Herzen
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Herzentzündung

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Seite 8.456.Alexander, russ. Publizist, geb. zu Moskau [* 2] als Sohn eines russischen Fürsten, Jakowlew, und der Luise Haag [* 3] aus Stuttgart, [* 4] wurde, nachdem er seine Studien in Moskau vollendet, 1834 mit einigen Genossen verhaftet, weil sie den Verdacht, einer Saint-Simonistischen Gesellschaft anzugehören, erregt hatten, und nach einer etwa jahrelangen Haft in Wjatka interniert. Während er hier bei der Regierung arbeiten mußte, hatte er bald Gelegenheit, sich so auszuzeichnen, daß er nach Wladimir, dann nach Moskau, endlich nach Petersburg [* 5] versetzt wurde. Indes einer freien Äußerung wegen wurde ¶
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er zum zweitenmal nach Nowgorod verbannt. Im J. 1842 schied er aus dem Staatsdienst, beschäftigte sich in Moskau mit philosophischen
Studien und veröffentlichte mehrere geistvolle Schriften, auch zwei Romane, deren erster im dritten Band
[* 7] von Wolfsohns »Rußlands
Novellendichtern« (Leipz. 1851) unter dem Titel: »Wer ist Schuld?« deutsch erschien. Nach dem Tod seines
Vaters (1846) verließ Herzen
Rußland, begab sich nach Deutschland,
[* 8] von da nach Italien
[* 9] und Frankreich. Seine beiden ersten aufsehenerregenden
Werke waren: »Vom andern Ufer« und »Briefe aus Italien und Frankreich«, die anonym und zuerst deutsch (von F. Kapp, Hamb. 1850)
erschienen. Da nach Bekanntwerden einiger politischer Schriften von ihm in Rußland der Druck aller seiner
Schriften verboten ward, siedelte er 1851 nach London
[* 10] über, gründete dort im Dienst gegen das Autokratenregiment in Rußland
eine Druckerei und gab zugleich seine Zeitschrift »Kolokol« (»Die Glocke«) heraus.
Unter seinen eignen politischen Schriften nennen wir: »Die Entwickelung der revolutionären Ideen in Rußland« (1851);
»Das getaufte Eigentum« (d. h. die Leibeignen, 1853);
»Gefängnis und Verbannung« (1854);
»Rußlands soziale Zustände« (auch deutsch, Hamb. 1854).
Der nützlichste Teil seiner Thätigkeit bestand in der Herausgabe moderner russischer Schriftsteller, wie Puschkin, Lermontow, Marlinskij u. a., ohne Zensurlücken. Seine Schriften und namentlich alle Nummern der »Glocke« fanden trotz strengen Verbots jahrelang ihren Weg über die russische Grenze; nach der Thronbesteigung des Kaisers Alexander II. kam eine Zeit, in welcher der Flüchtling die öffentliche Meinung seines Vaterlandes fast beherrschte. Er schien allwissend zu sein und Mitarbeiter in der Nähe des Throns zu haben.
Volle Bestätigung schien letztere Annahme zu erhalten, als er 1859 »Mémoires de l'impératrice Catherine,
écrits par elle-même« (deutsch, Hannov. 1859), eine von dem kaiserlichen Haus ängstlich bewahrte Geheimschrift, herausgab.
Keine Stimme hat die Echtheit dieser Denkwürdigkeiten angezweifelt; keine hat angeben können, wie er in ihren Besitz gekommen
ist. Seine politische Thätigkeit wurde in dieser Zeit zu einer Wohlthat für Rußland, da er die Schattenseiten
und schroffen Widersprüche der offiziellen und sozialen Verhältnisse mit warmem Herzen
besprach.
Genf (Stadt; Geschicht

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Genf.
Als sich aber Herzen
mehr und mehr Parteiinteressen hingab, fing sein Ansehen an zu sinken, und vollends verdarb er
es mit den Russen, als er während der polnischen Resolution in der »Glocke« seine Stimme für das polnische
Volk erhob. 1863 siedelte er nach Genf
[* 11] über, wo von 1865 bis 1868 auch der »Kolokol« erschien, unternahm dann mehrere Reisen und
hatte sich eben zu dauerndem Aufenthalt in Paris
[* 12] niedergelassen, als er starb. Mit seinen reichen Mitteln hat Herzen
stets
zahlreiche Flüchtlinge unterstützt. Bis in die 50er Jahre schrieb er unter dem Pseudonym Iskander. Eine
Gesamtausgabe seiner Werke in russischer Sprache
[* 13] erschien zu Basel
[* 14] 1875 ff. (10 Bde.
und 1 Band nachgelassener Werke). In deutscher Übersetzung erschien noch: »Aus
den Memoiren eines Russen« (Hamb. 1855-56, 4 Bde.).
Eine Biographie Herzens
lieferte Eckardt in »Jungrussisch und Altlivländisch« (2. Aufl.,
Leipz. 1871).