Hefe.
[* 2] Die großen Fortschritte, welche die Gärungsgewerbe in neuester Zeit gemacht haben, verdanken sie hauptsächlich der Chemie, und die Forschungen, welche im Interesse dieser Gewerbe unternommen wurden, waren denn auch wesentlich chemische. Erst in den letzten Jahren hat der Umstand, daß die alkoholische Gärung an die Lebensthätigkeit von Hefepilzen gebunden ist, zu einer größern Beachtung der bakteriologischen Forschungsergebnisse geführt, und man ist zu einer Reform im Brauwesen gelangt, welche für die Untergärung in den meisten Ländern bereits eingeführt wurde, in den Obergärungsbrauereien sowie in den andern Zweigen der Gärungsindustrie sich vorbereitet.
Daß
Gärungs- und Fäulnisprozesse von mikroskopischen Organismen bewirkt werden, war schon zu
Linnés
Zeiten und von
Linné
selbst behauptet worden, aber erst 1836 wies
Cagniard-Latour nach, daß
Bier- und Weinhefe
aus
Zellen besteht, welche sich durch
Sprossung vermehren, und daß diese
Zellen die Alkoholgärung hervorrufen.
Kurz danach kam
Schwann zu demselben
Resultat, und schon 1838 trat die
Anschauung hervor, daß verschiedene
Gärungen durch verschiedene Mikroorganismen eingeleitet
werden.
Die Lehre [* 3] von der Bedeutung der Mikroorganismen für die Gärungsprozesse kam aber erst durch Pasteur im Kampfe gegen Liebig, welcher diese Prozesse auf rein chemischem Wege zu erklären suchte, zur allgemeinen Geltung. In seinen »Études sur la bière« zeigte er klar und unwidersprechlich, welche Macht die mikroskopischen Lebewesen besitzen, auch betonte er, daß die Bakterien einen durchgreifenden Einfluß aus den Verlauf der Alkoholgärung und auf den Charakter des Biers ausüben können.
Dennoch konnte dies
Buch die in seiner Vorrede verkündigte
Reform im Brauereibetrieb nicht herbeiführen,
weil es damals (1876) noch nicht möglich war, über die Verhältnisse der verschiedenen Alkoholgärungspilze
Klarheit zu schaffen. Zwar gab
Pasteur in seinem Werke eine Übersicht der Mikroorganismen, welche
Krankheiten im
Bier verursachen,
doch sprach er hier nur von
Bakterien und empfahl eine
Reinigung der Hefe
durch Kultivierung derselben in
einer Zuckerlösung mit
Weinsäure oder in
Würze mit ein wenig
Karbolsäure, um die
Bakterien zu beseitigen.
Einen wesentlichen Fortschritt ermöglichte die Kochsche
Methode der Reinkultur der Mikroorganismen, welche durch
Hansen seit 1883 etwas
modifiziert auf
Hefepilze angewandt wurde. Zwar hatte schon
Reeß 1870
»Botanische Untersuchungen über
die Alkoholgärungspilze« veröffentlicht, doch waren damals die
Methoden viel zu wenig ausgebildet, um brauchbare
Resultate
zu liefern, und erst
Hansen gelang durch seine
Methode, welche die Anwendung von einer einzigen
Zelle
[* 4] abstammender
Kulturen gestattete,
der Nachweis, daß einige der gefährlichsten und gewöhnlichsten
Krankheiten im untergärigen
Bier nicht
von
Bakterien, sondern von bestimmten Hefe
arten herrühren, und daß mit dem
Namen
Saccharomyces cerevisiae nicht eine, sondern
mehrere
Arten und
Rassen bezeichnet werden, welche in den
Brauereien
Produkte verschiedener Art geben. Auf dieser Grundlage arbeitete
Hansen sein
System aus, nach welchem eine Anstellhefe
, aus einer einzigen Art bestehend, benutzt wird.
Nach einigem
Widerstand wurde dies
System in allen bierbrauenden
Ländern anerkannt und in die
Praxis eingeführt.
Als Feinde der alkoholischen Gärung wurden, wie bereits hervorgehoben, zunächst Bakterien bezeichnet, welche die Entwickelung des wirksamen Gärungserregers stören oder Substanzen erzeugen, die den Geschmack oder sonstigen Wert des Produkts beeinträchtigen. Dabei kommen hauptsächlich diejenigen Bakterien in Betracht, welche die Essigsäure-, die Buttersäure- u. Milchsäuregärung hervorrufen. Hier verdienen die Untersuchungen von Delbrück, Hayduck und Stenglein Erwähnung, welche gezeigt haben, daß Hopfen [* 5] ein sehr starkes Bakteriengift ist. Er unterdrückt zunächst die Buttersäuregärung und die Fäulniserscheinungen, dann die Milchsäuregärung, während die Essiggärung durch Hopfenextrakt nicht allein nicht eingeschränkt wird, sondern vielmehr noch stärker zu verlaufen scheint als ohne Hopfenzusatz.
Als Feinde der alkoholischen Gärung kommen ferner die Schimmelpilze (Botrytis cinerea, Penicillium glaucum, Eurotium, Aspergillus glaucus, Mucor mucedo) in Betracht, weniger vielleicht, weil sie sehr energisch in den Gärungsprozeß eingreifen, als vielmehr, weil sie bei unreinlicher Behandlung der Geräte auftreten, und weil in ihrer Begleitung stets Bakterien auftreten, die durch die Konidienträger der Schimmelpilze verbreitet werden. Botrytis cinerea soll dem Wein einen unangenehmen, rauchartigen Geschmack verleihen, während nach Müller-Thurgau dieser Pilz [* 6] das wirksame Element bei der Edelfäule der Trauben ist, durch welche die Qualität des Weins bei richtiger Behandlung erheblich verbessert werden kann.
Aspergillus
Oryzae bildet bei der Bereitung des japanischen Reisweins
(Saké) das diastatische
Ferment, als welches er das Reisstärkemehl
in
Zucker
[* 7] verwandelt; die eigentliche
Gärung bewirkt ein spontan auftretender, noch nicht näher bekannter
Hefepilz. Die
Mucor-Arten
dagegen können unter gewissen Umständen selbst alkoholische
Gärung hervorrufen; in zuckerhaltige
Flüssigkeit
untergetaucht, bilden sie hefe
artige
Sprossungen, die wieder zu Schimmelrasen auswachsen, wenn sie durch die
Kohlensäure an
die Oberfläche gehoben werden. Ein vorläufig zu Monilia candida gestellter
Pilz soll nach
Hansen
Rohrzucker direkt in
Gärung
versetzen, während diese Zuckerart durch
Hefepilze zunächst in Invertzucker verwandelt wird.
Für die Unterscheidung der Hefe
arten ist die Sporenbildung von größter Wichtigkeit.
Hansen hat nachgewiesen,
daß nur junge, kräftige
Zellen
Sporen bilden und zwar bei reichlichem Zutritt von
Luft. Außer der Gestalt der
Sporen kommt
dann für die einzelnen
Arten die Zeit in Betracht, welche bei einer gewissen niedrigen
Temperatur für die
Bildung
der
Sporen erforderlich ist, und hierauf gründete
Hansen eine praktische
Analyse der Brauereihefe.
Die reinkultivierte Carlsberger
Unterhefe
Nr. 1
(Brauerei
Alt-Carlsberg in
Kopenhagen)
[* 8] bildet nämlich bei 25° ihre
Sporen viel später als alle bisher untersuchten
schädlichen
Arten der Saccharomyceten. Da nun nach
Holm und Poulsen 1/200 an »wilder Hefe«
auf
diese
Weise sicher zu erkennen ist, da anderseits nachgewiesen ist, daß wilde
Hefen keine
Krankheit des
Biers veranlassen, wenn
ihr
Anteil an der Anstellhefe
nicht mehr als 1/41 beträgt, so ist damit eine für die
¶
mehr
Praxis völlig ausreichende Methode zur Erkennung einer schädlichen Beimischung wilder Hefen gegeben. Die Untersuchung der eigentlichen Kulturhefen ist noch nicht zu einem genügenden Abschluß gelangt. Hansen unterscheidet vorläufig unter- und obergärige Rassen, da es bisher unmöglich war, eine wirkliche Umbildung von Oberhefe in Unterhefe und umgekehrt zu bewerkstelligen. Beide Gruppen lassen sich nach praktischen Gesichtspunkten wieder in schneller und langsamer klärende einteilen, mit welcher Eigentümlichkeit auch ein verschiedener Charakter des Biers, namentlich eine geringere oder größere Haltbarkeit gegen Hefetrübung, in Verbindung steht.
In chemischer Hinsicht zerfallen die Saccharomyceten (Sproßpilze mit Endosporenbildung) in zwei Gruppen:
1) solche, die Invertin entwickeln und Alkoholgärung hervorrufen, und zwar a) solche, die nicht nur Rohr- und Traubenzucker, sondern auch Maltose kräftig vergären, und b) solche, die Rohr- und Traubenzucker, aber nicht Maltose vergären;
2) solche, die nicht Invertin entwickeln und keine alkoholische Gärung hervorrufen. Von den Sproßpilzen ohne Endosporenbildung vergärt die überwiegende Mehr- zahl nicht die Maltose. Viele von diesen rufen in Trauben- und Invertzuckerlösungen mehr oder weniger kräftige Gärungen hervor. Einige (Torula-Formen) invertieren Rohrzucker, viele besitzen kein invertierendes Ferment. Nur eine Art vergärt Rohr-, Traubenzucker und Maltose, besitzt aber kein invertierendes Ferment.
Nach diesen Untersuchungen können die Saccharomyceten nicht mehr ohne weiteres als Alkoholgärungspilze charakterisiert werden, und es ergibt sich ebenso die Notwendigkeit, für die Gärungsgewerbe geeignete Arten auszuwählen. Amthor ließ acht Proben einer und derselben Bierwürze unter gleichen Verhältnissen mit acht durch Reinkulturen gewonnenen Saccharomyces-Arten vergären und erhielt greifbare Differenzen in der von den Hefen geleisteten chemischen Arbeit.
Der Alkoholgehalt der Biere variierte zwischen 4,34 und 6,02 Volumprozent, die Extraktmenge lag zwischen 8,27 und 11,23, der Vergärungsgrad zwischen 36,7 und 53,3, die Glycerinmenge zwischen 0,077 und 0,149. Auch zeigten die Mengen des Stickstoffs, der reduzierenden Substanz und zum Teil die Farbenintensität erhebliche Unterschiede. In ähnlicher Weise fand Marx bei einer Anzahl aus Weinmost rein gezüchteter Arten Unterschiede im Gärungsvermögen und in der Fähigkeit, flüchtige Stoffe hervorzubringen, die dem Weine ein besonderes Boukett verleihen. Es eröffnet sich hierdurch die Aussicht, daß es gelingen könnte, aus Most, in welchem alle fremdartigen Gärungserreger abgetötet sind, durch Zusatz ausgewählter Hefen Weine von bestimmten Eigenschaften zu erzeugen, auch unabhängig von dem Orte, wo die Trauben gewachsen sind.
Schon die Untersuchungen Pasteurs, nach welchen Bakterien neben der Hefe auftreten und Krankheiten des Biers veranlassen können, führten zur Konstruktion von geschlossenen Kühlschiffen für die gekochte Würze und zur Herstellung solcher Lüftungsvorrichtungen für dieselbe, die ein Eindringen von Keimen mit der Luft ausschlossen. Eine neue Epoche für die Gärungsgewerbe begann aber erst mit den Hansenschen Arbeiten, welche ermöglichten, die Gärungsprozesse mit einer einzigen Hefeart von bestimmten Eigenschaften durchzuführen.
Hierzu dient der von Hansen und Kühle konstruierte Hefevermehrungsapparat, welcher, mit einer absoluten Reinkultur einmal versehen, jahrelang kontinuierlich arbeiten kann. Derselbe besteht im wesentlichen aus drei Teilen, einer Luftpumpe [* 10] mit Luftreservoir zum Einführen keimfreier Luft zwecks Lüftung der Würze, dem Würzecylinder, in den die siedendheiße Würze eingeführt wird, um darin gekühlt und gelüftet zu werden, und dem Gärungscylinder, der mit einer Vorrichtung zum Einbringen einer Reinkultur und mit einem Ablaßhahn zur Entnahme der Flüssigkeit und der vermehrten reinen Hefe versehen ist.
Mit diesem einfachen Apparat ist es möglich, mit kurzen Zwischenräumen absolut reine Anstellhefe für ca. 8 hl Würze zu entwickeln. Von größter Bedeutung ist es, daß man selbst nach Verlauf von Jahren immer wieder genau dieselbe einmal ausgewählte Hefe zur Verfügung haben kann, wenn man im Laboratorium [* 11] die absolute Reinkultur in einer 10proz. Rohrzuckerlösung aufbewahrt. In solcher Lösung erhalten sich die Kulturhefen jahrelang lebendig und ohne Veränderung ihrer Eigenschaften.
Hansen fand auch eine Methode, die reinen Hefen ohne Schaden selbst nach den Tropen versenden zu können, und daraufhin hat sein Verfahren außer in Europa [* 12] auch in Nord- und Südamerika, [* 13] in Asien [* 14] und Australien [* 15] Anwendung gefunden. Die Berichte über die erhaltenen Biere lauten im allgemeinem sehr günstig, namentlich in Bezug auf Haltbarkeit, Glanz und reinen Geschmack derselben. Vielfach war allerdings der Geschmack des mit nur einer Heferasse erhaltenen Biers abweichend von dem bisher gebrauten, offenbar weil man bis dahin mit einer andern oder mit einem Gemisch mehrerer Heferassen gearbeitet hatte.
Offenbar sind nach dieser Richtung noch erhebliche Fortschritte zu erwarten. Auch für obergärige Biere scheinen die Versuche gute Erfolge zu versprechen. Die mit reiner Hefe hergestellten obergärigen Biere haben einen reinern süßern Geschmack und größere Haltbarkeit als die gewöhnlichen, und es ergeht daher die Mahnung an die Brauereien obergäriger Biere, daß sie, statt ihren Betrieb einzustellen oder für Untergärung einzurichten, denselben in zeitgemäßer Weise weiterentwickeln.
Vgl. Hansen, Untersuchungen aus der Praxis der Gärungsindustie ^[richtig: Gärungsindustrie] (2. Aufl., Münch. 1890);
Jörgensen, Die Mikroorganismen der Gärungsindustrie (2. Aufl., Berl. 1890).