Titel
Harnblase
(Vesica urinaria), das zur Ansammlung und zeitweisen Entleerung des Harns dienende Organ des Körpers des Menschen und der meisten Wirbeltiere, stellt einen ovalen häutig-muskulösen Sack dar, welcher, im leeren Zustand gefaltet, in der Höhle des kleinen Beckens dicht hinter der Schambeinfuge gelegen ist, nach hinten beim Manne an den Mastdarm, beim Weibe an die Gebärmutter [* 2] grenzt und sich nach vorn und unten zum Blasenhals verengert, um in die Harnröhre überzugehen.
Der oberste
Teil der Harnblase
wird als Scheitel, der unterste und zugleich weiteste
Teil als
Grund der Harnblase
bezeichnet. Die
Harnleiter
münden am hintern
Teile des Blasengrundes in die
H.und durchbohren die Blasenwand schief, sodaß der
Harn
aus der
Blase nicht in die
Harnleiter zurückfließen kann. Die Harnblase
ist von einer gefäßreichen, an ihrer freien
Fläche mit
einer mehrfachen
Lage von Epithelzellen bedeckten Schleimhaut ausgekleidet, mit einer serösen
Haut
[* 3] überzogen und besitzt
zwischen diesen beiden
Häuten eine starke Muskelhaut, die sich unter dem Einfluß des Willens zusammenzieht,
wenn der
Harn entleert werden soll.
Die
Muskelfasern der
Blase sind dergestalt angeordnet, daß sie am
Blasenhals einen ringförmigen Schließmuskel, den
Blasenschließer
(sphincter vesicae) bilden, durch dessen Thätigkeit der
Harn in der
Blase willkürlich zurückgehalten wird, wogegen beim
Nachlassen desselben der
Harn von selbst abfließt; die übrigen
Muskelbündel der Harnblase
verlaufen der Länge
nach von oben nach unten und bilden auf diese
Weise den sog.
Harnauspresser (musculus detrusor urinae), durch dessen kräftige
Zusammenziehung die Harnblase
verkleinert und entleert wird.
Die
Krankheiten der Harnblase
sind zahlreich und befallen mit großer Vorliebe das männliche Geschlecht, insbesondere
das spätere
Mannes- und Greisenalter, weil die männliche
Harnröhre weit länger und enger als die weibliche
ist und überdies an ihrem Anfangsteil von der
Vorsteherdrüse umschlossen wird, welche im
Alter häufig erkrankt und dann
regelmäßig auch die benachbarten Organe, insbesondere die Harnblase
, in Mitleidenschaft zieht. Die wichtigsten Blasenleiden
sind:
1) Der
Blasenkatarrh, die katarrhalische
Entzündung der Harnblase
nschleimhaut (Cystitis catarrhalis),
welche eine übermäßige Schleimabsonderung auf die Oberfläche der
Blase veranlaßt und durch die verschiedenartigsten Schädlichkeiten
entstehen kann. Am häufigsten wird der
Blasenkatarrh durch die Beimischung scharfer und reizender
Substanzen zum
Harn, wie
nach dem Getränk von
Most, jungem
Wein, unvergorenem
Bier, nach dem
Mißbrauch gewisser Medikamente (insbesondere
der Kanthariden, des Peru-und Kopaivabalsams, des
Terpentinöls u. a.), ferner durch die Fortpflanzung eines Harnröhrenkatarrhs
(Trippers) auf die Blasenschleimhaut, sowie durch Erkältung, insbesondere der Füße und
Unterbauchgegend, hervorgerufen;
mitunter giebt auch die Anwesenheit von
Harnsteinen (s. d.) oder andern fremden Körpern in der Harnblase
oder
die Benutzung von unsaubern und nicht gehörig desinfizierten
Kathetern
Anlaß zu schmerzhaftem und hartnäckigem
Blasenkatarrh. Nicht selten steigert sich
¶
mehr
der Blasenkatarrh zur eigentlichen Blasenentzündung (Cystitis parenchymatosa), bei welcher nicht bloß die Schleimhaut, sondern die gesamte Blasenwand entzündet und geschwollen, wohl auch von größern oder kleinern Geschwüren durchsetzt ist. Sind die letztern tuberkulöser Natur, so spricht man auch von Blasenschwindsucht. Die Symptome des Blasenkatarrhs bestehen hauptsächlich in einem dumpfen drückenden Schmerz in der Blasengegend, in unaufhörlichem Harndrang, lebhaft brennenden Schmerzen beim Urinieren und in der Entleerung eines trüben, wolkigen, nicht selten mit Eiter und Blut vermischten Harns, der bald einen widerwärtigen ammoniakalischen Geruch annimmt; häufig ist auch Fieber vorhanden.
Enthält der Harn größere Mengen von Eiter, so pflegt man dies als Pyurie zu bezeichnen. Die Behandlung
erfordert vor allen Dingen eine vollkommen reizlose und strenge Diät (Milch, Mandelmilch, schleimige Suppen und Getränke,
Selterser, Wildunger, Biliner Wasser); gegen heftige Schmerzen erweisen sich Bettruhe, warme Umschläge auf die Blasengegend,
warme Vollbäder und warme Klystiere nützlich. Bei chronischem Verlauf und sehr übelriechender Beschaffenheit
des Harns ist die Harnblase
öfters mit lauwarmem Wasser oder schwach adstringierenden und desinfizierenden Flüssigkeiten
auszuspülen. Bei gleichzeitig vorhandener Lähmung der Blase muß der Harn regelmäßig mit dem Katheter
[* 5] entleert werden.
2) Blasenkrampf (Cystospasmus), ein überaus heftiger krampfartiger Schmerz in der Blasengegend, der in Anfällen auftritt, gewöhnlich mit krampfhaften Zusammenziehungen der Blase und fast ununterbrochenem Harndrang einhergeht und nicht selten allgemeines Zittern, Erbrechen und selbst Ohnmacht zur Folge hat. Diese Anfälle währen bald nur wenige Minuten, bald eine halbe Stunde und darüber. Die Ursachen des Blasenkrampfes sind entweder rein örtliche, wie Entzündung der Blasenschleimhaut, Blasensteine, Reizungszustände der Harnröhre, des Mastdarms, der Gebärmutter, scharfer Urin u. dgl., oder allgemeine, wie heftige Gemütserschütterungen (Schreck), Hysterie und andere schwere Nervenleiden. Gegen die Anfälle sind warme Voll- und Sitzbäder, warme Breiumschläge auf die Blasengegend, Klystiere von Kamillenthee und Opiumpräparate anzuwenden.
3) Blasenlähmung (Paralysis vesicae), die mehr oder minder vollständige Lähmung der Blasenmuskulatur, ist am häufigsten im höhern Mannes- und Greisenalter, kommt aber auch in jedem frühern Alter, selbst dem Kindes- und Säuglingsalter vor und verursacht wesentlich verschiedene Symptome, je nachdem nur der Schließmuskel oder nur die Längsmuskulatur der Blase oder beide zugleich von der Lähmung betroffen werden. Ist nur der Schließmuskel gelähmt, so träufelt der Urin beständig gegen den Willen des Kranken ab, besudelt seine Wäsche und umgiebt ihn mit einer beständigen urinösen Atmosphäre; ist nur die Längsmuskulatur der Blase, der sog. Harnauspresser, gelähmt, so sammelt sich der Harn in der Blase an, ohne daß der Kranke es fühlt, es besteht mehr oder minder lange Harnverhaltung und erst wenn die Blase durch ihren Inhalt weit über ihr gewöhnliches Maß ausgedehnt wurde, so erlahmt auch der Schließmuskel und es erfolgt unwillkürlicher Harnabgang.
Die Ursachen der Blasenlähmung können in entzündlichen Zuständen der Blase, in Blasensteinen, in allgemeiner Erschöpfung des Körpers, in Bewußtlosigkeit durch betäubende Mittel oder hohes Fieber, in Erkrankungen des Rückenmarks oder sonstigen schweren Nervenleiden liegen; auch ungebührlich langes Zurückhalten des Urins kann lähmungsartige Zustände der Blase zur Folge haben. Die Blasenlähmung trotzt in vielen Fällen, in denen die betreffende Grundursache nicht beseitigt werden kann, jedweder Behandlung; in andern Fällen kann die Lähmung durch regelmäßige Entleerungen der Blase vermittelst des Katheters, durch Einspritzungen von kaltem Wasser, durch kalte Douchen und Waschungen der Kreuzbein- und der Blasengegend oder durch die Anwendung der Elektricität zum Verschwinden gebracht werden.
4) Die Steinkrankheit der Harnblase
, s. Harnsteine.
5) Geschwülste der Blase sind nicht eben häufig, kommen fast nur im reifern Mannesalter vor und treten entweder als einfache Schleimpolypen oder in der Form des Krebses, namentlich des Zottenkrebses auf. Sie verursachen gewöhnlich mehr oder minder hartnäckiges Blutharnen (s. d.), Schmerzen, Blasenkrampf oder Blasenlähmung; auch sind dem Harn nicht selten kleine Geschwulstzotten und andere Gewebselemente beigemengt. Der Blasenkrebs führt gewöhnlich schon nach einigen Monaten zum Tode; Heilung ist nur von einer möglichst frühzeitigen Operation zu erwarten.
6) Die Zerreißung oder Ruptur der Blase kommt am ehesten durch Schuß- oder Stichwunden, in seltenern Fällen durch Fall oder Sturz bei gefüllter Blase, durch Überfahren u. dgl. zu stande und führt in den meisten Fällen durch nachfolgende Bauchfellentzündung zum Tode.
Litteratur. Lebert, Krankheiten der und Harnröhre (in Ziemssens «Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie», Bd. 9, 2.Hälfte, 2. Aufl., Lpz. 1880);
Ultzmann, Die Krankheiten der Harnblase
(Stuttg. 1889);
Thompson, Die Krankheiten der Harnwege (deutsch von Casper, Münch. 1889).