Heilig
,
Heilige, Heiligung.
Heilig ist in der biblischen und kirchlichen
Sprache
[* 2] die
Übersetzung des hebr. Wortes kad/osch,
das alles vom gemeinen Gebrauch des Lebens Ausgesonderte und dem Dienste
[* 3]
Gottes
Geweihte, Dinge wie
Personen,
bezeichnet. Das spätere
Judentum bezeichnete mit dem
Ausdruck
Heilige (grch. hagioi) die
Propheten und Gerechten des Alten
Testaments;
dagegen hießen so nach neutestamentlichem Sprachgebrauch die an Jesum Gläubigen
(1 Kor. 1,2),. weil sie durch
Christus dem
Reiche der Welt entnommen und in das
Reich Gottes versetzt, Gott zugeeignet und infolgedessen auch vom
Heiligen
Geiste (s. d.),
als dem Princip des neuen religiös-sittlichen Lebens, ergriffen worden sind.
Die Heiligung
nach ihrer subjektiven Seite ist im
Neuen
Testament zunächst
Sündenvergebung
(Reinigung von der Schuld) und erst
abgeleiteterweise wirklich sittliche Erneuerung. Allmählich fing man dann auch in der christl.
Kirche an, das ursprünglich allen
Christen eigene
Prädikat «heilig»
vorzugsweise solchen Männern beizulegen, die durch
besondere Geistesausrüstung und Glaubenskraft vor andern sich auszeichneten: z. B. heilige
Apostel und Evangelisten.
In der kath. Kirche heißen Heilige solche Verstorbene, von denen man mit Sicherheit annehmen zu dürfen glaubt und von denen die kirchlichen Obern erklärt haben, daß sie der ewigen Seligkeit teilhaftig sind. Ihnen gebührt eine gewisse Verehrung; sie können durch ihre Fürsprache bei Gott (intercessio) für die noch Lebenden Wohlthaten erwirken und sie dürfen um ihre Fürbitte angerufen werden (invocatio). Zuerst wurden nur Märtyrer (s. d.) als Heilige verehrt, später auch Nichtmärtyrer, die sich durch besonderes Gott wohlgefälliges Leben ausgezeichnet hatten: die sog. Bekenner (s. Confessor), und auch Frauen.
Der erste Nichtmärtyrer als Heiliger war der Bischof Martin von Tours [* 4] (s. o.). Maria, die Mutter Jesu, wird als «allerseligste Jungfrau» (beatissima virgo) und als «Königin aller Heiligen» bezeichnet. Von der Gott allein gebührenden Anbetung (adoratio), dem cultus latriae, wird die Verehrung (veneratio) der Heiligen als cultus duliae (bei Maria hyperduliae) unterschieden. In der Praxis wird dieser Unterschied nicht immer streng festgehalten, daher man auch von Hagiolatrie (Heiligenverehrung) spricht.
Die Verehrung der
Heiligen als nach nahmungswerter Vorbilder wird dadurch bekundet, daß
ihre Gedächtnistage
(gewöhnlich der Sterbetag) gefeiert werden, daß
Messen und Predigten zu ihrer Ehre gehalten, ihnen
Kirchen und
Altäre geweiht,
ihre
Bilder aufgestellt und diese sowie ihre
Reliquien (s. d.) verehrt werden (s.
Bilderdienst und
Bilderverehrung). Im 7. Jahrh.
wurde neben den besondern Heilig
enfesten ein Fest
Allerheiligen (s. d.) eingeführt, über die Heilig
enlegenden
s.
Acta Sanctorum. - Die Verehrung bestimmter
Personen als
Heiliger wurde früher von den
Bischöfen angeordnet oder gestattet.
Alexander III. behielt 1170 das
Recht der Heiligsprechung (Kanonisation, s. d.) dem Papste vor. Der erste
von einem Papste,
Johann XV., kanonisierte
Heilige ist der
Bischof
Ulrich von
Augsburg
[* 5] (993). Das amtliche
Verzeichnis der anerkannten
Heiligen ist das Martyrologium
Romanum (s.
Acta Sanctorum). - Im Laufe der Zeit wurde es
Sitte, daß
jede Gemeinde, jede Stadt, jedes Land, ja jeder
Stand und
Beruf einen bestimmten
Heiligen als
Patron oder Schutzheiligen verehrte.
So riefen die
Franzosen den heil. Dionysius von
Paris,
[* 6] die
Spanier den heil. Jakobus von Compostella, die
Ungarn
[* 7] den heil.
Stephan, die Engländer den heil.
Georg, die
Österreicher den heil.
Leopold als Schutzheiligen an. Den Juristen
galt der heil. Ivo, den Musikern die heil.
Cäcilia, den Malern der heil. Lukas, den Schuhmachern der heil.
Crispin als Schutzpatron. Auch gegen besondere
Krankheiten wurden bestimmte Schutzheilige angerufen, so
Rochus und Sebastian gegen die
Pest, die heil.
Apollonia gegen Zahnschmerzen u.s.w. -
Vgl. Broc de Segange, «Les saints patrons des corporations et protecteurs spécialement invoqués dans les maledies et dans les circonstances critiques de la vie (2 Bde., 1888).
Opposition gegen die Heiligen- (und Reliquien-) Verehrung tritt vereinzelt schon bei Vigilantius (s. d.) hervor. Eine Synode zu Frankfurt [* 8] a. M. (794) verbot die Anrufung neuer Heiligen, und Karl d. Gr. verschärfte dieses Verbot (805). Aber sowohl diese Bemühungen als die des 12. und 13. Jahrh., die Hagiolatrie einzuschränken, blieben erfolglos. Im 14. und 15. Jahrh. wurde sie von den Humanisten mit den Waffen [* 9] der Wissenschaft und oft beißender Satire bekämpft.
Die Reformation aber verwarf die Anrufung und Verehrung der Heiligen als Schmälerung des Verdienstes Christi, des alleinigen Mittlers, und als pelagianischen, die Möglichkeit sündloser Vollkommenheit für die Menschen voraussetzenden Irrtum. Höchstens zur Stärkung des Glaubens sei es nützlich, das Andenken der Heiligen zu bewahren. Seitdem gerieten in der prot. Kirche die Heiligentage in Vergessenheit und Heiligenbilder und Reliquien verschwanden aus den Gotteshäusern.
Während die Katholiken außer der Schar von Heiligen noch eine heilige Jungfrau, einen heiligen Vater, eine heilige Kirche, einen allerheiligsten Glauben u. s. w. haben, wußten die Protestanten nur von einer Heiligen, d. h. vom Heiligen Geiste eingegebenen Schrift, und bezogen den Ausdruck «heilige allgemeine Kirche» im apostolischen Glaubensbekenntnis auf die unsichtbare Kirche oder die Gemeinschaft der Gläubigen, welche sich erst am Jüngsten Tage vollenden werde. -
Vgl. Sailer, Ecclesiae catholicae de cultu Sanctorum doctrina (Münch. 1797);
Benedikt XIV., De servorum Deo beatificatione et beatorum coninisatione (4 Bde., Bologna 1734; Rom [* 10] 1735);
Hase, [* 11] Handbuch der prot.
Polemik ¶
mehr
(5. Aufl., Lpz. 1891); Tschackert, Evang. Polemik (2. Aufl., Gotha [* 13] 1888).