Hering
(Clupea Cuv.), Gattung aus der Ordnung der Edelfische und der Familie der Heringe (Clupeoidei), Fische [* 3] mit stark zusammengedrücktem Leib, mit Kielschuppen bekleidetem Bauch, [* 4] großen, dünnen, leicht abfallenden Schuppen, nacktem Kopf, nicht vorspringendem Oberkiefer, weiter bis zur Kehle reichender Kiemenspalte, rudimentärer, hinfälliger oder fehlender Bezahnung, den Bauchflossen gegenüberstehender Rückenflosse und gabeliger Schwanzflosse.
Der gemeine Hering
(C. harengus
L., s. Tafel
»Fische I«),
[* 5]
über 18-36 cm lang, mit kleinen, schmalen Brust- und Bauchflossen, mittelständiger Rückenflosse, weit nach hinten gerückter, schmaler Afterflosse und tiefgegabelter Schwanzflosse, auf der Oberseite meergrün oder grünblau, auf der Unterseite und am Bauch silberfarben, mit dunkler Rücken- und Schwanzflosse und hellfarbigen Brust-, Bauch- und Afterflossen. Er findet sich im nördlichen Atlantischen Ozean, im Nördlichen Eismeer und an der Nordostküste von Asien, [* 6] in der Nord- und Ostsee, ist bei Island, [* 7] Finnmarken, Grönland selten und geht südlich über die französische Nordküste nicht hinaus.
In den andern europäischen
Meeren wird er durch andre
Arten ersetzt, und auch der an der nordamerikanischen Ostküste südlich
bis
Carolina in ungeheuern
Scharen (besonders in der
Chesapeakebai) auftretende Hering
ist artlich verschieden von unserm Hering. Von
letzterm unterscheidet man mehrere wissenschaftlich schwer definierbare, dem geübten
Blick des
Fischers
aber leicht erkennbare
Rassen, die auch in den Lebensgewohnheiten voneinander abweichen.
Alle
Rassen lassen sich in zwei
Gruppen
zusammenfassen: Hochsee- oder pelagische
Stämme, zu welchen die größten und für den Fischfang wichtigsten Hering
sscharen
an den norwegischen und britischen
Küsten gehören, und
Küsten- oder litorale
Stämme.
Letztere sind kleiner, in der
Nordsee weit weniger zahlreich als die Hochseestämme, in der
Ostsee aber bei weitem vorherrschend.
In der östlichen
Ostsee kommen außerdem noch die kleinen Strömlinge vor. Der größte und fetteste ist der der
Shetlandinseln
und der norwegischen
Küste, etwas kleiner ist der der holländischen und englischen
Küste, am kleinsten
der Ostseehering.
Der Hering lebt nahe der Oberfläche des
Meers, selten tiefer als 20
m, und nährt sich als Raubfisch hauptsächlich
von sehr kleinen
Krustentieren
(Kopepoden). Er hält sich in größern oder kleinern
Stämmen zusammen, und jeder derselben
bewohnt ständig einen verhältnismäßig eng begrenzten
Bezirk.
Zur Laichzeit kommen alle Heringe, bestimmten Straßen folgend, an die Küsten, wo die Küstenstämme auch außerhalb der Laichzeit verweilen. Die Laichzeit ist bei den einzelnen Rassen verschieden, mit Ausnahme des Juni und Dezembers fängt man in allen übrigen Monaten Stücke mit strotzenden Hoden und Eierstöcken. Die Hauptlaichzeit währt vom Januar bis März oder April und eine zweite vom Juli bis November; in der westlichen Ostsee fällt sie in die Monate April, Mai und September, Oktober. Es erscheinen dann zahllose Scharen in Zügen von meilenweiter Länge und Breite [* 8] (Bänke), in denen die Fische so gedrängt schwimmen, daß Boote, welche dazwischenkommen, in Gefahr geraten.
Unter diesen Umständen wird leicht der größte Teil der frei ins Meer austretenden Eier [* 9] durch den sich gleichförmig im Wasser verteilenden Samen [* 10] befruchtet. Das Erscheinen der Heringe an bestimmten Orten ist sehr unsicher; auch besitzt man keine untrüglichen Anzeichen, welche auf dasselbe vorbereiten. Die Fischchen schlüpfen bei 3-5° in 40 Tagen, bei 10° in 11 und bei höherer Temperatur in 6-8 Tagen aus; sie sind 5-8 mm lang, verwandeln sich bei 2,5-2,8 cm Länge aus der durchsichtigen, länger gestreckten Larvenform in die definitive Form und sind nach dieser Umwandlung Ende Juli 4,5-5,5 cm lang.
Der einjährische
Fisch ist an der Ostküste
Schleswigs 13-14, der kleinste laichreife 16-17,5
cm lang und dann wohl zwei Jahre
alt. Der sich etwas anders entwickelnden Herbstgeneration ist es zuzuschreiben, daß zu jeder
Jahreszeit
Fische verschiedener
Größe und
Ausbildung gefangen werden. Die jungen
Fische steigen etwa im
Lauf des ersten
Jahrs in die tiefern
Wasserschichten hinab. Mit den Hering
szügen erscheinen auch
Wale
[* 11] und zahlreiche Raubfische, welche sich in dieser Zeit ebenso
wie die Meervögel fast ausschließlich von
Heringen ernähren; viel größere
Mengen der letztern werden aber gefangen, und
zum Teil verfährt man dabei so rücksichtslos, daß gewisse Meeresteile bereits völlig ausgefischt
sind.
Die Hering
sfischerei ist stets eine Art
Glücksspiel, denn Jahre nacheinander erscheinen die
Heringe an einem bestimmten
Ort
zu
Milliarden, um dann plötzlich auszubleiben. Man fängt sie teils in kleinen, offenen
Booten in der
Nähe der
Küsten, teils
in größern, seetüchtigen Fahrzeugen, welche auf offener
See eine geschätztere
Ware erzielen. Zum
Fang
werden große
Netze ausgestellt, welche auf einmal 800,000-1,600,000
Heringe liefern. Durch besondere
Netze
(Wate) sperrt man
aber auch ganze
Fjorde und
Buchten ab, in welche die
Heringe eingedrungen sind, und erbeutet dann oft mehrere
Tausend
Tonnen,
jede einzelne zu 24,000
Stück gerechnet.
Man unterscheidet Matjes-
(Jungfern-)
Heringe, die noch nicht geschlechtsreif sind, geschlechtsreife Vollheringe
und die geringwertigen Hohlheringe
(Ihlen,
Schotten), welche gelaicht haben. Der frische (grüne) Hering ist sehr schmackhaft und
wird an den
Küsten in großer
Menge verzehrt.
London
[* 12] verbraucht davon jährlich 900,000
Fässer à 700
Stück, und in den letzten
Jahren sind auch bei uns größere
Mengen ins
Binnenland gebracht worden. Der bei weitem größte Teil der
Heringe wird aber eingesalzen und bildet dann einen der wichtigsten Handelsartikel.
Als solcher trat der Salzhering schon im frühen Mittelalter auf und bildete eine Hauptware des Hansabundes. Am eifrigsten betrieben aber die Holländer den Heringsfang, welcher sich besonders seit dem Anfang des 15. Jahrh. hob, nachdem Wilhelm Bökel (Beukelsz) eine neue Art des Einsalzens erfunden hatte. Zu Anfang des 17. Jahrh. setzten die Holländer für 90 Mill. Mk. Ware ab; alljährlich 24. Juni lief die Heringsflotte, 12,000 besegelte Schiffe [* 13] stark, vom Texel aus nach Norden, [* 14] um an den englischen und schottischen Küsten, den Shetlands etc. zu fischen. An den holländischen Küsten gefangene Heringe haben nie eine große Rolle gespielt. Seitdem auch in England und Schottland der Eifer für den Heringsfang erwacht ist, hat die holländische Heringsfischerei sehr an Bedeutung verloren, und der Ertrag ist auf 4,5 Mill. Mk. gesunken; aber holländische Heringe sind immer noch wegen ¶
mehr
guter Zubereitung besonders beliebt, obwohl man gegenwärtig alle ausgesuchte, gute und fette Ware als holländische zu bezeichnen pflegt. Die Holländer fahren in großen, seetüchtigen Büsen (Buisen) noch immer in der alten Richtung, salzen und verpacken die gefangenen und ausgeweideten Fische sofort und übergeben sie den schnell segelnden Transportschiffen (Heringsjägern), welche sie alsbald auf die Märkte bringen. Dies geschieht besonders mit den Matjesheringen, von denen die ersten und feinsten mit 5 Gulden pro Stück und dann noch tagelang mit 1 Gulden bezahlt werden, während die Vollheringe, nur vorläufig gesalzen, von den Buisen selbst heimgebracht und zu Hause marktfertig gemacht werden. In England wurde der Heringsfang bis 1830 von der Regierung subventioniert; noch gegenwärtig sind Regierungskommissare zur Prüfung und Stempelung der Ware angestellt, doch wird nur etwa die Hälfte der Ware gestempelt.
Die Hauptfangzeit fällt in August, September und Oktober, und die Ware ist sehr verschieden je nach der Lokalität, von der sie stammt. Wick und Dunbar sind die Hauptheringshäfen Schottlands, an der englischen Küste ist Yarmouth der Zentralpunkt. In Norwegen [* 16] ist die Küste zwischen Bergen [* 17] und Stavanger [* 18] besonders ertragreich;
man fischt im August und von Mitte Januar bis Ende März, und eine Telegraphenleitung längs der Küste benachrichtigt die Fischer von allem, was sie interessieren kann. In Deutschland [* 19] betreibt allein die Heringsfischereigesellschaft in Emden [* 20] den Fang im großen;
unbedeutend ist der Heringsfang in der Ostsee, wo die im Frühling laichenden Fische den Hauptertrag der Fischerei [* 21] bilden;
der schwedische Hering ist wohlfeil und gut gesalzen;
die kleine und ebenfalls gut gesalzene Ware an der deutschen Ostseeküste geht als Küsten- oder Strandhering.
Die Tonne Heringe faßt 400-1200 Stück; man unterscheidet Seepack, unsortierte Ware in erster Verpackung, und Brandhering, an den Handelsplätzen sortierte, umgepackte Ware in amtlich gestempelten Fässern. Als Bückling (s. d.) kommt der Hering leicht gesalzen und geräuchert in den Handel. Außerdem hat man nordische Gewürzheringe, d. h. Matjesheringe, mit Essig und starken Gewürzen haltbar gemacht, Der junge Hering spielt als Whitebait eine große Rolle in England.
Man hat ihn für eine eigne Art gehalten und Rogenia alba Val. genannt; er wird an einigen Stellen der englischen Küste, besonders in der Themsemündung, gefangen und ist am meisten geschätzt, wenn er 4-10 cm lang ist. Die englischen Minister gehen jährlich vor der Vertagung des Parlaments nach Greenwich, um dort ein Whitebait-dinner zu geben, und auch manche Londoner Körperschaften befolgen diese Sitte. Die Gesamtzahl der jährlich gefangenen Heringe kann man auf 10,000 Mill. schätzen.
Vgl. Mitchell, The herring, its natural history and national importance (Lond. 1864);
Heincke, Die Varietäten des Herings (Berl. 1878);
Ljungman, Die Heringsfischerei (Stett. 1880).