Handarbeit
sunterricht,
auch als
Arbeitsunterricht oder
Handarbeit in Schulen bezeichnet, ein Unterricht, der die Aneignung
gewisser gewerblicher Fertigkeiten und die Erziehung durch
Handarbeit zu erreichen sucht. Verschiedene
Bestrebungen in dieser
Richtung traten schon im 18. Jahrh. auf. Locke und
Rousseau verlangen, daß ihr
Zögling ein Handwerk
lerne.
Pestalozzi, Salzmann und die Philanthropen führten Handwerksübungen in ihren Anstalten ein, ebenso
A. Handarbeit
sunterricht Francke in
Halle
[* 3] und Hecker in
Berlin.
[* 4]
In den von Wehrli in der Schweiz [* 5] 1804 gegründeten Wehrli-Schulen sollen verwahrloste und arme Kinder durch derartige Arbeiten sowie durch Beschäftigung in Land- und Gartenwirtschaft erzogen werden. Ähnlich ist es im Rauhen Hause (s. d.) bei Hamburg. [* 6] In Berlin wurde 1793 eine Erwerbsschule für arme Mädchen gegründet. Im Elsaß, in Belgien, [* 7] im sächs. Erzgebirge und Vogtlande und besonders in Württemberg [* 8] bestehen schon lange derartige Anstalten, die zum Teil mit den Volksschulen verbunden sind und durch Übung in Fertigkeiten arme Kinder vor Bettel, Müßiggang und Verwahrlosung bewahren sollen.
Stricken, Nähen, Spinnen, [* 9] Spitzenklöppeln, Häkeln, Flicken, Stroharbeiten, Verfertigung von Schachteln, Quirlen, Löffeln u. s. w. sind die wichtigsten Beschäftigungen der Kinder. Für Mädchen hat in neuester Zeit der schulmäßige Unterricht in den weiblichen Handarbeiten eine immer vollkommenere Ausgestaltung erfahren. Fast überall in Deutschland [* 10] ist er in die Volks- und Fortbildungsschulen aufgenommen; auch sind an vielen Orten, wie in Wien, [* 11] München, [* 12] Augsburg, [* 13] Stuttgart, [* 14] Reutlingen, [* 15] Cassel, Leipzig, [* 16] Erfurt, [* 17] Dresden, [* 18] Berlin, Hamburg, selbständige Anstalten: weibliche Arbeitsschulen, Gewerbeschulen, Industrieschulen entstanden, in denen junge Mädchen nach dem volksschulpflichtigen Alter speciellern Unterricht in verschiedenen Zweigen weiblicher Handarbeit erhalten und dadurch erwerbsfähig gemacht werden.
Bezüglich der Knaben ist jetzt eine lebhafte Bewegung zu Gunsten des sog. ¶
mehr
Handfertigkeits-730 unterrichts im Gange. Sie ist namentlich durch den dän. Rittmeister a.D. Clauson-Kaas hervorgerufen worden,
der durch Gründung der sog. Hausfleißvereine in Dänemark,
[* 20] der allgemeinen dän. Hausfleißgesellschaft (1873),
durch Reisevorträge in verschiedenen Ländern Europas, durch Einrichtung von sechswöchigen Kursen zur Ausbildung von Lehrkräften
für Handfertigkeitsunterricht, durch Ausstellung von Musterarbeiten u.s.w. auch in Deutschland sehr anregend
gewirkt hat. Er lehrt und läßt üben: Buchbinder-und Papparbeit, Tischlerei, Holzschnitzerei, Laubsägearbeit, Korb- und
Stroharbeit, Strohflechterei und Bürstenbinderei. In Schweden
[* 21] wurde der Handarbeit
sunterricht von Anfang an durch die Regierung gefördert.
Er wurde in den Plan mehrerer Lehrerseminare aufgenommen und an verschiedenen Orten, z.B. in Landskrona
und Swedenborg, mit dem Volksschulunterricht verbunden. In Nääs bei Göteborg
[* 22] hat der Fabrikant Abrahamson ein eigenes
Seminar errichtet, worin auch Ausländer Aufnahme finden. In Deutschland ist die Sache in mehrern Städten (Berlin, Leipzig, Dresden,
Görlitz,
[* 23] Osnabrück,
[* 24] Waldenburg
[* 25] in Schlesien
[* 26] u.s.w.) von gemeinnützigen Vereinen in die Hand
[* 27] genommen worden, und 1881 wurde
ein Centralkomitee, 1886 aber ein «Deutscher Verein für Knabenhandarbeit» gegründet (Vorsitzender z.Zt. von Schenckendorff),
der seitdem in alljährlichen Versammlungen in verschiedenen Orten (1889 in Hamburg, 1890 in Straßburg,
[* 28] 1892 in Frankfurt
[* 29] a.M.)
wichtige den Handarbeit
sunterricht für Knaben betreffende Fragen eingehend erörtert.
Seit dem besteht in Leipzig ein unter Leitung des Direktors Dr. Götze stehendes, von der sächs.
Regierung und der Stadt Leipzig unterstütztes Seminar, worin während der Sommermonate Lehrer für Knaben-Handarbeitsunterricht
ausgebildet werden; 1889 sind die verschiedenen Unterrichtskurse von 127 Teilnehmern benutzt worden, 1893 kamen 150 Schulmänner
in das deutsche Handfertigkeitsseminar. 1880 wurde von Preußen
[* 30] eine Kommission zur Prüfung der Erfolge
und der Methode des Handarbeitsunterricht
für Knaben nach Dänemark und Schweden gesendet; doch beschränkt sich der Staat jetzt auf die Unterstützung
der Vereinsthätigkeit, die zunächst wohl zu immer größerer Klarheit in Bezug auf die Methode des Unterrichts und die auszuführenden
Arbeiten führen und für Ausbildung von Lehrkräften sorgen muß.
Auch in andern Ländern, besonders in den russ. Ostseeländern, Österreich-Ungarn,
[* 31] der Schweiz, Belgien, Holland, England, Norwegen,
Bulgarien,
[* 32] Italien,
[* 33] Nordamerika
[* 34] und Frankreich, hat der Handarbeitsunterricht
für Knaben bedeutende Erfolge aufzuweisen. –
Vgl. Krause, Geschichte des Unterrichts in den weiblichen Handarbeiten (in Kehrs «Geschichte der Methodik», 2. Aufl., Bd. 4, Gotha [* 35] 1889);
«Blätter für Knabenhandarbeit», hg. von Dr. Götze (Leipzig), die in Nr. 5 vom Juli 1888 eine Übersicht über die Litteratur der Knabenhandarbeit geben; Urban, Der Hausfleiß in Dänemark (Oppeln [* 36] 1881);
Protokolle der Kongresse für erziehliche Knabenhandarbeit (1882 fg.);
Rißmann, Geschichte des Arbeitsunterrichts in Deutschland (Gotha 1882);
Glan, Der deutsche Handfertigkeitsunterricht in Theorie und Praxis (Weim. 1883);
Rauscher, Der Handfertigkeitsunterricht, seine Theorie und Praxis (3 Tle., Wien 1885–88);
Sonntag, Bericht über den Stand und die Ausbreitung des Arbeitsunterrichts in Deutschland (Lpz. 1889);
Götze, Aus der Lehrerbildungsanstalt des Deutschen Vereins für Knabenhandarbeit.
Bericht über ihre Thätigkeit 1889 (ebd. 1890);
Hillardt-Stenzinger, Methodik des Handarbeitsunterricht
(Wien 1892);
Kalb, Der erste Unterricht in der Knabenhandarbeit (Gera [* 37] 1893);
Götze, Katechismus des Knabenhand
arbeitsunterrichts (Lpz. 1893).