Harn
(Urin, Urina, Lotium), die von den Nieren abgesonderte Flüssigkeit, besitzt eine höchst verwickelte Zusammensetzung und zeigt bei den verschiedenen Organismen ein sehr verschiedenes Verhalten. Diese Differenzen sind hauptsächlich von den Ernährungsverhältnissen abhängig, und im allgemeinen zeigt der Harn von Organismen mit ähnlicher Nahrung eine ähnliche chemische Zusammensetzung. Der Harn der Fleischfresser gleicht dem menschlichen; er ist klar, hellgelb, von saurer Reaktion, besitzt einen unangenehmen Geruch und ist sehr reich an Harnstoff.
Bei den Pflanzenfressern ist er trübe, von alkalischer Reaktion, sehr reich an kohlensauren Alkalien und alkalischen Erden, und der Harnstoff tritt gegen die Hippursäure zurück. Neben Kristallen von kohlensaurem Kalk enthält der Pflanzenfresserharn auch solche von oxalsaurem Kalk. In keinem Sekret kommt der jeweilige Ernährungszustand so scharf zum Ausdruck wie im H. Zwingt man Pflanzenfresser zur Aufnahme von Fleisch, oder läßt man sie kurze Zeit hungern (beim Hungern lebt der Pflanzenfresser vom Fleisch und Fett seines Leibes), so nimmt der Harn schnell den Charakter des Fleischfresserharns an; das Umgekehrte ist der Fall, sobald man Fleischfresser ausschließlich mit vegetabilischer Kost füttert.
Der normale menschliche Harn ist bernsteingelb, vollkommen klar und durchsichtig und besitzt frisch gelassen einen schwach aromatischen Geruch. Er reagiert in der Regel sauer, rötet also blaues Lackmuspapier. Die saure Reaktion wird hauptsächlich durch die Gegenwart von sauren phosphorsauren Salzen bedingt; unter Umständen kann aber der auch freie Säuren, z. B. Hippursäure, enthalten. Sein spezifisches Gewicht ist starken Schwankungen, etwa von 1,005-1,030, unterworfen, beträgt aber im Mittel etwa 1,016-1,020. Bei Abschluß der Luft läßt sich der Harn lange Zeit unzersetzt aufbewahren, während er bei unbeschränktem Luftzutritt erhebliche Veränderungen erleidet.
Man faßt diese zusammen mit dem Namen der sauren und der alkalischen Gärung. Bei ruhigem Stehen des Harns an der Luft pflegt sich zunächst ein kleines Schleimwölkchen abzusetzen, in welchem man mikroskopisch Pflasterepithelzellen der Harnwege, Schleimkörperchen und feinkörnige Massen beobachten kann. Während einiger Tage nimmt jetzt die saure Reaktion an Stärke zu, und die Wände des Gefäßes sowohl als der Boden desselben zeigen einen kristallinischen, meist gefärbten Niederschlag.
Auf die saure Gärung folgt bei jedem Harn regelmäßig die alkalische Gärung. Letztere tritt zuweilen schon unmittelbar nach der Entleerung ein. Mit Beginn der alkalischen Gärung verbreitet der Harn einen widerlich ammoniakalischen Geruch und trübt sich stark; das rötliche Sediment von Harnsäure und harnsaurem Natron verschwindet allmählich, an seiner Stelle bildet sich ein reichlicher Niederschlag von weißer Farbe, welcher aus Kristallen von phosphorsaurer Ammoniakmagnesia (Tripelphosphat) besteht, und die Oberfläche der Flüssigkeit bedeckt sich mit einer weißlichen, irisierenden Haut. Bei dieser Gärung wird der Harnstoff in Ammoniumcarbonat umgewandelt. Diese Zersetzung wird durch organische Keime eingeleitet, welche sich mikroskopisch als kleine, runde Kügelchen von 0,0015 mm Durchmesser repräsentieren und in der Regel in Häufchen zusammengeordnet liegen. Bei Abschluß dieser Keime läßt sich normaler Harn beliebig lange unzersetzt aufbewahren.
Als normale organische Bestandteile des Harns sind zu bezeichnen: Harnstoff, Hippursäure, Harnsäure, Oxalursäure, Kreatin, Xanthin, Farb- und Extraktivstoffe. Von regelmäßigen anorganischen Bestandteilen kennt man: Wasser, Kalium, Natrium, Ammonium, Calcium,
mehr
Magnesium, Eisen, Chlor, Schwefelsäure, Phosphorsäure, Kohlensäure, letztere zum Teil gasförmig neben absorbiertem Stickstoff und sehr geringen Mengen von Sauerstoff.
Von den organischen Stoffen des menschlichen Harns ist der Harnstoff entschieden der wichtigste; der weitaus größte Teil der stickstoffhaltigen Verbindungen der tierischen Gewebe verläßt den Organismus als Harnstoff. Die Nieren scheiden fortwährend und selbst nach vollständigster Entziehung der Nahrung Harnstoff aus. Die Bildung desselben erfolgt auf Kosten der Eiweißkörper. Die Menge des ausgeschiedenen Harnstoffs gibt uns einen trefflichen Maßstab für den Eiweißumsatz im Tierkörper.
Bei Entziehung der Nahrung sinkt die Harnstoffausscheidung auf ein Minimum, um bei Verabreichung einer eiweißhaltigen Nahrung annähernd proportional der Menge des zugeführten Eiweißes zu wachsen. Näheres über die Bedeutung der Harnstoffausscheidung für die Ernährungslehre s. Ernährung. Der Erwachsene scheidet bei gemischter Kost durchschnittlich 30-40 g Harnstoff täglich aus. Beim Hungern kann die Menge auf ca. 6 g herabsinken, während sie bei reiner Fleischkost auf 80-90 g steigen kann.
Der Harnstoff ist wohl kaum als bloßes Oxydationsprodukt der Eiweißkörper aufzufassen, sondern als das Produkt einer tiefgehenden Spaltung der Eiweißkörper. Der Weg, auf welchem der Stickstoff der Eiweißkörper in die Form von Harn gebracht wird, ist nach Drechsel folgender: zunächst werden die Albuminkörper gespalten, wobei Amidosäuren entstehen;
diese letztern werden völlig verbrannt unter Bildung von Kohlensäure und Ammoniak, welche sich in dem Verhältnis von CO2:2NH3 ^[CO2:2NH3] sofort zu karbaminsaurem Ammoniak vereinigen;
letzteres Salz endlich unterliegt einer Oxydation mit darauf folgender Reduktion, wodurch es unter Austritt von Wasser in Harn übergeführt wird.
Die Überführung von verfüttertem Ammoniak, Glykokoll etc. in Harn versteht sich hiernach von selbst. Hinsichtlich der Bildungsstätten des Harnstoffs ist ermittelt, daß sämtliche Gewebe unter Maßgabe des in ihnen stattfindenden Eiweißumsatzes an der Harnstoffbildung beteiligt sind. Die fortwährende Ausscheidung des Harnstoffs durch die Nieren ist durchaus notwendig, denn er ist ein gefährliches Gift, und seine Anhäufung im Blut führt in kurzer Zeit zum Tod.
Die Hippursäure, welche im H. der Pflanzenfresser in großer Menge vorkommt, wird im H. des Menschen bei normaler Ernährung nur in kleinen Quantitäten angetroffen. Reichlicher Genuß von Obst (Reineclauden, Preißelbeeren etc.) vermehrt die Ausscheidung von Hippursäure außerordentlich. Die Hippursäure des Harns ist an Calcium und Natrium gebunden. Das Auftreten dieser Säure hat ein großes theoretisches Interesse, weil es beweist, daß auch im Tierkörper organische Synthesen verlaufen. Die Hippursäure entsteht nämlich aus einer Paarung der Benzoesäure mit dem Glykokoll, und dieser unter Wasseraustritt verlaufende Prozeß scheint in der Niere vor sich zu gehen.
Die Harnsäure kommt in weit geringerer Menge im H. des Menschen vor als der Harnstoff. Außerdem ist sie ein konstanter Bestandteil des Harns der Fleischfresser; bei den Herbivoren trifft man sie nur so lange an, als diese Tiere von der Muttermilch leben. Die Menge Harnsäure, welche ein gesunder Mensch in 24 Stunden ausscheidet, schwankt zwischen 0,2 und 1 g. Je erheblicher die Fleischkost, desto größer die Menge der ausgeschiedenen Harnsäure. Die Harnsäureausscheidung steht in keinem festen Verhältnis zur Harnstoffausscheidung, wie man früher lehrte; dieses Verhältnis differiert vielmehr von 1:50 bis 1:80. - Oxalursäure, Kreatin und Xanthin sind Glieder aus der Harnsäurereihe und sind konstante Bestandteile des menschlichen Harns. - Zu den organischen Bestandteilen des Harns gehören auch seine Farbstoffe, die als Abkömmlinge des Blutfarbstoffs zu betrachten sind.
Der wichtigste dieser Farbstoffe ist das Urobilin, welches aus dem Bilirubin der Galle künstlich dargestellt werden kann. Von den anorganischen Bestandteilen des Harns ist das Wasser der an Menge bedeutendste. Das Quantum des durch die Nieren ausgeschiedenen Wassers übertrifft die Summe des durch Lungen und äußere Haut austretenden Wasserdampfes sehr erheblich. Lebhaftes Atmen und vermehrte Schweißabsonderung verringern die Wasserausscheidung durch die Nieren. Je mehr Wasser in den Nieren abgesondert wird, desto geringer ist das spezifische Gewicht des Harns, und desto schwächer gefärbt erscheint er. Unter den Salzen des Harns ist das Kochsalz von besonderm Interesse.
Das Blut enthält das Kochsalz in einer Konzentration, in der es befähigt ist, die Form der Gewebe zu erhalten. Dieser Konzentrationsgrad beträgt 0,6 Proz.; Lösungen stärkerer Konzentration bewirken Schrumpfung, solche geringerer aber Quellung der Gewebe, Veränderungen, die schwere Funktionsstörungen nach sich ziehen. Die Niere überwacht nun den Konzentrationsgrad des Kochsalzes im Blute derartig, daß sie bei einer vermehrten Resorption von Kochsalz jeden Überschuß schnell zur Ausscheidung bringt, während bei Verabreichung einer salzarmen Nahrung das Kochsalz mit außerordentlicher Zähigkeit im Blut zurückgehalten wird; dem entsprechend muß die Größe der täglichen Kochsalzausscheidung hauptsächlich von der Beschaffenheit der Nahrung abhängig sein.
Bei normaler Ernährung scheidet ein Erwachsener täglich etwa 15 g Kochsalz aus. Neben dem Chlornatrium enthält der auch kleine Mengen von Chlorkalium. Schwefelsäureverbindungen kommen in nicht unerheblicher Menge im H. vor. Ein Erwachsener scheidet im Mittel etwa 2 g Schwefelsäure durch die Nieren aus. Können auch kleine Mengen schwefelsaurer Salze mit der Nahrung aufgenommen werden, so bildet sich doch die Hauptmenge der Schwefelsäure erst bei der Zersetzung der Eiweißkörper im Organismus.
Der Schwefelsäuregehalt des Harns liefert uns daher bis zu einem gewissen Grad einen Maßstab für den Eiweißzerfall im Organismus. Hierbei ist aber im Auge zu behalten, daß ein nicht unbeträchtlicher Teil des Schwefels der Eiweißkörper mit der Galle in den Darmkanal ergossen wird und mit den Exkrementen zur Ausscheidung gelangt. Ähnlicher Abstammung wie die Schwefelsäureverbindungen sind auch die phosphorsauren Salze. Die Menge der in 24 Stunden ausgeschiedenen Phosphorsäure beträgt beim Erwachsenen 2-3 g. Unter den phosphorsauren Salzen nimmt das saure phosphorsaure Natron eine bevorzugte Stelle ein; es ist die Hauptursache der sauren Reaktion des Harns. Ammonsalze, Eisen- und Kieselsäureverbindungen treten gegenüber den besprochenen Körpern sehr in den Hintergrund. Außer den bisher genannten Stoffen kommen im H. noch einige andre Substanzen vor, welche jedoch wegen ihrer geringen Menge und nicht besonders hervorragenden Bedeutung hier nicht weiter aufgeführt werden sollen.
Die Absonderungsstätten des Harns sind die Nieren; Bestandteile des Bluts, welche für den
mehr
Organismus nicht mehr verwertet werden können, werden in diesen aus dem Blut abgesondert und bilden in ihrer Gesamtheit den Harn. Die Harnabsonderung geht nur dann vor sich, wenn ein lebhafter Strom arteriellen Bluts unter einem gewissen Druck die Nieren durchströmt. Bei Herabsetzung des Druckes in der Nierenarterie sinkt die Harnabsonderung mehr und mehr, und man erreicht schließlich eine Grenze, bei der sie völlig aufhört. Diese ist erreicht, sobald der Blutdruck unter 40 mm Quecksilber sinkt. Durch Vermehrung des Druckes kann man die Harnsekretion wesentlich vergrößern. Auch die ausgeschnittene frische Niere liefert noch Harn, sobald man dieses Organ mit einem unter genügendem Druck stehenden Strom arteriellen Bluts künstlich speist.
Der Druckunterschied zwischen dem Inhalt der Gefäßknäuel der Niere (s. d.) und demjenigen der Harnkanälchen gibt die wesentlichste Ursache für die Harnabsonderung ab. Der aus den Gefäßknäueln abfiltrierte Harn ist zunächst sehr wasserreich; er gelangt in diesem Zustand in die Harnkanälchen und tritt in diesem Abschnitt der Niere in sehr innige Beziehung zum Blutstrom. Die mit äußerst zarten Wandungen versehenen gewundenen Harnkanälchen werden von einem so außerordentlich reichen Blutgefäßnetz umsponnen, daß zwischen beiden Flüssigkeiten ein lebhafter endosmotischer Austausch stattfinden kann. Die hier erfolgenden Diffusionsvorgänge bewirken besonders einen Rücktritt von Wasser in das Blut.
Von den Harnkanälchen aus gelangt der Harn in das Nierenbecken und wird alsdann von den Harnleitern aufgenommen und in die Harnblase geleitet. Die Fortbewegung des Harns in den Harnleitern geschieht durch peristaltische Bewegung der Muskelwandungen dieser Kanäle. In der Blase sammelt sich der Harn bis zur starken Füllung dieses Behälters an; jedes Rückströmen des Sekrets nach den Nieren hin wird durch den schiefwinkeligen Durchtritt der Harnleiter durch die Harnblasenwandung (s. Nieren) verhindert.
Die Entleerung des Harns erfolgt willkürlich durch Zusammenziehung der in der Blasenwandung gelegenen starken Muskulatur, welche in ihrer Gesamtheit den Detrusor urinae bildet. Dieser Muskel vermag die Blase vollständig zu leeren. Die Entleerung der Blase wird durch die Thätigkeit der Bauchpresse unterstützt. Den Blasenhals umgebende, kreisförmig angeordnete Muskelbündel, die man in ihrer Gesamtheit als Schließmuskel der Blase bezeichnet, halten die Blase willkürlich geschlossen.
Dieser Verschluß wird durch Nervenfasern vermittelt, welche von einer zwischen dem sechsten und siebenten Brustwirbel gelegenen Stelle des Rückenmarks aus innerviert werden. Wird das Rückenmark unterhalb dieser Stelle zerstört, so erschlafft der Schließmuskel, und der Harn fließt jetzt tropfenweise in dem Maß ab, wie er in der Niere gebildet wird. Hat sich die Blase entleert, so werden die in der Harnröhre befindlichen letzten Tropfen Harn durch Kontraktion von Muskeln, welche die Harnröhre umgeben, ausgetrieben.
Das Verhalten des Harns in Krankheiten
bietet große Verschiedenheiten dar und ist für den Arzt ein wichtiges Hilfsmittel zur Erkennung und Beurteilung zahlreicher krankhafter Zustände und Vorgänge im Körper. Nicht bloß bei den Krankheiten der Harnorgane selbst kann man aus der Beschaffenheit des Harns die wertvollsten Aufschlüsse gewinnen. Bei den innigen Beziehungen, in welchen der Harn zu dem Stoffwechsel im Tierkörper steht, wird man vielfach aus den Abweichungen des Harns von der Norm auf Störungen im Ernährungsvorgang des Gesamtorganismus zurückschließen können.
Von alters her haben sich die Ärzte wie Laien gewöhnt, bei jeder Krankheit den Harn des Patienten zu betrachten. Allein diese Uroskopie oder Betrachtung des Harns mit dem bloßen Auge reicht nicht aus. Es wird in der Regel die chemische und in vielen Fällen auch die mikroskopische Untersuchung des Harns vorgenommen werden müssen, wenn man gründlichen Aufschluß über die Natur des vorliegenden Leidens erlangen will. Die Abweichungen des Harns von der Norm betreffen teils die Quantität, teils die Qualität desselben.
Die Abweichungen der Quantität stellen sich als exzessive Vermehrung oder Verminderung der täglichen Harnmengen dar. Eine vorübergehende Vermehrung beobachtet man unter anderm nach dem Gebrauch harntreibender Mittel (Diuretica) und, von seiten des Nervensystems angeregt, bei hysterischen und andern Krampfanfällen (Urina spastica). Andauernde Harnvermehrung kommt infolge der Polydipsie, d. h. des krankhaften Durstes, vor und weiterhin namentlich bei der sogen. Harnruhr (s. d.). Verminderte Harnausscheidung kann bis zur völligen Unterdrückung der Harnsekretion führen (Anurie).
Dieser höchst gefährliche Zufall ist fast stets die Folge schwerer Nierenentzündungen und führt durch Urämie und Hirnlähmung zum Tod, wenn die Harnbildung in den Nieren sich nicht bald wieder einstellt. Von den qualitativen Abweichungen des Harns sind zunächst diejenigen der Farbe zu erwähnen. Einen sehr blassen Harn sehen wir nach vielem Trinken und bei vermindertem Stoffumsatz, z. B. bei Blutarmut und Bleichsucht. Eine gesättigt rotgelbe, selbst braunrote Farbe, welche von reichlich vorhandenem normalen Harnfarbstoff herrührt, beobachten wir bei fieberhaften Krankheiten.
Durch Beimischung von Blut oder gelöstem Blutfarbstoff (s. Blutharnen) bekommt der eine schmutzigrote bis schwärzliche Farbe. Gallenfarbstoff (bei der Gelbsucht) färbt den Harn bräunlich, schwarzbraun oder schwarzgrün; der Schaum solchen Harns ist ebenso, aber weniger intensiv gefärbt. Viele Farbstoffe, welche teils mit Speise und Getränk, teils mit Arzneien in den Organismus eingeführt werden, erscheinen im H. wieder und verändern dessen Farbe. Dies ist an sich ohne Bedeutung, kann aber zu bedenklichen Irrtümern veranlassen. Zu erwähnen ist die blutrote Farbe, welche der Harn nach dem Gebrauch von Rhabarber, Sennesblättern und Santonin annimmt, bei welcher man an blutige Beimischungen denken könnte.
Abnorme Reaktionen des Harns sind nur in dem Fall von Belang, wo der Harn schon bei seiner Entleerung aus der Blase alkalisch reagiert. Der frisch gelassene Harn reagiert vorübergehend alkalisch, wenn größere Mengen von Alkalien als Arznei oder mit der Nahrung (z. B. beim Obstgenuß) in das Blut aufgenommen worden sind. Die anhaltende Alkalinität des frischen Harns bedeutet, daß krankhafte Zersetzungen des Harns schon in der Blase eingeleitet worden sind, und zwar geschieht dies bei Blasenkatarrhen, bei Entzündungen des Nierenbeckens und der Blase, bei Harnverhaltung etc. Sehr wichtig, aber meist nur durch umständlichere Methoden festzustellen sind diejenigen Veränderungen des Harns, welche sich auf die relativen Mengenverhältnisse einzelner seiner Bestandteile beziehen. Der Gehalt des Harns an Harnstoff ist vergrößert bei vermehrter Eiweißzufuhr, verringert bei Herabminderung des Stoffwechsels, bei verminderter Aufnahme von stickstoffhaltiger Nahrung. Vermehrung der Harnsaure und Ausscheidung derselben in Form von Sedimenten
mehr
wird bei Gicht, Rheumatismus und Leukämie beobachtet. Noch viel wichtiger für die Diagnose der Krankheiten ist das Vorkommen fremdartiger Stoffe im Urin, sei es in gelöster Form, sei es in Gestalt fester, geformter Körper. Es handelt sich hier um die Beimischung von Blut, Eiweiß, Faserstoffcylindern, Eiter und Schleim, Gallenbestandteilen, Zucker, Gewebsfragmenten etc. Zu ihrer Erkenntnis sind die chemische Analyse und das Mikroskop unerläßlich. Über die Beimischung von Blut zum Harn s. Blutharnen, über die von Eiweiß s. Eiweißharnen.
Bei der Gelbsucht geht nicht bloß der Gallenfarbstoff, sondern auch die Gallensäuren in den über. Über den zuckerhaltigen Harn s. Harnruhr. Bei der sogen. Brightschen Nierenentzündung findet man unter Umständen mikroskopisch feine, walzenförmige, glashelle Körper, aus Faserstoff bestehend, in größerer Menge im H. vor. Es sind dies Exsudatmassen, welche sich in den Harnkanälchen der Nieren gebildet haben und gleichsam einen Ausguß derselben darstellen.
Eiter- und Schleim- sowie Gewebsfetzen, welche mit dem Harn abgehen, weisen auf Entzündungen und die Anwesenheit krankhafter Neubildungen in den Harnwegen hin. Von zufällig oder absichtlich dem Organismus einverleibten Stoffen, die nicht zu den Nahrungsmitteln gehören, gehen nur solche in den über, welche in Wasser leicht löslich sind, mit den Bestandteilen des Körpers keine unlöslichen Verbindungen bilden und nicht leicht oxydierbar oder zersetzbar sind.
Chlorkalium, Jod- und Bromkalium finden sich im H. wieder; Schwefelkalium wird zu schwefelsaurem Kali. Von organischen Stoffen werden manche zu Kohlensäure und Wasser oxydiert und verschwinden ganz (Mannit); von andern findet man die Oxydationsprodukte (Salicin als Salicylursäure), von noch andern Paarungsprodukte (Benzoesäure, Benzoylwasserstoff, Zimtsäure als Hippursäure); manche Stoffe werden aber auch reduziert (Kaliumeisencyanid zu Cyanür, Indigblau zu Indigweiß).
Harnsäure wird in Oxalsäure, Harnstoff, Kohlensäure und Wasser umgewandelt; pflanzensaure Alkalien geben kohlensaure Alkalien und finden sich nur in sehr geringer Menge im H. wieder. Chinin und Harnstoff gehen in den über; Anilin, Thein, Theobromin, Allantoin, Alloxanthin, Amygdalin, Santonin, Kampfer, Harze, brenzliges Öl, Moschus, Alkohol, Äther, Coccusrot, Lackmus, Saftgrün und Alkanna verschwinden; die meisten Farb- und Riechstoffe aber gehen unverändert oder wenig modifiziert in den über.
Der Harn der Vögel bildet eine weiße Umhüllung der Exkremente dieser Tiere und ist sehr reich an Harnsäure und sauren harnsauren Salzen; daneben findet sich etwas Harnstoff. Im H. fleischfressender Vögel begegnet man außerdem Kreatin. Der Harn der Schlangen erstarrt bald nach der Entleerung zu einer weißen, erdigen Masse und besteht hauptsächlich aus Harnsäure, sauren harnsauren Salzen, etwas Harnstoff und phosphorsaurem Kalk. Der Harn der Saurier enthält gleichfalls große Mengen freier Harnsäure. Der Harn der Frösche ist flüssig, enthält Harnstoff, Kochsalz und etwas phosphorsauren Kalk. Im H. der Schildkröten wurden Harnstoff, Hippursäure, Harnsäure, Chlorverbindungen, schwefelsaure und phosphorsaure Salze gefunden. Der rote Harn der Schmetterlinge enthält vorzugsweise Harnsäure, wie denn überhaupt der Nachweis dieser auch bei den Raupen, Käfern, Spinnen bis zu den untersten Klassen der wirbellosen Tiere herab erfolgt ist.