Heereskran
kheiten
(Armeekrankheiten),
Krankheiten, welche erfahrungsgemäß in
Armeen ziemlich häufig vorkommen und
bei diesen besonders leicht eine größere Zahl von
Menschen gleichzeitig ergreifen, deren Auftreten und
epidemische
Verbreitung also durch die Eigentümlichkeiten des militär. Dienstes und Zusammenlebens
begünstigt wird. Dazu gehören in erster Reihe viele
Infektionskrankheiten, insbesondere
Cholera, Fleckfieber,
Unterleibstyphus,
Rückfallsfieber,
Pocken,
Ruhr,
Tuberkulose u. a., desgleichen ansteckende
Augenkrankheiten
[* 2] u. a., sodann die durch
Parasiten
hervorgerufenen
Krankheiten wie
Krätze und andere Hautleiden. In zweiter Reihe fallen unter den
Begriff
Heereskran
kheiten einige nicht übertragbare
Krankheiten, die vorzugsweise in
Armeen vorkommen, weil die bedingenden
Ursachen bei letztern
häufiger zusammentreffen und auf eine größere Zahl von
Menschen einwirken.
Die hauptsächlichsten Krankheiten dieser Klasse sind der Hitzschlag und die Minenkrankheit. Endlich kann man unter alle diejenigen Krankheiten verstehen, welche überhaupt in Armeen beobachtet werden. In diesem weitesten Sinne umfaßt der Ausdruck sämtliche auch in der entsprechenden männlichen Altersklasse der Civilbevölkerung vorkommenden Krankheiten, und zwar nach dem eingangs Gesagten nur diese, behält aber gleichwohl insofern eine Berechtigung, als die Häufigkeit der einzelnen Krankheiten (ihr statist. Verhältnis zueinander) infolge der Besonderheiten des militär. Lebens und der verschiedenen Zusammensetzung der Armeen einerseits, der Bevölkerungen ¶
mehr
andererseits bei erstern eine andere zu sein pflegt als bei letztern. Aus der Militär-Sanitätsstatistik in den Sanitätsberichten über Friedens- und Kriegsheere, die in den größern Staaten sehr vervollkommnet ist, vornehmlich in den Vereinigten Staaten [* 4] von Amerika [* 5] und in Deutschland, [* 6] ergeben sich drei Hauptgesichtspunkte:
1) daß die enge Zusammendrängung der Menschen, welche mit dem Begriff einer Armee schon im Frieden, mehr noch im Kriege untrennbar verbunden ist, Gesundheit und Leben außerordentlich bedroht, daß demgemäß die Erhaltung der Gesundheit in den Armeen sehr schwierig ist, obgleich im allgemeinen die Armeen aus dem kräftigsten und gesundesten Teile der Bevölkerungen, überwiegend in jugendlichem Alter bestehen;
2) daß die Heereskran
kheiten im engern Sinne (die Seuchen) den schlimmsten Feind der Armeen darstellen, welchem im Kriege bisher fast ausnahmslos
weit mehr Menschenleben zum Opfer gefallen sind als den feindlichen Waffen;
[* 7]
3) daß neuerdings mit der wachsenden Fürsorge für den Soldaten und mit den wissenschaftlichen Fortschritten der Gesundheitslehre die Erkrankungen und Todesfälle in allen größern Armeen sich erstaunlich vermindert haben, wodurch bewiesen wird, daß für die Erhaltung der Gesundheit und des Lebens öffentliche Maßnahmen ungemein viel zu leisten vermögen und daß besonders gerade die gefürchtetsten Seuchen als «vermeidbare Krankheiten» betrachtet werden müssen. Zu Punkt 1 sei hervorgehoben,daß es bis jetzt nur in der deutschen Armee und auch in dieser erst neuerdings gelungen ist, die jährliche Sterblichkeitsziffer geringer zu gestalten als bei der entsprechenden männlichen Altersklasse der Civilbevölkerung.
Aus dem unter 2 Gesagten erhellt die Wichtigkeit der Armeegesundheitspflege für die Schlagfertigkeit der Armeen. Oft war der unglückliche Ausgang kriegerischer Unternehmungen durch das Überhandnehmen von Seuchen bedingt. Bei den deutschen Armeen 1870-71 blieb zum erstenmale während eines großen Krieges die Zahl der durch Krankheiten verursachten Todesfälle (14 904 = 18,2 auf Tausend der Durchschnittskopfstärke) hinter der Zahl der Gefallenen und nachträglich an Wunden Gestorbenen (28 278 = 34,7 Promille) zurück, obwohl auch damals Typhus, Ruhr und Pocken seuchenartig verbreitet waren.
Die unter 3 betonte Verbesserung des Gesundheitszustandes in den Armeen wird am schlagendsten durch die Erkrankungs- und Sterblichkeitsziffern der preuß. Friedensarmee veranschaulicht, deren neuere Sanitätsberichte die Zahlen des 12. und 13. Armeekorps mit umfassen. Bei derselben erkrankten 1867-72 durchschnittlich jährlich 1344, von 1873/74 bis 1881/82 nur 1194 und von 1882/83 bis 1889/90 nur 831 auf das Tausend der Durchschnittskopfstärke. Die durchschnittliche jährliche Sterbeziffer infolge von Krankheiten betrug 1829-38: 13,1, 1846-63: 8,8, 1867-72: 5,8, 1873/74-1881/82: 4,2 und 1882/83-1889/90: 2,7 auf tausend Köpfe. An dieser Verminderung sind insbesondere diejenigen beiden Seuchen sehr stark beteiligt, welche früher vorzugsweise als Armeekrankheiten galten: Typhus und Tuberkulose.
Die Zahl der Todesfälle durch Verunglückung ist infolge der sorgfältigen Leitung der militär. Übungen in der deutschen Armee geringer als bei vielen bürgerlichen Berufen; sie belief sich früher durchschnittlich jährlich auf 0,50 und von 1882/83 bis 1889/90 nur noch auf 0,35 Promille der Kopfstärke. Dabei wird regelmäßig ein erheblicher Teil dieser Verunglückungen durch Baden [* 8] an verbotenen Orten und anderes eigenes Verschulden herbeigeführt. Hingegen weisen alle Armeen wesentlich höhere Selbstmordziffern auf als die entsprechenden Altersklassen der männlichen Civilbevölkerung.
In der preuß. Armee betrugen die Todesfälle durch Selbstmord 1829-38: 0,35, 1846-63: 0,46, 1867-72:
0,63, 1873/74-1881/82: 0,65, 1882/83-1889/90: 0,64 Promille. Im übrigen zeigt die Statistik, daß die Verschiedenheit der
Selbstmordhäufigkeit nicht nur bei den verschiedenen Armeen, sondern auch bei den einzelnen Armeekorps einer und derselben
Armee genau der Verschiedenheit der den betreffenden Rassen und Volksstämmen eigentümlichen, in die militär.
Verhältnisse mitgebrachten Selbstmordneigung entspricht, ebenso wie die Zunahme der Selbstmorde in den
Armeen in neuerer Zeit den gleichartigen Vorgängen in der Civilbevölkerung parallel läuft. Die überall hervortretende
Steigerung dieser Selbstmordneigung aber mit dem Eintritt in die militär. Daseinsbedingungen,
welcher für die meisten einen tiefen Eingriff in das gesamte bürgerliche und geistige Leben bedeutet,
muß als eine der wichtigsten Heereskran
kheiten betrachtet werden.