Hauptverha
ndlung,
im modernen Strafprozeßrecht der wesentliche Hauptabschnitt des gerichtlichen Strafverfahrens, welcher dem Urteilsspruch unmittelbar vorhergeht. Man kann bei den strafrechtlichen Untersuchungen drei Abschnitte unterscheiden:
1) das Stadium der Vorerörterungen oder das Vorbereitungsverfahren, von mehr polizeilichem Charakter, meist von der Staatsanwaltschaft geleitet, welches sich mit der Frage beschäftigt, ob eine strafbare Handlung begangen, und ob deshalb Klage zu erheben ist;
2) die Voruntersuchung zur Feststellung der weitern Frage, ob gegen eine bestimmte Person, den Angeschuldigten, das Hauptverfahren zu eröffnen, oder ob derselbe außer Verfolgung zu setzen sei;
3) das
Hauptverfahren, welches mit dem Gerichtsbeschluß über die
Eröffnung des Hauptverfahrens (s. d.)
beginnt. Es folgt die Hauptverha
ndlung zur Klarstellung des gesamten Sachverhalts und endlich das gerichtliche
Urteil selbst. Damit soll
jedoch nicht gesagt sein, daß notwendig jede Untersuchung diese drei
Abschnitte aufweisen müsse; es kann vielmehr das
erste
Stadium sehr wohl hinwegfallen, und es ist ferner nicht bei allen strafbaren
Handlungen erforderlich, daß
eine
Voruntersuchung (s. d.) stattfinde.
Dagegen kann ohne
Hauptverfahren und ohne Hauptverha
ndlung insbesondere ein gerichtliches
Strafurteil nicht gefällt werden, und der
Schwerpunkt
[* 2] der Untersuchung liegt daher in der Hauptverha
ndlung. Je nach dem Gegenstand der strafrechtlichen Untersuchung bestimmt
sich die
Zuständigkeit des erstinstanzlichen
Gerichts, vor welchem die Hauptverha
ndlung stattfindet. Bei schwereren
Verbrechen geht in
Deutschland
[* 3] die Hauptverha
ndlung vor dem
Schwurgericht (s. d.) vor sich, während leichtere
Verbrechen und schwerere
Vergehen
vor die
Strafkammern der
Landgerichte gehören (s.
Landgericht).
Leichtere
Vergehen und
Übertretungen werden von den
Schöffengerichten (s. d.) abgeurteilt, insofern die
Übertretungen nicht
ausnahmsweise von dem
Amtsrichter allein erledigt werden können (s.
Amtsgerichte). Wesentlich ist für
jede Hauptverha
ndlung die
Öffentlichkeit der
Verhandlung, einschließlich der
Verkündigung der
Urteile und Beschlüsse. Nur wenn durch sie
eine Gefährdung der öffentlichen
Ordnung oder der
Sittlichkeit zu besorgen ist, kann die
Öffentlichkeit durch Gerichtsbeschluß
ganz oder teilweise ausgeschlossen werden.
Ebenso wesentlich ist die Wahrung des
Grundsatzes der
Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit des
Verfahrens.
Die Hauptverha
ndlung muß in ununterbrochener Gegenwart der
Richter, der Staatsanwaltschaft und eines
Gerichtsschreibers, welcher das
Protokoll
führt, erfolgen. Gegen einen abwesenden, d. h. gegen einen Angeklagten, dessen Aufenthalt
unbekannt ist, oder der sich im
Ausland aufhält, kann nur ausnahmsweise eine Hauptverha
ndlung dann stattfinden, wenn
eine strafbare
Handlung in
Frage steht, die nur mit
Geldstrafe oder mit
Einziehung bedroht ist.
Gegen einen ohne Entschuldigung ausgebliebenen Angeklagten ist in der
Regel ein Vorführungsbefehl zu erlassen, und nur ausnahmsweise
kann in seiner
Abwesenheit verhandelt werden, namentlich bei großer
Entfernung seines Aufenthaltsortes und bei verhältnismäßiger
Geringfügigkeit der ihm zur
Last gelegten strafbaren
Handlung. Ist dem Angeklagten auf
Antrag oder von
Amts wegen ein Verteidiger bestellt, oder ist ein solcher nach ausdrücklicher Gesetzesvorschrift (Strafprozeßordnung,
§ 140) zuzuziehen, so erscheint auch die Anwesenheit des Verteidigers als notwendig. Die Hauptverhandlung
soll, um
die Einheitlichkeit des
Bildes nicht zu beeinträchtigen, möglichst ohne
Unterbrechung zu Ende geführt
werden. Eine unterbrochene Hauptverhandlung
muß spätestens am vierten
Tag nach der
Unterbrechung fortgeführt werden, widrigenfalls mit
dem
Verfahren von neuem zu beginnen ist.
Die Hauptverhandlung
wird von dem Vorsitzenden eröffnet, geleitet und geschlossen. Sie beginnt mit dem Aufruf der
Sache. Ist der Angeklagte verhaftet, so
ist er vorzuführen; er erscheint ungefesselt. Hierauf erfolgt
der Aufruf der geladenen
Zeugen und
Sachverständigen, die schon jetzt auf die Bedeutung des
Eides hingewiesen werden können.
Die
Zeugen entfernen sich hierauf aus dem Sitzungszimmer, während es den
Sachverständigen gestattet werden kann, der ganzen
Hauptverhandlung
beizuwohnen.
Sodann wird der Angeklagte über seine persönlichen Verhältnisse vernommen. Der Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens (nicht aber auch die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft) wird verlesen. Hierauf erfolgt eine weitere Vernehmung des Angeklagten über den Sachverhalt selbst, welche ihm Gelegenheit geben soll zur Beseitigung der gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe und zur Geltendmachung der zu seinen gunsten sprechenden ¶
mehr
Thatsachen. Der Angeklagte ist jedoch berechtigt, die Aussage zu verweigern. Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. Das Gericht kann auch von Amts wegen die Herbeischaffung neuer Beweismittel neben den von der Staatsanwaltschaft und von dem Angeklagten benannten anordnen. Die Zeugen und Sachverständigen sind einzeln zu vernehmen und vor ihrer Vernehmung einzeln zu vereidigen. Bei Sachverständigen, die für die Erstattung von Gutachten der betreffenden Art im allgemeinen beeidigt sind, genügt die Berufung auf den geleisteten Eid.
Nicht nur der Vorsitzende, sondern auch die beisitzenden Richter können an Zeugen und Sachverständige unmittelbar Fragen richten. Auch der Staatsanwaltschaft, dem Angeklagten, dem Verteidiger, den Geschwornen und den Schöffen ist auf ihr Verlangen die Befragung der Zeugen und Sachverständigen zu gestatten. Wird eine Frage von dem Befragten oder von dem Vorsitzenden beanstandet, so hat nötigen Falls das Gericht über die Zulässigkeit zu entscheiden. Bei den von der Staatsanwaltschaft und von dem Angeklagten benannten Zeugen und Sachverständigen wird dem Staatsanwalt und dem Verteidiger auf deren übereinstimmenden Antrag das sogen. Kreuzverhör von dem Vorsitzenden gestattet.
Jede Partei hat alsdann das Recht, die von der Gegenpartei vernommenen Zeugen und Sachverständigen auch noch ihrerseits zu vernehmen.
Außerdem sind in der Hauptverhandlung
die als Beweismittel benannten Schriftstücke zu verlesen.
Nach der Vernehmung eines jeden Zeugen, Sachverständigen oder Mitangeklagten sowie nach der Verlesung eines jeden Schriftstückes
ist der Angeklagte zu befragen, ob er etwas zu erklären habe. Nach Schluß der Beweisaufnahme erhalten die Staatsanwaltschaft
und sodann der Angeklagte, resp. sein Verteidiger zu ihren Ausführungen (Plaidoyers) und Anträgen das Wort.
Der Staatsanwaltschaft steht das Recht der Erwiderung zu; dem Angeklagten gebührt das letzte Wort. Auch wenn ein Verteidiger
für den Angeklagten gesprochen hat, ist letzterer selbst doch noch zu befragen, ob er noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen
habe. Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff
der Hauptverhandlung
geschöpften Überzeugung. Die Beratung und Beschließung des Urteils ist nicht öffentlich. Zu jeder dem Angeklagten
nachteiligen Entscheidung, welche die Schuldfrage betrifft, ist eine Mehrheit von zwei Dritteilen der Stimmen erforderlich.
Die Hauptverhandlung
schließt mit der Erlassung des Urteils (s. d.), welches durch Verlesung der Urteilsformel und
Eröffnung der Urteilsgründe zu verkünden ist. Die Verkündung des Urteils kann eine Woche ausgesetzt werden. Die Eigentümlichkeit
des Verfahrens vor den Schwurgerichten hat noch weitere besondere Vorschriften über die Hauptverhandlung
vor denselben nötig gemacht
(s. Schwurgericht). Was die Hauptverhandlung
in der Instanz der Berufung (s. d.) anbetrifft, so hat in dieser ein Berichterstatter
in Abwesenheit der Zeugen einen Vortrag über die Ergebnisse des bisherigen Verfahrens zu halten.
Das Urteil erster Instanz ist stets zu verlesen. Sodann erfolgt die Vernehmung des Angeklagten und die Beweisaufnahme. Bei den
Ausführungen nach Schluß der Beweisaufnahme gebührt dem Beschwerdeführer das erste, dem Angeklagten stets das letzte
Wort. Auch in der Hauptverhandlung
in der Instanz der Revision fungiert ein Berichterstatter. Hierauf werden die Staatsanwaltschaft sowie der
Angeklagte und sein Verteidiger mit ihren Ausführungen und Anträgen, und zwar der Beschwerdeführer zuerst,
gehört. Auch
hier gebührt dem Angeklagten, gleichviel ob er der Beschwerdeführer ist oder nicht, das letzte Wort.
Vgl. Deutsche [* 5] Strafprozeßordnung, § 212-275; Österreichische Strafprozeßordnung, § 220-279; ferner außer den Kommentaren der Strafprozeßordnung und den Lehrbüchern des Strafprozeßrechts: Meves, Strafverfahren nach der deutschen Strafprozeßordnung (Berl. 1880);
Öser, Drei Tafeln über den Gang
[* 6] der Hauptverhandlung
(Freiberg
[* 7] 1883).