Haberfeldt
reiben,
eine Art Volksjustiz, welche in
Oberbayern, namentlich in der Gegend von
Tegernsee,
Miesbach und
Rosenheim, an solchen
Personen ausgeübt wird, deren
Vergehen und
Laster dem
Arm der
Rechtspflege unerreichbar sind.
Der
Name Haberfeldt
reiben soll nach einigen daher rühren, daß Feldmarkfrevler und
Wucherer ehemals mit Verheerung ihrer
Felder bestraft,
nach andern aber daher, daß gefallene Mädchen früher von den
Burschen des
Dorfs unter Geißelhieben
durch ein Haberfeld getrieben worden
seien.
Noch andre wollen darin Reste der einst von
Karl d. Gr. in den
Grafschaften eingesetzten Rügengerichte sehen, und wieder andre
geben endlich an, der
Gebrauch sei zuerst in der dem
Kloster
Scheyern gehörigen
Hofmark Fischbachau aufgekommen
als wirksamer
Schutz gegen die mehr und mehr einreißende Unsittlichkeit.
Sicher ist, daß das Haberfeldt
reiben besonders seit dem Dreißigjährigen
Krieg in
Aufnahme gekommen und in der alten
Grafschaft Hohen-Waldegg zuerst und zumeist in Ausübung gebracht worden ist.
Zuletzt war der Bezirk, in welchem es vorkommt, ein scharf abgegrenzter, nämlich das Land zwischen der Mangfall, der Isar und dem Inn. Es ruht aber über dem Wesen der dazu bestehenden Verbindung ein noch unenthülltes Geheimnis. Es soll im Gebirge zwölf Haberfeldmeister gegeben haben, vielleicht auch noch geben, von denen aber jeder nur die in seinem Bezirk ansässigen Mitglieder des Bundes kennt, die er von einem beschlossenen Trieb insgeheim in Kenntnis setzt. Anwendung fand diese Volksjustiz in den mannigfaltigsten Fällen, namentlich bei Geiz, Wucher, Betrug sowie überhaupt bei jeder Niederträchtigkeit, welche vor dem Gesetz straflos ist, und dabei wurden die Reichen und Angesehenen und das Laster im Kirchenrock mit Vorliebe als Opfer ausersehen.
Das Verfahren war im wesentlichen folgendes. Wenn das mißliebige Individuum trotz wiederholter mündlicher und brieflicher Verwarnungen keine Besserung gezeigt hatte, sammelten sich plötzlich, gewöhnlich in einer recht dunkeln Nacht, um das Gehöft des Missethäters hundert und mehr vermummte, geschwärzte, selbst bewaffnete Personen, umschlossen das Haus und riefen den Schuldigen ans Fenster oder unter die Thür, die er aber bei Leibes- und Lebensstrafe nicht überschreiten durfte.
Darauf wurden »im Namen Kaiser Karls d. Gr. im Untersberg« die Treiber verlesen, und zwar unter fingierten Namen und Würden, wie: Herr Landrichter von Tegernsee, Herr Pfarrer von Gmund etc., und antworteten mit einem lauten »Hier«. Fehlte ein einziger der Verlesenen, so ging der Haufe unverrichteter Sache wieder auseinander. Waren aber alle zugegen, so trat einer der Meister in die Mitte des Vierecks und verlas ein in Knittelreimen abgefaßtes Register der Sünden des Delinquenten, wobei nach jeder Strophe die ganze Schar ein von der schrecklichsten Katzenmusik begleitetes Geheul und Gelächter anstimmte.
War die Vorlesung zu Ende, so erloschen die
Laternen, und die
Schar verschwand auf einen Pfiff des Anführers ebenso schnell
wieder, wie sie erschienen war. Gewöhnlich sollen die Haberfeldt
reiber aus einer dem
Ort ihrer Thätigkeit entferntern Gegend
gewählt worden sein, um etwanigen Erkennungen vorzubeugen. Dem Schuldigen ward, außer daß er die Vorlesung
mit anhören mußte, kein weiteres
Leid angethan. Der
Gebrauch ist trotz des energischen Einschreitens der Behörde noch nicht
völlig beseitigt.
Noch 1883 kamen Haberfeldt
reiben vor.