Heidelberg,
[* 1] alte berühmte Universitätsstadt im gleichnamigen bad. Kreis und Amtsbezirk, 116 m ü. M., in reizender Gegend des Neckarthals, da, wo der Fluß aus dem Gebirge in die Ebene tritt, am Fuß des 568 m hohen Königsstuhls, Knotenpunkt der Linien Mannheim-Konstanz, Heidelberg-Neckargemünd-Würzburg und Heidelberg-Speier der Badischen Staatsbahn und der Linie Frankfurt a. M.-Heidelberg der Main-Neckarbahn, erstreckt sich am linken Neckarufer zwischen Fluß und Gebirge vom Karlsthor, neben welchem der Heidelberg-Würzburger Bahnhof liegt, bis zum Bahnhof der andern Linien im W. der Stadt in einer einzigen von einer Pferdebahn durchzogenen Hauptstraße, 3 km lang, von O. nach W. Zwischen beiden Bahnhöfen besteht eine Verbindung mittels eines Tunnels auf der Südseite der Stadt.
Über den Neckar führen zwei Brücken; die obere ist 210 m lang, 9 m breit und geschmückt mit den Statuen der Minerva und des Kurfürsten Karl Theodor, die untere, am westlichen Ende der Stadt, 1877 vollendet, ist 243 m lang und 10 m breit. Unter den zahlreichen Plätzen ist der Wredeplatz mit einem 1860 errichteten Denkmal des bayrischen Feldmarschalls Wrede (von Halbig) geschmückt. Unter den Kirchen verdienen Erwähnung: die Heilige-Geistkirche, um 1400 erbaut, eins der imposantesten Denkmäler des spätgotischen Stils, mit dem Grabdenkmal ihres Stifters, Kaiser Ruprechts, und dessen Gemahlin, ferner die 1868-70 restaurierte gotische Peterskirche, mit merkwürdigen Grabmälern aus dem 16. und 17. Jahrh., darunter das der gelehrten Olympia Fulvia Morata, die 1885 restaurierte Providenzkirche und die 1870 geschmackvoll restaurierte Jesuitenkirche (kath. Pfarrkirche). Unter den Profanbauten sind bemerkenswert: das Reichspostgebäude, das 1886 restaurierte Universitätsgebäude, das aus dem Jahr 1592 herrührende Gasthaus Zum Ritter u. a.
Die größte Sehenswürdigkeit Heidelbergs ist das alte, berühmte Schloß, das auf dem Jettenbühel, einem Vorhügel des Geisbergs, unmittelbar über der Stadt und 101 m über dem Spiegel des Neckar sich erhebt, eine »deutsche Albambra« (vgl. nebenstehenden Plan). Zu Ende des 13. Jahrh. begonnen, wurde der Bau besonders unter dem Kurfürsten Ruprecht, dem deutschen König, weiter fortgeführt und später noch durch den eleganten und prachtvollen Otto-Heinrichsbau (seit 1556-59, s. Taf. »Baukunst XII«, [* ] Fig. 5), ein Musterwerk phantasiereicher und edler Frührenaissance mit reichem plastischen Schmuck (von A. Colins aus Mecheln), und den im reichsten Spätrenaissancestil 1601-1607 ausgeführten Friedrichsbau mit 16 Porträtstatuen erweitert.
Diese Hauptgebäude des Schlosses bilden ein Viereck mit runden Ecktürmen: nach SW. stehen der Ruprechtsbau (1400-1410 erbaut), der sog. Alte Bau und das »Bandhaus«, der älteste Teil des Schlosses, nach der Nordwestseite der Friedrichsbau (mit den Standbildern pfälzischer Fürsten geschmückt), auf der Nordost- u. Südostseite der Otto-Heinrichsbau nebst dem sog. Neuen Hof, aus Gotik und Renaissance gemischt, und der Ludwigsbau; auf der Westseite fügt sich noch als jüngster Bau der Elisabethenbau (1618) an. Nachdem die Drangsale des Dreißigjährigen Wappen von Heidelbergs Kriegs überwunden waren, wurde das Schloß erst durch die Franzosen 1689 und 1693 zum großen Teil zerstört (namentlich ein mächtiger, an 30 m im Durchmesser haltender Turm gesprengt), dann 1764 durch einen Blitzstrahl noch weiter verwüstet.
Seitdem ist es Ruine, die großartigste und schönste Deutschlands, die von Epheu in üppigster Fülle umsponnen ist, im übrigen vor weiterm Verfall sorgfältig geschützt wird. Vorzüglich sehenswert sind: das halb in Grün versteckte Elisabethenthor, die vier schönen Granitsäulen am Schloßbrunnen, die aus Karls d. Gr. Palast zu Ingelheim hierher gebracht sind, der Schloßgarten mit einer großen Terrasse, von der man eine entzückende Aussicht in die Rheinebene, bis Speier und zu dem Hardtgebirge hat, der gesprengte Turm, der schöne achteckige Turm, der vormalige Schloßgarten, die noch erhaltene Schloßkirche im Friedrichsbau, wo sich auch die für die Geschichte des Schlosses und der Stadt interessante städtische Sammlung befindet. Endlich zeigt man in einem besondern Kellergewölbe das bekannte große, 1751 gebaute Faß, das beinahe 7 m im Durchmesser and über 10 m in der Länge hat und 236,000 Flaschen faßt. Die Bevölkerung beträgt (1885) mit der Garnison (1 Bat. Grenadiere Nr. 110) 24,417 Seelen, 1880: 14,144 Evangelische, 9312 Katholiken und 799 Juden.
Die Erwerbsquellen der Bewohner bilden vorzugsweise die Universität, der bedeutende Fremdenbesuch und der ziemlich lebhafte Handel, der seine Hauptstützen in den sich hier kreuzenden wichtigen Straßen und in den Eisenbahnverbindungen findet. In industrieller Hinsicht sind Fabriken für Tabak, Leder, Feuerspritzen, chirurgische Instrumente, Eisenbahnwagen, Zement sowie bedeutende Bierbrauereien namhaft zu machen; außerdem wird lebhafter Buch-, Wein-, Tabaks- und Hopfenhandel betrieben. An größern Bankgeschäften besitzt eine Reichsbanknebenstelle.
Von den Bildungsanstalten erfreut sich die Universität eines besondern Rufs. Ihre Dotation beläuft sich auf 6-700,000 Mk., Rektor ist der Großherzog. Die Zahl der Studierenden belief sich im Sommersemester 1886 auf 1036, die Zahl der Dozenten auf etwa 100. Die Bibliothek wurde nach dem Verlust der alten Bibliotheca Palatina (s. unten) 1703 durch Ankauf der Gräviusschen Sammlungen gegründet. Sie zählt ½ Mill. Bände, 2000 Handschriften, 2000 Pergamenturkunden etc. Mit der Universität sind außerdem verbunden: ein akademisches Hospital, ein Kinderkrankenhaus (Luisen-Heilanstalt), eine Entbindungsanstalt, ein physiologisches Institut, ein chemisches Laboratorium, ein zoologisches und ein mineralogisches Museum, ein
[* 1] ^[Abb.: Grundriß des Schlosses zu Heidelberg.]
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botanischer Garten etc. An sonstigen Bildungs- und andern Anstalten besitzt ein Gymnasium, eine Realschule, eine Gewerbeschule, ein Theater, einen Kunstverein, einen Verein für Natur- und Heilkunde und ein von Prof. Schweninger gegründetes Sanatorium. Heidelberg ist Sitz eines Kreisamtes, eines Amtes, eines Amtsgerichts und eines Hauptsteueramtes. Die Umgebung Heidelbergs gehört zu den reizendsten Gegenden Deutschlands. Die ganze Landschaft mit ihren schön bewaldeten Bergen, malerischen Felsen und dem Neckar hat einen großartigen Charakter. Zu den beliebtesten Aussichtspunkten nächst denen des Schloßgartens gehören die sogen. Molkenkur, über dem Schloß gelegen, wo einst die Burg Konrads von Hohenstaufen stand, und weiter hinauf der 568 m hohe Königstuhl (s. d.). Das Klima Heidelbergs, wo die Luft durch Fluß und Thal erfrischt, durch die unmittelbar jenseit des Neckar ansteigenden Berge gegen Nordwind geschützt wird, gehört im Durchschnitt wie in den Extremen zu dem mildesten Südwestdeutschlands.
Geschichte. Wahrscheinlich hatten schon die Römer an der Stelle des heutigen ein Kastell, und die herrliche Gegend mag frühzeitig zur Ansiedelung gelockt haben. Heidelberg kam als Lehen des Bistums Worms schon zu Ende des 12. Jahrh. an die rheinischen Pfalzgrafen. Konrad I., der Bruder Kaiser Friedrichs I., erbaute sich ein Schloß auf dem Geisberg, das 1537 durch den Blitz zerstört ward. Sechs Jahrhunderte lang blieb fortan Heidelberg Haupt- und Residenzstadt der Pfalz. Im J. 1384 fand hier die Heidelberger Einung statt, durch welche der Nürnberger Landfriede von 1383 auch von den Städtebünden und diese dagegen von König Wenzel anerkannt wurden.
Luther hielt zu Heidelberg 1518 eine Disputation. Nach Einführung der Reformation daselbst (1556) und dem Erscheinen des Heidelberger Katechismus (1563) war ein Mittelpunkt des calvinischen Glaubensbekenntnisses. Im Dreißigjährigen Krieg ward Heidelberg 1622 von Tilly nach langer Belagerung erobert und geplündert, 1633 von den Schweden genommen, 1634 von den Bayern belagert und 1635 von den Kaiserlichen unter Gallas besetzt. Im Westfälischen Frieden kam es wieder an Karl Ludwig, Friedrichs V. Sohn, welcher Schloß und Schloßgarten wieder prächtig einrichtete und auch die im Krieg aufgehobene Universität wiederherstellte. 1689 wurde es nach längerer Belagerung von den Franzosen unter dem Dauphin genommen und verwüstet, das Schloß zum Teil in die Luft gesprengt. Noch ärgere Verwüstungen erlitten Stadt und Schloß 1693 infolge der abermaligen Eroberung durch die Franzosen. Nachdem schon 1720 die Residenz von Heidelberg nach Mannheim verlegt worden war, kam Heidelberg 1803 an Baden. Hier fand die Heidelberger Versammlung statt, in welcher die Berufung eines deutschen Parlaments angebahnt wurde.
Die Universität zu Heidelberg wurde 1386 vom Kurfürsten Ruprecht I. eröffnet, nachdem Papst Urban VI. durch die Bulle vom dazu seine Zustimmung gegeben hatte. Ihr erster Rektor war Marsilius von Inghen. Sie war nach dem Vorbild der Pariser Akademie errichtet, besaß schon damals vier Fakultäten und genoß bedeutende Rechte, Freiheiten und Einkünfte. Unter Friedrich dem Siegreichen ward 1452 ein Lehrstuhl für weltliches Recht errichtet und entstand die erste Buchdruckerei in Heidelberg. Große Verdienste erwarb sich um die Anstalt Philipp der Aufrichtige, indem er ausgezeichnete Gelehrte, wie Reuchlin, Joh. Wessel, Wimpfeling u. a., berief und 1489 ein neues Juristenkollegium errichtete.
Neuen Glanz erlangte später die Anstalt unter Ludwig V. durch die 1524 erfolgte Berufung Seb. Münsters und Simon Grynäus' als Lehrer der hebräischen Sprache. Otto Heinrich gab ihr eine Organisation, er errichtete namentlich drei Lehrstühle für Arzneikunde und gründete die Bibliothek. Unter Kurfürst Friedrich III. lehrten hier Friedrich Sylburg, Xylander, Melissus und die beiden Theologen Ursinus und Olevianus, welche den Heidelberger Katechismus (s. d.) entwarfen.
Nachdem die Universität unter Friedrich V. während des Dreißigjährigen Kriegs schon harte Schläge zu erleiden gehabt, verlor sie durch den Lüneviller Frieden noch ihre wichtigsten (nämlich die überrheinischen) Besitzungen, so daß sie 1802 ihrer Auflösung nahe war. Nachdem Heidelberg 1803 an Baden gekommen, hob sie sich indes bald zu neuem Glanz unter dem Kurfürsten Karl Friedrich, der sie mit großer Freigebigkeit ausstattete und ihr die jetzige Einrichtung und den Namen Ruperto-Carola gab.
Dieselbe hat im August 1886 ihr 500jähriges Bestehen festlich begangen. Die alte berühmte Bibliothek, die im Chor der Heilige-Geistkirche aufbewahrt wurde und über 3500 Handschriften enthielt, wurde von Tilly nach Eroberung der Stadt 1623 nach Rom gesandt und daselbst im Vatikan als Bibliotheca Palatina aufgestellt. Von den Handschriften kamen 1815 infolge des Pariser Friedens 38 der besten, welche die Franzosen nach Paris geschleppt hatten, nach Heidelberg zurück; außerdem gab der Papst sämtliche altdeutsche Manuskripte (852 an der Zahl) heraus.
Vgl. Oncken, Stadt, Schloß und Hochschule Heidelberg; Bilder aus ihrer Vergangenheit (3. Aufl., Heidelb. 1885);
Pfaff, Heidelberg (Zürich 1885);
Durm, Das Heidelberger Schloß, eine Studie (Berl. 1884);
Rosenberg, Quellen zur Geschichte des Heidelberger Schlosses (Heidelb. 1882);
Hautz, Geschichte der Universität Heidelberg (das. 1863-64, 2 Bde.);
Thorbecke, Geschichte der Universität Heidelberg (Stuttg. 1886);
»Urkundenbuch der Universität Heidelberg« (hrsg. von Winkelmann, Heidelb. 1886, 2 Bde.);
Wilken, Geschichte der Bildung, Beraubung und Vernichtung der alten Heidelberger Büchersammlungen (das. 1817);
Bahr, Entführung der Heidelberger Bibliothek (Leipz. 1845);
G. Weber, Heidelberger Erinnerungen (Stuttg. 1885).