflichteten, großen, oft verderblichen Einfluß; so namentlich
die oligarchischen Hetärien
in
Athen
[* 3] während des Peloponnesischen
Kriegs, welche den
Staat im Innern zerrütteten, 411
v. Chr.
einen
Staatsstreich versuchten, durch verräterische
Verbindung mit dem Feind seine Verteidigungskraft
lähmten und endlich die Herrschaft der
Dreißig Tyrannen aufrichteten.
Der Name hat sich in Griechenland bis auf die neuere Zeit als Bezeichnung einer Verbrüderung erhalten. Selbst auf gelehrte Vereine außerhalb der Grenzen [* 4] Griechenlands wurde der unverfängliche Name übertragen, z. B. auf die k. k. österreichische Societät zu Bologna, auf einen Verein von Griechen in Wien [* 5] zur Errichtung eines Lehrerseminars, welcher 1816 zusammentrat, und auf den 1816 zu Odessa [* 6] gebildeten merkantilischen Verein der Asphaïsten oder Assekuranten.
Bei den verschiedenen Versuchen der Neugriechen, das türkische Joch abzuschütteln, ist der Name vornehmlich von zwei Verbindungen, einer wissenschaftlichen, den Philomusen, und einer politischen, im griechischen Freiheitskampf oft genannten, gebraucht worden. Der Zweck der erstern, welche 1812 zu Athen gegründet wurde, war, in ganz Griechenland Schulen anzulegen und wissenschaftliche Zeitschriften zu verbreiten sowie einen Fonds zur Aufgrabung und Erhaltung der Altertümer, zur Anlegung einer Bibliothek und eines Museums in Athen, zur Herausgabe der griechischen Klassiker in den Urschriften und Übersetzungen und zur Unterstützung einzelner junger Griechen auf europäischen Universitäten zu sammeln.
Sie wuchs bald zu einem großen Bund heran, welcher zwei Lehranstalten oder Lyceen, das eine zu Athen, das andre zu Milias in Thessalien, stiftete und durch Beiträge der Mitglieder unterhielt. Fast aus allen Nationen ließen sich Gelehrte und Staatsmänner, ja sogar Minister und Fürsten aufnehmen, worunter besonders der Graf Kapo d'Istrias und der Erzbischof Ignaz als geborne Griechen zu nennen sind. Der Verein soll bald über 80,000 Mitglieder gezählt haben, welche einen Ring trugen mit dem Bild einer Nachteule (als Symbol der Athene, [* 7] der Weisheit) und des Kentauren Chiron mit einem Knaben (Achilleus als Symbol der Kraft) [* 8] auf dem Rücken.
Trotz seiner bedeutenden
Mittel geriet dieser
Verein durch den
Ausbruch der
Revolution 1821 ins
Stocken, wurde 1824 mit den frühern,
wesentlich gleichen
Zwecken wieder ins
Leben gerufen, erlosch aber, seit er durch die Errichtung des
Königreichs
Griechenland seine ursprüngliche Bestimmung teilweise verloren hatte. Die politische Hetärie
verdankt ihren
Ursprung dem Thessalier
Konstantin Rhigas. Derselbe erkannte das erwachende Verlangen der Griechen nach
Freiheit und verband
sich mit gebildeten und patriotisch gesinnten Männern zu einer Hetärie
, welche eine gewisse Übereinstimmung in
alle auf
Befreiung
Griechenlands vom türkischen
Joch abzielenden
Unternehmungen bringen sollte. Er rechnete
namentlich auf die Mitwirkung
Napoleon
Bonapartes, mit welchem er deshalb während dessen italienischen
Feldzugs 1797 in nähere
Beziehungen getreten war.
Rhigas'
Hinrichtung (1798) ließ es nicht zu dem angestrebten Erfolg kommen; doch waren einmal der
Enthusiasmus und der Vereinigungstrieb
unter den Griechen angeregt, so daß 1814 in
Odessa eine neue Hetärie
, die rein politische Hetärie der Philiker
(Philike Hetäria), gestiftet ward. Dieselbe machte sich die
Befreiung der Griechen vom türkischen
Joch zum
Ziel. Nur Griechen
fanden darin
Aufnahme, und kein Mitglied durfte zugleich einer andern geheimen
Gesellschaft angehören.
Die Aufzunehmenden mußten sich hinsichtlich ihres Lebenswandels, ihrer Gesinnungen und ihrer Vermögensumstände einer Prüfung unterziehen und einen zu Frömmigkeit, Vaterlands- und Freiheitsliebe verpflichtenden Eid leisten. Jedes Mitglied hatte das Recht, einen jeden aufzunehmen, welcher nach seiner Überzeugung die erforderlichen Eigenschaften besaß. Alle Mitglieder verpflichteten sich zunächst zu freiwilligen Geldbeiträgen in die sogen. Nationalkasse.
Das Ganze ward von einer
Archie geleitet und
war in mehrere
Grade oder
Klassen eingeteilt. Zur Anwerbung
neuer Mitglieder, insbesondere zur Gewinnung der unabhängigen
Klephthen und
Armatolen (s. d.), sowie überhaupt für einzelne
Gesellschaftszwecke wurden
Apostel ausgesandt, und außerdem hatte die an den Hauptorten des türkischen
Reichs ihre
Agenten
und
Ephoren, welche für die Erweiterung der
Gesellschaft Sorge trugen und besonders auch die
Schritte der
türkischen
Regierung zu überwachen hatten. Die Hetärie
hatte drei Bathmi, d. h.
Stufen oder
Grade: die Oberhäupter oder Blamides,
die Beigeordneten oder Systemeni und die
Priester oder Hiereis. Die Mitglieder erkannten sich, wie die Freimaurer, an gewissen
Zeichen der
Hand
[* 9] und
Stellungen der
Finger. Als alles zum
Aufstand bereitet und dem russischen
General
Fürsten
Alexander
Ypsilanti
die
¶
mehr
Oberleitung übertragen war, führte dieser 1821 durch seine verfehlte Erhebung in den Donaufürstentümern die Katastrophe herbei
(vgl. Griechenland, S. 709 ff.). Während der Revolution und des Freiheitskampfes übten mehrere Mitglieder der Hetärie
, welche
mit Rußland in Verbindung blieben, vielfach einen schädlichen Einfluß aus.
Vgl. Mendelssohn-Bartholdy, Die Hetärie
(in Sybels
»Historischer Zeitschrift«, Bd. 16, 1866).