Harmonium
,
ziemlich allgemein gebräuchlicher Name für die erst im 19. Jahrh. aufgekommenen orgelartigen Tasteninstrumente mit frei schwingenden Zungen ohne Aufsätze, die sich von dem ältern Regal (s. d.) hauptsächlich dadurch unterscheiden, daß sie eines ausdrucksvollen Spiels (crescendo) fähig sind. Der erste Erfinder, Grenié (1810), nannte daher das Instrument Orgue expressif, während andre, die ähnliche Instrumente selbständig konstruierten oder die schon erfundenen verbesserten, dafür die Namen Äoline (s. d.), Klaväoline, Äolodikon, Physharmonika (Häckel 1818), Aerophon, Melophon, Melodium, Terpodion etc. aufstellten.
Den
Namen Harmonium
gab A. Debain in
Paris
[* 2] seinen 1840 patentierten
Instrumenten, die zuerst mehrere
Register aufweisen.
Von unwesentlicher Bedeutung sind die Einführung der
Perkussion (Hammeranschlag) der
Zungen behufs präziserer
Ansprache, das
»Prolongement« (Befestigen einzelner
Tasten in herabgedrückter
Lage), der doppelte Druckpunkt (double touche), d. h. verschiedene
Tonstärke, je nachdem die
Tasten tiefer heruntergedrückt werden, u. a. Dagegen haben die Amerikaner
eine vollständige Umwälzung im
Bau des Harmoniums
hervorgebracht durch Einführung des Einsaugens der
Luft durch die
Zungen
statt des Ausstoßens. Diese
Erfindung stammt von einem
Arbeiter in der Harmonium
fabrik von
Alexandre in
Paris, der nach
Amerika
[* 3] auswanderte; doch kamen dieselben in ihrer jetzigen vollkommenen Gestalt erst seit 1860 durch die
Firma
Mason u. Hamlin zu
Boston
[* 4] in
Aufnahme. Etwas ganz Ähnliches ist
die
Alexandre-Orgel (1874 durch
Alexandre in
Paris gebaut). -
Der Umstand, daß bei Zungenpfeifenklängen die
Obertöne,
[* 5]
Kombinationstöne,
Schwebungen
[* 6] etc. sehr laut und leicht wahrnehmbar
sind, hat einerseits das Harmonium
zu einem Lieblingsinstrument für akustische Untersuchungen
gemacht, ist aber anderseits der Verbreitung desselben als Hausinstrument entschieden hinderlich;
Dissonanzen wie der verminderte
Septimenakkord klingen wirklich schlecht auf dem Harmonium.
Es ist darum nicht zufällig, daß
Versuche, die mathematisch reine
Stimmung
einzuführen, gerade am Harmonium
zuerst praktisch angestellt und probat gefunden wurden. Von Harmoniumschulen seien
die von
Sachs (1878) und
Mettenleiter
(Kempten
[* 7] 1881-82, 2
Tle.) genannt.
Vgl. Lederle, Das Harmonium
, seine Geschichte,
Konstruktion
etc. (Stuttg. 1884);
Riehne, Das Harmonium
, sein
Bau und seine Behandlung (2. Aufl., Berl. 1886);
Helmholtz, Lehre [* 8] von den Tonempfindungen (4. Aufl., Braunschw. 1877);
Engel, Das mathematische Harmonium
(Berl. 1881).