Herat
,
die westlichste Provinz von Afghanistan, [* 2] am nordöstlichen Abfall des Tafellandes von Iran, grenzt an das Land der Hazara im O., Seïstan im S., Persien [* 3] im W., während die Grenzen [* 4] gegen Rußland im N. noch einer Regelung harren, und umfaßt etwa 160,000 qkm (2100 QM.) mit 800,000 Einw. Am Westende des Hindukuschgebirges gelegen, zwischen dessen Ausläufern Sefidkoh und Ghor (Paropamisus) im N. und dem Sijakoh im S. der Hauptstrom des Landes, der Heri Rud, nördlich nach der Turkmenensteppe abfließt, während vom Nordabhang des Sefidkoh der Murghab seine Wasser empfängt und am Ghoratzweig des Sijakoh der Harud entspringt und nach S. abfließt, ist das Land nach N., W. und S. geöffnet.
Frühjahr und
Herbst sind mild und erfrischend. Die
Hitze des
Sommers wird durch
Westwinde, die in dieser Zeit vorherrschen,
gemäßigt; der
Winter zeigt zwar als größte Temperaturerniedrigung -19° C., aber solche
Kälte hält nur wenige
Stunden
an, der
Schnee
[* 5] bleibt höchstens 14
Tage lang liegen. Die Hauptflüsse des
Landes sind zur
Bewässerung fleißig
benutzt. Die
Fruchtbarkeit der
Provinz ist sprichwörtlich;
Getreide
[* 6] aller Art wird selbst jetzt noch ausgeführt, obgleich
unter den Kriegsleiden, welchen das Land seit einem
Jahrhundert ausgesetzt ist, neun Zehntel der
Dörfer verschwunden sind.
Herat
besitzt große
Bergwerke auf
Eisen
[* 7] und
Blei,
[* 8] auch ist es berühmt wegen seiner
Pferde,
[* 9] welche nebst
Seide,
[* 10]
¶
mehr
Asa foetida, Safran, Pistazien, Harz und Manna zur Ausfuhr kommen. Die Bewohner sind im Grundstock Perser, wurden aber im Lauf der Jahrhunderte mit türkischem Blut so stark vermischt, daß sie weniger schön sind als die Perser und Afghanen. Nomaden sind nur im SO. zahlreich.
Vgl. Malleson, Herat
, the granary and garden of Central Asia (Lond. 1880).
Die Stadt Herat
, Hauptstadt der Provinz, heißt ihrer fruchtbaren Umgebung wegen bei den Persern »Perle der Welt« und liegt im
schönen Thal
[* 12] des Heri Rud, mit dem sie durch Wasserleitungen verbunden ist, und bildet ein längliches Viereck,
[* 13] das früher
von einer in 15 m hohen Lehmmauer mit sechs Thortürmen aus Ziegeln und mit einem Wassergraben umgeben
war, in neuester Zeit aber mit Hilfe englischer Offiziere zu einem stark befestigten Waffenplatz umgeschaffen wurde. Die Hauptstraße
geht vom Nordost- zum Südthor, hier konzentriert sich Handel und Verkehr, hier liegen die Bazare und Karawanseraien; im übrigen
bildet ein Labyrinth von engen und schmutzigen Gassen mit schmalen Häusern und von allerlei Unrat angefüllt.
Im NW. liegt die aus Ziegeln aufgeführte Citadelle Chakhar Bagh.
Die große Moschee ist in Verfall. Mit Wasser wird die Stadt durch eine Leitung aus dem Heri Rud versorgt. In der Umgegend erinnern
zahlreiche Ruinen an den ehemaligen Glanz der Stadt. Die Zahl der Einwohner (Perser, Afghanen, Tadschik,
Belutschen, Tataren, Hindu, Juden) wurde 1878 vom Obersten Swodekow auf 50,000 geschätzt, deren bedeutendste Industrieerzeugnisse
Schwerter,
[* 14] Teppiche, dann Röcke und Mützen aus Lammfell sind. Strategisch bildet Herat
den Schlüssel zu Afghanistan und Indien von
W. her; über Herat
nahmen alle persischen Eroberer den Weg nach Indien, der ganze Karawanenhandel folgt
noch jetzt einzig dieser Straße. Daher die wiederholten Anstrengungen der Perser, Herat
in ihre Gewalt zu bringen, und die Bemühungen
der Russen wie Engländer, ja von seiten der letztern sogar 1856 ein Krieg gegen das von Rußland abhängige
Persien, um Afghanistan den Besitz von Herat
zu erhalten.
Herat
, in den altpersischen Schriften Haräva, bei den alten Geographen Aria genannt, wurde bei der Eroberung Persiens durch die
Kalifen im 7. Jahrh. mit ganz Chorasan dem Kalifat unterworfen. 1036 von den Seldschukken erobert, nahmen in der Mitte des 12. Jahrh.
die Sultane von Ghor ihren Hauptsitz in und die Stadt erreichte unter ihnen eine hohe Blüte.
[* 15] Ende des 12. Jahrh. fiel Herat
in
die Hände der Schahs von Chorazm und 1220 in die Dschengis-Chans, welcher die Stadt zerstören ließ.
Wieder aufgebaut, wurde sie 1291 nochmals von den Mongolen zerstört. 1381 mußte sie sich mit Chorasan
Timur unterwerfen; dessen Nachfolger ließen aber die frühern Fürsten gegen Zahlung eines Tributs fortbestehen. 1507 wurde
die Stadt von den Uzbeken erobert, kam 1510 durch Ismael Sophi an Persien und blieb bei diesem, bis sie 1715 von den Afghanen
erobert, an Persien 1735 wieder verloren, aber 18 Jahre später zurückerhalten wurde. Zu einer selbständigen
staatlichen Existenz gelangte Herat
1823 mit Kamran, der den Titel Sultan annahm, den Persern gegen die Russen zu Hilfe eilte, aber
am Kampf im Kaukasus und an der Niederlage der Perser wegen Friedensschlusses nicht mehr teilnahm.
Während des englisch-afghanischen Kriegs (1838-42) nahmen die Perser das alte Projekt wieder auf, an sich
zu bringen; der Versuch scheiterte aber an der Kriegstüchtigkeit der Herati
und an dem diplomatischen
Schutz, den sie bei
den Engländern fanden. Eine zahlreiche englische Gesandtschaft unter Major Todt, deren Mitglieder bis nach Chiwa vordrangen,
befestigte den englischen Einfluß. Zu neuer Einmischung Persiens kam es 1852, als Jar Mohammed Chan starb,
der sich 1842 durch Ermordung des Fürsten vom Minister zum Herrscher emporgeschwungen hatte.
Seinem Sohn machte der energische Dost Mohammed, Emir von Afghanistan, den Thron
[* 16] streitig und zog mit starker Heeresmacht gegen
Herat;
die Stadt war dem Fall nahe, als die Vorstellungen des englischen Gesandten die Aufhebung der Belagerung
bewirkten. Persien verpflichtete sich dabei England gegenüber, gegen die Länder von Afghanistan keinen Angriff zu machen, ohne
zuvor Englands Vermittelung angerufen zu haben. 1856 erneuerte Persien den Krieg gegen eine Expedition der Engländer in den
Persischen Meerbusen hatte jedoch die Zurückziehung der Truppen zur Folge, und der Vertrag wurde im Frieden von Paris
[* 17]
bestätigt.
Die Perser hatten vor ihrem Abzug Ahmed Chan, genannt Dschan, den Schwiegersohn Dost Mohammeds, als Sultan eingesetzt; dieser bezog
von Persien Waffen
[* 18] und Kanonen, ließ Münzen
[* 19] im Namen des Schahs schlagen, und Persien hätte ohne den Übermut
des Fürsten von Herat
vielleicht seinen Zweck erreicht. Zu Anfang 1861 begannen Zwistigkeiten zwischen und Afghanistan, weil ersteres
die Fürsten von Ghor, das es sich 1845 unterworfen hatte, zu Räubereien in Farrah anreizte; im Juni 1862 zog der Sultan von
Herat
seinen Parteigängern, als sich der afghanische Gouverneur zu ihrer Züchtigung anschickte, mit 8000 Mann und 3 Kanonen zu
Hilfe und schlug jenen bei Kilatgak, 10 km von Farrah, aufs Haupt. Nun sammelte Dost Mohammed, der Emir von Afghanistan, bei Girischk
am Hilmend seine Truppen, führte sie in unaufhaltsamem Zug
vor Herat
, nahm es ein und gab es der Plünderung preis.
Seitdem verblieb Herat
bei Afghanistan. Weiteres s. Afghanistan, Geschichte.