Handelsver
träge
(Handelstraktate, Kommerztraktate), die zwischen zwei
Staaten über gegenseitigen
Handel und
Verkehr
getroffenen Vereinbarungen. Dieselben spielten schon sehr frühzeitig eine wichtige
Rolle in der
Politik, so in den Beziehungen
zwischen
Rom und
[* 3]
Karthago,
[* 4] wie dies die von
Polybios (III, 22) vollständig mitgeteilten interessanten
Urkunden über die 348 und 306
v. Chr.
abgeschlossenen Handelsver
träge beweisen.
Ziel der Handelsver
träge ist die Erringung von Vorteilen für die eignen Landesangehörigen, bez.
die Minderung oder Beseitigung von Beschränkungen der letztern im fremden Land. Solche Vorteile zu erstreben, empfahlen
mehrere Merkantilisten diplomatische Kniffe und gute Kriegsverfassung.
Insoweit aber Waffengewalt für den genannten
Zweck bei kultivierten Völkern heute nicht mehr zur Anwendung
kommt, bilden die gegenseitigen Zugeständnisse die Grundlage der Handelsver
träge, bei denen freilich auch heute
noch
Geschick in der Unterhandlung und politische Machtstellung von hoher Bedeutung sind. Bei unkultivierten Völkern ist
der
Fremde rechtlos.
Ihnen gegenüber suchen die Handelsver
träge zunächst Rechtssicherheit und Rechtsfähigkeit für die
eignen Landesangehörigen zu erzielen
(Schutz des Privatvermögens, freie Religionsübung etc.). Bei mehr vorgeschrittenen
Völkern sind solche
Verträge mehr auf die Erzielung von
Handels- und Verkehrserleichterungen gerichtet.
Bei Völkern, die sich nach außen vollständig abgeschlossen hielten, sucht man die Zulassung von
Fremden zu
Handel und
Gewerbebetrieb,
insbesondere die Öffnung von Häfen
(China)
[* 5] für den
Handel, überhaupt erst zu erwirken. Daran knüpft
sich das
Streben nach Aufhebung verschiedener Verbote, Beschränkungen und
Lasten, durch welche der
Fremde ungünstiger gestellt
wird als der
Einheimische. Den
Schlußstein der ganzen
Entwickelung bilden die Vereinbarungen über
Zölle und Zollmaßregeln,
welche den Hauptinhalt der heutigen zwischen kultivierten Völkern abgeschlossenen Handelsver
träge ausmachen.
Da der
Verkehr mit vielen
Ländern zu
Schiff
[* 6] unterhalten wird, so werden hier die Handelsver
träge zu
Handels- und
Schiffahrtsverträgen, während
sie, wenn mit weniger kultivierten Völkern abgeschlossen, gern
Handels- und Freundschaftsverträge genannt werden.
Zur Zeit des
Merkantilsystems suchte man durch Handelsver
träge vorwiegend
Begünstigungen zu erzielen, wobei man nicht
vor blutigen Handelskriegen zurückschreckte. So wurde z. B. in dem
Vertrag zwischen
England und
Portugal
[* 7] von 1703, zwischen
Frankreich und der
Schweiz
[* 8] von 1771, zwischen
Baden
[* 9] und
Hessen
[* 10] noch 1824 und 1825 die Bestimmung getroffen, daß die paktierenden
Staaten die Einfuhr bestimmter
Waren um einen niedrigern
Zoll genießen sollten als alle andern.
Verträge,
die solche Zollprivilegien zum
Zweck haben, nannte man Differentialzollverträge.
¶
mehr
Reiche Sammlungen über die Handelsverträge
jener Zeit enthalten: Chalmers' »Collection of maritime treatise of Great Britain and other powers«
(Lond. 1790, 2 Bde.) und Hauterives
»Recueil des traités de commerce et de navigation entre la France et les puissances étrangères depuis 1648« (Par. 1833, 8 Bde.).
Die Handelsverträge
der heutigen Zeit sind weniger auf Erzielung eines Vorranges vor Dritten
als vielmehr auf Gleichstellung gerichtet. Daher das Streben nach Aufhebung der heute meist gefallenen, bei unsrer Verkehrsentwickelung
überhaupt nicht mehr haltbaren Durchgangsabgaben und nach Beseitigung von Differentialzöllen.
Diesem Streben entspricht die Klausel der Meistbegünstigung, welche im englisch-französischen Handelsvertrag vom zur
Geltung kam und von da in den meisten Handelsverträgen
, insbesondere auch im Frankfurter Friedensvertrag von 1871, aufgenommen
wurde. Durch diese Klausel sichert man sich dagegen, daß man nicht ungünstiger behandelt wird als ein andres Land. Alle einem
dritten Land gemachten weitern Zugeständnisse kommen auch dem den Vertrag schließenden Teil zu gute.
Die Verkehrsentwickelung der neuern Zeit führte zum Abschluß einer großen Zahl von Handelsverträgen.
Da durch dieselben
im wesentlichen Zollermäßigungen angebahnt wurden und diese auf Grund obiger Klausel auch andern Nationen zugestanden werden
mußten, so haben die neuern Handelsverträge
vorzüglich der Handelsfreiheit Vorschub geleistet. In einigen Staaten hatten
sie die Existenz mehrerer Zolltarife nebeneinander zur Folge. So hatte Frankreich neben seinem allgemeinen oder Generaltarif noch
besondere mit einzelnen vereinbarte Konventionaltarife, während in Deutschland
[* 12] alle vertragsmäßigen Zugeständnisse einfach
in den allgemeinen Tarif aufgenommen worden waren.
Die Dauer der Handelsverträge
wird gewöhnlich auf kürzere Zeit (je nach Lage der Dinge selbst nur auf einige Monate),
jedoch mit der Maßgabe festgesetzt, daß dieselben weiterhin für die gleiche Zeitdauer gültig bleiben sollen, wenn nicht
binnen bestimmter Frist eine Kündigung von einer der beiden Parteien erfolgte. In den konstitutionellen Staaten bedarf der Abschluß
der Handelsverträge
der Mitwirkung der Volksvertretung, dagegen hatte Napoleon III. sich das Recht zur selbständigen
Abschließung von Handelsverträgen
vorbehalten.
Aus dem oben genannten Grund stehen die Handelsverträge
mit ihren gebundenen Zollsätzen und der Klausel der Meistbegünstigung mit den Forderungen
des Protektionssystems nicht im Einklang. Letzteres muß vielmehr einen autonomen Tarif verlangen, d. h. einen solchen, dessen
Zollsätze ausschließlich mit Rücksicht auf die Bedürfnisse des eignen Landes bemessen sind. Der Aufstellung
autonomer Tarife war der Umstand günstig, daß Ende der 70er Jahre nicht allein die wichtigern Handelsverträge
abliefen,
sondern gleichzeitig auch in den meisten Staaten schutzzöllnerische Bestrebungen die Oberhand erlangten. Zu gunsten der deutschen
Zollreform von 1879 wurde insbesondere geltend gemacht, daß die gültigen Zollsätze keinen Anhalt
[* 13] böten,
bei andern Ländern Zugeständnisse durch Zugeständnisse zu erringen. Erst nach erfolgter Revision des Tarifs sollten Verhandlungen
über den Abschluß neuer Handelsverträge
eröffnet werden.
Vgl. Schraut, System der und der Meistbegünstigung (Leipz. 1884);
v. Aufseß, Die Zölle und Steuern sowie die vertragsmäßigen auswärtigen Handelsbeziehungen des Deutschen Reichs (3. Aufl., Münch. 1886), und das amtliche »Deutsche [* 14] Handelsarchiv«, welches regelmäßig über die Bewegung auf dem Gebiet der Handelsverträge berichtet.