Herwegh
,
Georg, der hervorragendste unter den politischen Lyrikern der 40er Jahre, geb. zu Stuttgart, [* 2] bezog das protestantisch-theologische Stift zu Tübingen, [* 3] verließ dasselbe jedoch bald wieder, um sich der Litteratur zu widmen. Von der Schweiz [* 4] aus ließ er seine »Gedichte eines Lebendigen« (Zürich [* 5] u. Winterth. 1841; 10. Aufl., Stuttg. 1877) erscheinen, die eine so frische jugendliche Glut atmeten und dem unbestimmten Freiheitsdrang der Jugend so wohltönenden Ausdruck gaben, daß sie rasch populär wurden.
Kraft [unkorrigiert]
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* 6
Kraft.
Von großer Einfachheit,
Klarheit und
Kraft,
[* 6] sind sie wie aus Einem Guß geschaffen, ohne alles Spielende
und
Gesuchte. Ihr
Pathos freilich war das unklare
Pathos der gärenden
Jugend jener
Epoche, die, zwischen nationalen und kosmopolitischen,
monarchischen und republikanischen
Idealen schwankend, klar nur im
Bruch mit den alten herrschenden Zuständen war. Nach einem
kurzen Aufenthalt in
Paris
[* 7] machte Herwegh
im
Herbst 1842, um Mitarbeiter für eine beabsichtigte
Zeitschrift
zu gewinnen, eine
Reise durch
Deutschland,
[* 8] die einem wahren Triumphzug glich.
Kantharidensalbe - Kan

* 11
Kanton.
Selbst König
Friedrich
Wilhelm IV. von
Preußen
[* 9] ließ sich den Dichter vorstellen und redete ihn mit den
Worten an:
»Ich liebe
eine gesinnungsvolle
Opposition«. Als sich Herwegh
jedoch von
Königsberg
[* 10] aus im
Dezember 1842 in einem Schreiben
an den Monarchen, welches alle konventionellen
Formen vermissen ließ und gegen seinen
Willen veröffentlicht ward, sehr bitter
über das Verbot seiner
Zeitschrift beschwerte, wurde er aus dem preußischen
Staat ausgewiesen. Er kehrte nun nach der
Schweiz
zurück, fand aber auch hier in mehreren
Kantonen
Anfechtung in betreff seines Aufenthalts, bis er endlich
im
Kanton
[* 11] Baselland das schweizerische
Bürgerrecht erlangte, worauf er sich mit
Emma
Siegmund, der Tochter eines reichen jüdischen
Bankiers in
Berlin,
[* 12] verheiratete.
Nach einer
Reise nach Südfrankreich und
Italien
[* 13] nahm Herwegh
seinen bleibenden Aufenthalt in
Paris und ließ
von hier aus einen zweiten
Band
[* 14] der »Gedichte eines
Lebendigen« (1844) erscheinen. Hier trat zwar die republikanische
Tendenz
des
Poeten klarer und bestimmter hervor; aber die
Begeisterung, die jugendliche Kampfeslust erscheint infolge mancher ihm gewordenen
Enttäuschung bedeutend abgeschwächt, und statt Schwung und
Pathos herrscht der epigrammatische
Ton, der in
den frühern Gedichten nur in einzelnen schlagenden Wendungen laut geworden war, durchaus vor.
Baden (Großherzogtum;

* 15
Baden.
Daneben übersetzte er
»Lamartines sämtliche Werke« (Stuttg. 1843 bis 1844, 12 Bde.).
Gleich nach der
Februarrevolution von 1848 trat Herwegh
bei mehreren Kundgebungen der
Deutschen in
Paris als
Führer auf und fiel im
April an der
Spitze einer deutsch-französischen republikanischen Arbeiterkolonne in
Baden
[* 15] ein, ward jedoch 27. April bei
Schopfheim von den württembergischen
Truppen geschlagen und verdankte sein glückliches Entkommen nur dem
Mut seiner
Frau. Er
lebte darauf lange in Zurückgezogenheit zu
Paris, später in Zürich,
schließlich in
Lichtenthal bei
Baden-Baden,
[* 16] wo er starb.
In den letzten
Jahren trat Herwegh
nur bei besondern Anlässen mit einzelnen Gedichten, außerdem mit der Übersetzung
einiger Shakespeareschen
Dramen in
Bodenstedts
Ausgabe hervor. Die aus seinem
Nachlaß veröffentlichten
»Neuen Gedichte« (Zürich
1877)
zeigten sich in ihrer verbitterten und maßlosen Oppositionssucht durchaus unerquicklich und unerfreulich.