Hermaphrodit
ismus,
Zwitterhaftigkeit oder
Zwitterbildung, diejenige
Bildung organischer Geschöpfe, welche die
Geschlechtsteile
beider Geschlechter in einem Individuum vereinigt. Diese
Bildung ist normal bei vielen
Pflanzen und einigen niedern Tierklassen,
namentlich mehrern Mollusken,
[* 2] Ringelwürmern, Hohltieren, einigen
Stachelhäutern, vielen
Eingeweidewürmern u. s. w., von
denen einige das ganze
Geschäft der Zeugung allein, ohne Zuziehung eines zweiten Individuums, vollbringen
können, während andere, z. B. die Schnecken,
[* 3] welche zwar die
Geschlechtsteile beider Geschlechter vollkommen besitzen, nur
durch Vermischung mit einem andern
Tiere derselben Art sich fortzupflanzen im stande sind. Im letztern Falle spricht man von
Androgynie
(s. o.). Es kann der Hermaphrodit
ismus zeitlich getrennt sein, sodaß ein und dasselbe Geschöpf
erst männliche, dann weibliche Zeugungsstoffe produziert und umgekehrt (proterandrisch oder proterogynetisch; die
Austern
z. B. sind proterogynetisch).
Bei den höher stehenden
Tieren und dem
Menschen ist der Hermaphrodit
ismus, sofern er überhaupt vorkommt, stets
nur ein
Bildungsfehler, eine
Mißbildung, zu welcher in den frühesten Anfängen der Körperentwicklung nach bis jetzt
noch unerforschten Gesetzen der
Keim gelegt wird, und welche von ihrer Fehlerhaftigkeit durch die Unvollkommenheit des Geschlechtslebens
der
Zwitter ein deutliches Zeugnis ablegt.
Mit dem
Begriff eines Hermaphroditen
aus den höhern Tierklassen darf daher keineswegs die Idee an eine konstante Form, an
eine
Klasse von Geschöpfen derselben Beschaffenheit verbunden werden, es kann vielmehr bei den meisten,
vielleicht von allen
Arten der höhern
Tiere gelegentlich einmal ein hermaphrodit
isches Individuum vorkommen. Die vollständige
Ausbildung und
Vereinigung der männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane in demselben Individuum mit der Fähigkeit, von
beiden nach Belieben den von der Natur bestimmten Gebrauch zu machen und die Geschlechtsfunktionen vollständig
bis an ihr Ende auszuführen, würde das Ideal des Hermaphrodit
ismus darstellen.
Jedoch ist dieses durch die neuern
Beobachtungen als eine
Unmöglichkeit dargethan worden, sodaß man den
Gedanken an die doppelten
Geschlechtsverrichtungen gänzlich hat fallen lassen und einen wahren
Zwitter bereits ein solches Geschöpf nennt, bei welchem
sich die hauptsächlichsten männlichen und weiblichen Sexualorgane nebeneinander finden. So sind zahlreiche
Schmetterlingszwitter beschrieben worden, welche in den innern und äußern Charakteren auf der einen Seite männlich, auf
der andern weiblich waren; bei Fischen wird
Milch und Rogen nicht selten in demselben
Tiere in völlig normaler
Entwicklung
angetroffen, und es dürfte dies als das einzige sichere
Beispiel vollkommenen Hermaphrodit
ismus bei einem Wirbeltiere
dastehen, indem hier wohl kein Zweifel bleibt, daß die abgelegten
Eier
[* 4] (ganz oder teilweise) durch den Samen
[* 5] eben desselben
Tiers befruchtet werden könnten.
Beispiele ähnlicher Art sind bei andern Wirbeltieren
nicht erwiesen, und meist zeigt sich die
Zwitterbildung nur so, daß
die
Geschlechtsteile der einen Seite männlich, die der andern weiblich (Hermaphrodit
ismus lateralis), oder die innern männlich,
die äußern dagegen von weiblichem Ansehen sind, seltener umgekehrt (Hermaphrod
itismus transversalis); oder daß die Zahl
der Geschlechtsorgane zwar vermehrt, aber neben den ausgebildetern des einen Geschlechts die des andern nur angedeutet oder
verkümmert vorhanden sind.
In noch weiterm Sinne bezeichnet man mit dem Namen Zwitter mit Unrecht alle die Individuen, bei denen durch eine Deformität der äußern Geschlechtsteile, die in der frühesten Entwicklungsperiode des Menschen und der höhern Tiere bei beiden Geschlechtern in den Grundzügen ihres Baues durchaus ähnlich sind, sich auf den ersten Anblick das Geschlecht nicht bestimmen läßt. Sollte eine solche Untersuchung bei Kindern von zweifelhaftem Geschlecht noch kein befriedigendes Resultat geben, so ist doch von dem reifern Lebensalter der Pubertät und den dann eintretenden Erscheinungen Aufschluß über das eigentliche Geschlecht zu erwarten. Am häufigsten handelt es sich hierbei um einen sog. Pseudohermaphroditismus, welcher entweder bloß darin besteht, daß nur die äußern Geschlechtsorgane des betreffenden Individuums (Scheinzwitters) eine Bildung zeigen, wie sie jener des andern Geschlechts entspricht, oder darin, daß mit oder ohne eine solche Mißbildung der äußern Geschlechtsorgane auch die Ausführungsgänge der Genitalien des andern Geschlechts zu mehr oder weniger ausgesprochener Entwicklung gelangt sind.
Sind dabei die Keimdrüsen männlich, so spricht man von einem Pseudohermaphroditismus masculinus, sind sie aber weiblich, so nennt man diesen Zustand Pseudohermaphroditismus femininus. Ferner gehören hierher alle diejenigen Individuen, bei denen auch die genaueste Untersuchung, selbst die innere, nach dem Tode angestellte, das Geschlecht zweifelhaft läßt, weil die Geschlechtsteile so verkümmert sind, daß sie durchaus keinen sichern Anhaltspunkt zur Bestimmung des Geschlechts geben.
Bei dem
Menschen sind auch in den Fällen, in welchen die äußere Beschaffenheit am meisten Aussicht dafür bot, niemals
Ei
[* 6] und Samen bereitende Organe in einem und demselben Individuum mit Sicherheit nachgewiesen worden. Die
Zeugungsfähigkeit der abnormen
Zwitter ist im allgemeinen eine sehr geringe und beschränkt sich fast nur auf jene Art, bei
welcher auch durch eine genauere Untersuchung das Geschlecht ausgemittelt werden kann. Da diese Eigenschaft zugleich die
Ehefähigkeit bedingt, so kommen Fragen über den wirklichen oder nur scheinbaren Hermaphrod
itismus nicht selten vor
das
Forum
[* 7] der gerichtlichen
Medizin, wie diese auch bei Erbschaftsangelegenheiten manchmal über diesen Punkt ihr Gutachten
abzugeben hat.