Hebräerbrief
oder Brief an die Hebräer ist der überlieferte Name einer der wichtigsten Schriften des Neuen Testaments. Im Morgenlande ziemlich frühzeitig dem Apostel Paulus zugeschrieben, dessen Autorschaft im Abendlande bis zum Ende des 4. Jahrh. angezweifelt wurde, ist der Brief seitdem allgemein als 14. Brief des Apostels Paulus in die neutestamentliche Schriftensammlung aufgenommen worden. Seit Luther, der ihn für ein Wert des Apollos (s. d.) hielt, ist die paulinische Abkunft des Briefs von Protestanten bestritten und von der neuern Kritik aus sprachlichen und sachlichen Gründen widerlegt worden.
Der wirkliche Verfasser ist unbekannt, sein und seiner ursprünglichen Leser Wohnsitz sowie die Zeit der Abfassung ungewiß. Nach älterer Meinung an die Judenchristen in Palästina [* 2] (daher der Name «Hebräer») gerichtet, ist der Brief nach neuerer, aber nicht minder zweifelhafter Ansicht von einem alexandrinisch gebildeten Verfasser an die jüd.-christl. Gemeinde in Alexandria geschrieben. Vieles spricht aber für Rom [* 3] als Bestimmungsort des Briefs. Vereinzelt steht die schon von Tertullianus überlieferte, von verschiedenen Neuern wieder aufgenommene Meinung, daß Barnabas (s. d.) der Verfasser des Briefs sei. Da der Verfasser so zu reden scheint, als ob der Tempel [* 4] zu Jerusalem [* 5] noch stehe, so haben die meisten an die zweite Hälfte des 7. Jahrzehnts n. Chr. gedacht; doch giebt es erhebliche Gründe für ein mindestens zwei Jahrzehnte späteres Datum.
Der Hebräerbrief
sucht judenchristl.
Leser von der
Notwendigkeit der Aufhebung des jüd. Ceremonialgesetzes und Opferkultus
im
Christentum zu überzeugen, indem er den alten
Bund als das schattenhafte Vorbild des neuen, in Christi
Blut geschlossenen
Bundes betrachten lehrt und im Gegensatz zu dem alttestamentlichen Tempelkultus Christum als das vollkommene Opfer und
als den vollkommenen Hohenpriester darstellt. Der
Brief gehört also in eine Zeit, wo das judenchristl.
Bewußtsein noch immer gegen die zuerst durch
Paulus angebahnte Erkenntnis von der wesentlichen Neuheit der christl.
Religion
ankämpft. Er setzt die
Lehre
[* 6] des
Paulus voraus und scheint sich auch die Form der paulinischen Sendschreiben zum
Muster genommen
zu haben, ohne daß jedoch hieraus auf eine entschieden paulinische
Richtung des Verfassers geschlossen
werden dürfte. Die
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mehr
Lehreigentümlichkeiten des Briefs erklären sich sämtlich aus dem Gedankenkreise der alexandrinischen Religionsphilosophie,
den der Verfasser mit Anschauungen des Urchristentums vereinigt hat. Die eingehendste Darstellung des Lehrbegriffs des Hebräerbrief
ist
von Riehm (Ludwigsb. 1858; 2. Aufl., Bas. 1867); Kommentare lieferten Bleek (der größere, 2 Abteil., Berl. 1828-40; der
kleinere, Elberf. 1868), Tholuck (3. Aufl., Hamb. 1850), Lünemann (4. Aufl.,
Gött. 1878), De Wette (3. Aufl., bearbeitet von Möller, Lpz. 1867), Delitzsch
[* 8] (ebd. 1857), Kurtz (Mitau
[* 9] 1869), J. C. K.
^[Johann Christian Konrad] von Hofmann (Nördl. 1873), Keil (Lpz. 1885), Weiß (Gött. 1888), von Soden (2. Aufl., Freib. i. Br.
1892).