Havre
,
[* 1] Le [* 2] (spr. āwr, Havre de Grâce, Gratiae portus), Arrondissementshauptstadt im franz. Departement Niederseine, liegt an der Nordseite des Mündungsbeckens der Seine, an der Stelle ehemaliger Salzteiche am Fuß von Hügeln, welche, ursprünglich nichts als Küstenfelsen, jetzt mit Gärten und Häusern bedeckt sind (s. Plan). Die Stadt ist durch zwei Forts an der Landseite und drei Küstenbatterien [* 3] befestigt, welche namentlich in den letzten Jahren verstärkt wurden.
Der frühere Festungswall ist seit 1854 verschwunden und hat neuen Stadtteilen mit schönen
Straßen Platz gemacht. In diesem
Jahr wurde auch das Städtchen
Ingouville nebst dem größten Teil von Graville und Sanvic mit Havre
verbunden.
Von
Ingouville aus, welches sich auf den nördlich gelegenen
Hügeln erhebt, übersieht man die ganze in der
Ebene gelagerte
Stadt und den
Hafen, das breite Mündungsbecken der Seine westlich bis zum
Cap de la
Hève, auf welchem zwei
Leuchttürme (je 20 m
hoch) errichtet sind, und das immer von
Schiffen belebte
Meer.
Unter den öffentlichen
Plätzen und
Straßen sind besonders der Platz
Ludwigs XVI., die
Rue de
Paris,
[* 4] die
Boulevards Strasbourg
und
François I und die
Kais hervorzuheben. Hervorragende Baudenkmäler gibt es nur wenige. Zu nennen sind: die zu Ende
des 16. Jahrh. erbaute
Kirche
Notre Dame, das
Museum (Musée-bibliothèque) mit den davor errichteten
Statuen der in Havre
gebornen
Dichter
Bernardin de
Saint-Pierre und Casimir
Delavigne, das 1855 im Renaissancestil erbaute
Rathaus, das 1844 erbaute große
Theater,
[* 5] das Zollhaus. Der dem letztern nahe gelegene nordwestliche
Molo (Jetée du
Nord) ist eine beliebte
Promenade. Havre
zählt (1881) 105,540 Einw.
[* 1]
^[Abb.:
Situationsplan von Le Havre.]
¶
mehr
und weist eine rasche Zunahme seiner Bevölkerung [* 7] auf (1856 zählte es erst 62,470 Einw.) Es besitzt mehrere Maschinenbauanstalten und Schiffswerften, Eisen- und Metallgießereien, Seilfabriken, große Zuckerraffinerien, Fabriken für Glas, [* 8] Tabak, [* 9] Öl und Chemikalien, Bierbrauereien, Färbereien, Baumwollspinnereien und -Webereien.
Noch größer ist die Bedeutung von als Handelsstadt. Nach Marseille [* 10] ist es der bedeutendste Handelshafen Frankreichs. Der Hafen besteht aus einem Vorhafen und acht Bassins mit einer Fläche von 53 Hektar und einer Kaientwickelung von 8300 m, er umfaßt ferner ein Dock [* 11] mit großen Entrepots und ein Marinearsenal. Trotzdem genügen die vorhandenen Hafeneinrichtungen dem gesteigerten Verkehr nicht mehr, und es wird daher, anschließend an das Bassin de l'Eure, ein neuntes Bassin hergestellt, welches eine Länge von 1050, eine Breite [* 12] von 200 m und eine Fläche von 19,3 Hektar erhalten und 2800 m Kais umfassen soll.
Auch werden zwei Docks für Schiffsreparaturen gebaut, der bestehende Vorhafen vergrößert, ein neuer Vorhafen ausgeführt
und der Hafen durch einen Kanal
[* 13] in direkte Verbindung mit der Seineschiffahrt gebracht. Havre
steht mit den
wichtigsten Seeplätzen in regelmäßiger Dampferverbindung u. ist Endpunkt einer Hauptlinie der Französischen Westbahn. Im
Innern der Stadt vermitteln Tramwaylinien den Verkehr. Im Hafen von Havre
sind 1884 bei der internationalen Schifffahrt 2723 beladene
Schiffe
[* 14] mit 2,002,178 Ton. ein- und 1575 beladene Schiffe mit 1,279,945 T. ausgelaufen.
Mehr als 4/5 des Tonnengehalts kommt auf Dampfschiffe und über ⅔ auf fremde Flaggen, [* 15] namentlich die englische. Der Hauptverkehr findet mit England, den Vereinigten Staaten [* 16] von Nordamerika, [* 17] Deutschland, [* 18] Argentinien und Brasilien [* 19] statt. 1884 belief sich die Wareneinfuhr vom Ausland auf 14,5, die Ausfuhr auf 5,1 Mill. metr. Ztr., zusammen im Wert von 1657 Mill. Frank. Die wichtigsten Artikel sind in der Einfuhr: rohe Baumwolle, [* 20] Schafwolle, Häute, Kaffee, Getreide [* 21] und Mehl, [* 22] Kupfer, [* 23] überseeische Hölzer, Wein, Öl und Fette;
in der Ausfuhr: Seiden-, Schafwoll- und Baumwollwaren,
Lederwaren und insbesondere Pariser Industrieartikel, wie Kleider und Wäsche, Schmuckfedern, Knöpfe, Spielwaren,
Uhren
[* 24] etc. Zu obigen Verkehrsziffern kommen noch die der Kabotage mit 2763 eingelaufenen Schiffen (294,464 T.) und 2653 ausgelaufenen
Schiffen (302,978 T.) und 1,3 Mill. metr. Ztr.
eingeführter und 2,4 Mill. metr. Ztr.
ausgeführter Waren. Seit den letzten Dezennien ist auch ein Haupteinschiffungshafen für Auswanderer
(ca. 30,000 jährlich). Havre
ist Sitz eines Gerichtshofs, eines Handelsgerichts, einer Zolldirektion, eines Seearrondissements,
eines deutschen Berufskonsuls sowie von Konsulaten aller Staaten; es besitzt ein Lyceum, eine hydrographische Schule, eine Gewerbe-
und Handelsschule, eine Bibliothek von 30,000 Bänden und ein Kunst-, Antiken- und naturhistorisches Museum. Havre
hat
auch besuchte Seebäder. - Bis 1516 bestand hier nur ein Fischerdorf, in dessen Mitte sich eine Kapelle, Chapelle de Grâce,
erhob.
König Franz I. begann 1517 den Bau des Hafens und der Stadt. Er befestigte letztere gegen die Engländer und legte am Eingang des Hafens einen besondern Donjon an. Dieser sogen. Turm [* 25] Franz' I., welcher zuletzt als Signalstation für die Schiffe diente, ist 1862 abgetragen worden. Heinrich II. und Ludwig XIII. verstärkten die Festungswerke namentlich durch eine doppelte Enceinte und Bastionen; unter Ludwig XIV. erhob sich eine mächtige Citadelle, berühmt durch die Fürsten und Feldherren, welche die eifersüchtigen Kardinal-Minister dort einsperrten, sowie durch verschiedene vergebliche Bombardements von seiten der Engländer (besonders 1694), welche nicht hindern konnten, daß die Stadt sich immer mehr hob.
Auch unter Ludwig XVI. wurden Arbeiten zur Förderung des Hafens und der Stadt unternommen, welche, durch die Revolution unterbrochen,
unter Napoleon I. fortgesetzt wurden. In Havre
wurden außer den genannten Dichtern noch die Romanschriftstellerin
Scudéry, der dramatische Dichter Ancelot und der Paläograph Léon Gautier geboren.
Vgl. Morlent, Le H. ancien et moderne (Havre
1825, 2 Bde.);
Nerval, Documents relatifs à la fondation du Havre
(Rouen
[* 26] 1875);
Faure, Le H. en 1878 (Havre
1878);
Borély, Histoire
de la ville du Havre
(das. 1883, 3 Bde.).