Haarwürmer
,
Nematoden (Nematodes), eine äußerlich vielgestaltige Ordnung von Rundwürmern, deren Inneres aber einheitlich organisiert ist. An dem oft außerordentlich verlängerten oder fadenartig dünnen Leibe ist ein besonderer Kopfabschnitt nicht vorhanden; die Körperbedeckung bildet eine sehr widerstandsfähige, glatte, nicht selten auch feingeringelte und dann beträchtlich verdickte Cuticula, die mit Ausnahme einiger Papillen und Warzen am Kopf- oder Schwänzende keine Anhänge zeigt.
Bei den größern Formen der Haarwürmer
kann man äußerlich mit bloßem
Auge
[* 2] vier Längslinien unterscheiden, zwei stärkere seitliche
(Seitenlinien) und zwei schwächere mediane (Rücken- und Bauchlinie). Unter ihr liegt die charakteristisch gestaltete Muskulatur,
die aber, lebhaftere Schlängelungen bei den kleinern
Arten ausgenommen, den
Tieren eine größere
Bewegung kaum gestattet;
eine blutführende Leibeshöhle birgt allgemein die innern Organe. Der am vordern Körperpol gelegene Mund führt in einen
geradlinig verlaufenden
Darm,
[* 3] der aus zwei
Abschnitten, einer muskulösen
Speiseröhre und einem zelligen Magendarm, besteht
und meist etwas
vor der Schwanzspitze nach außen mündet.
Ein Nervensystem ist besonders bei größern Arten in Gestalt eines schmalen um die Speiseröhre gelegenen Faserringes nachweisbar; das Exkretionsgefäßsystem bilden zwei blind geschlossene, unter den Seitenlinien hinziehende Kanäle, die sich vor dem Kopf vereinigen und nach außen münden (Porus excretorius). Die Geschlechter sind getrennt, Männchen und Weibchen schon äußerlich unterscheidbar, indem die erstern bei oft bedeutend geringerer Körpergröße meist ein spiralig eingerolltes Schwanzende besitzen, während des Weibchens Hinterleib schlank endet.
Die Geschlechtsdrüsen sind einfache (Männchen) oder dicht hinter der Mündung gegabelte (Weibchen), vielfach aufgerollte
und gewundene Schläuche, die mitunter das 10–20fache der Körperlänge erreichen und in ihrem untern
Ende Sammelort für die gebildeten Geschlechtsstoffe sind. Die Männchen tragen an der Geschlechtsöffnung vielfach einen
oder zwei feine Chitinstäbe
(Spicula), die als Hilfsorgane bei der
Begattung dienen. Die Haarwürmer
sind teils eierlegend, teils lebendig
gebärend und zeigen teilweise eine außerordentliche
Fruchtbarkeit: ein Weibchen des gemeinen Spulwurms
birgt in seinen Geschlechtsorganen rund 64 Mill.
Eier,
[* 4] und das Gewicht derjenigen, die innerhalb eines einzigen Jahres erzeugt
und abgelegt werden, beträgt etwa das 1740fache
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von dem Gewicht des ganzen Wurmes. Die Haarwürmer
leben meist parasitisch; doch giebt es eine Anzahl von Formen, die, indem sie einen
Abschnitt ihres Lebens im Freien zubringen, allmählich zu den vollkommen freilebenden Arten hinüberführen. Die Entwicklung
ist eine verschiedene, aber immer mit einem Wirtwechsel verbunden.
Unter den Haarwürmer
unterscheidet man eine Anzahl wohl charakterisierter Familien, von denen
fast alle Vertreter zu den Parasiten des Menschen stellen. Von den gedrungen gebauten und in der Umgebung des Mundes mit drei
Lippen ausgestatteten Askariden gehört der gemeine Spulwurm (Ascaris lumbricoides L., das Weibchen bei einer Dicke von 4-5
mm 20-30 cm lang, das mit zwei Spiculis ausgestattete Männchen [s. Tafel: Würmer,
[* 6] Fig. 10] 10-20 cm) zu
den häufigsten und gewöhnlichsten Parasiten der Kinder.
Die Würmer verursachen, wenn nur wenige vorhanden sind, kaum große Beschwerden, werden jedoch, wenn sie sich zu größern Knäueln zusammenballen und das Darmlumen vollständig verstopfen, wie das gar nicht selten vorkommt, oder wenn sie durch die Darmwände in die Leibeshöhle durchbrechen, zu lebensgefährlichen Gästen. Bei manchen Krankheiten (Typhus u. s. w.) sowie nach dem Tode ihres Trägers wandern sie selbständig aus; über ihre Abtreibung s. Wurmkrankheiten. Auch der Madenwurm oder Pfriemenschwanz (Oxyuris vermicularis L.) mit flügelartiger Verbreiterung der Cuticula am Kopfe und (beim Weibchen) lang pfriemenförmigem Schwanze [* 5] (Fig. 9 u. 11) gehört hierher und ist wohl der gemeinste und häufigste Parasit des Menschen in jedem Lebensalter.
Gefährlich ist er nicht, wohl aber oft ganz unerträglich durch das Jucken, das die zumal nachts zufolge der Bettwärme aus dem After hervorwandernden, legreifen Weibchen verursachen. Die Entwicklung der Askariden erfolgt, soweit man bis jetzt weiß, sofort (Oxyuris, bei dem die abgelegten Eier bereits einen fast fertigen Embryo enthalten) oder nach vorhergehendem längern Aufenthalt im Freien bei feuchter Wärme [* 7] (Ascaris, der seine Embryonalentwicklung erst nach der Eiablage beginnt), sobald sie in den Darm eines neuen Trägers übergeführt werden.
Bekannte Askariden sind Ascaris megalocephala Cloquet, häufig im Darme der Pferde, [* 8] Ascaris mystax Rud., ein fast nie fehlender Schmarotzer der Hunde [* 9] und Katzen, [* 10] Füchse u. s. w. Bei den Strongyliden (z. B. Strongylus paradoxus Mehlis aus den Luftröhren und Lungen der Schweine, [* 11] s. Lungenwürmer) zeigt das Hinterleibsende des Männchens eine eigentümliche, um die daselbst gelegene Geschlechtsöffnung herumziehende und durch einzelne festere Strahlen wie ein Regenschirm gestützte Membran (Bursa).
Mit Strongylus nahe verwandt ist der 6-18 mm lange und ½-1 mm dicke Palissadenwurm (Dochmius [s. d.], auch Anchylostomum duodenale genannt). Zu den Trichotracheliden, die einen langen, haarartig dünnen und einen semmelreibenartig angeordneten Zellenstrang enthaltenden Vorderkörper haben, gehört außer der Trichine [* 12] (s. d.) besonders der Peitschenwurm (Trichocephalus dispar Rud., [* 5] Fig. 17), der mit seinem 20-30 mm langen Vorderende oft in großer Zahl in der Blinddarm- und Dickdarmschleimhaut des Menschen eingegraben steckt und nur mit dem 10-20 mm langen, beim Männchen ganz spiralig gerollten Hinterende frei hervorsteht.
Die Eier besitzen an den Polen knopfartige Anschwellungen und bringen ziemlich lange Zeit im Freien in feuchter Umgebung zu; die weitere Entwicklung erfolgt nach der Übertragung, ohne Zwischenwirt. Von der verwandten Gattung Trichosomum ist das in der Harnblase der Ratten lebende Trichosomum crassicauda Bellingh. dadurch interessant, daß das kleine haarförmige Männchen, oft zu mehrern, als Parasit in den Geschlechtsorganen des größern Weibchens lebt. Unter den mit fadenartig verlängertem Körper versehenen Filariiden (Filariidae) oder Fadenwürmern ist besonders der in den Tropen der Alten Welt heimische Guinea- oder Medinawurm (Filaria [Dracunculus] medinensis L.) dem Menschen gefährlich.
Dieser, von der Dicke einer Violinsaite, erreicht über Meterlänge und lebt im Unterhautzellgewebe des Menschen; eine Geschlechtsöffnung fehlt ihm. Zur Zeit der Reife erzeugt der Wurm ein Geschwür, mit dessen Inhalt auch die lebendig geborenen, wahrscheinlich durch Platzen der Mutter frei werdenden Jungen nach außen gelangen; im Wasser bohren sich diese in kleine Wassertiere (Cyclopiden) ein und gelangen, wahrscheinlich innerhalb dieser, mit dem Trinkwasser wieder in den Menschen.
Das Männchen des Wurms ist noch gar nicht bekannt. Durch vorsichtiges Aufrollen auf ein Hölzchen kann man den Parasiten entfernen; ein Zerreißen soll bösartige Entzündungen hervorrufen. Im Blute des Menschen findet man ebenfalls in den Tropen (Indien, China, [* 13] Westafrika, Bahia) [* 14] in oft riesiger Zahl die Embryonen einer Filarie (Filaria Bancrofti Lewis, Filaria sanguinis hominis Cobb.), die innerhalb der Nieren wahrscheinlich in die Harnwege übertreten und gefährliche Krankheiten verursachen.
Dieselben erlangen eine Größe von 0,85 bis 1 mm, eine Breite [* 15] von 0,006 mm. Zwischenwirte sind nach Manson die Moskitos, die mit dem menschlichen Blute die Embryonen aufnehmen und in ihrem Darm zu geschlechtsreifen Individuen heranwachsen lassen. Nach dem Tode des Moskitos gelangen sie wieder in das Wasser, mit diesem beim Trinken in den menschlichen Körper, wo sie sich fortpflanzen. Sie sind die Ursache der tropischen Chylurie (s. d.), nach manchen Forschern auch der eigentümlichen Schlafsucht der Neger.
Die nahe verwandten Mermithiden und Gordiiden (Gordiidae) mit gleichfalls lang fadenförmigem Leibe entbehren im ausgebildeten Zustande des Afters oder überhaupt eines funktionsfähigen Darmes (Gordius). Sie leben nur in der Jugend parasitisch in Wasser- und andern niedern Tieren, später wandern sie aus, um nach erlangter Geschlechtsreife im Wasser ihre Eier abzulegen; die daraus hervorkommenden Jungen suchen sich alsbald einen neuen Wirt. Bekannt ist Mermis nigrescens Duhard., die durch ihr gleichzeitiges, oft massenhaftes Erscheinen im Freien wahrscheinlich zu der Sage vom Wurmregen Anlaß gegeben hat; ferner Gordius aquaticus Gmelin, das sog. Wasserkalb, und Sphaerularia bombi L. Duf [* 5] (Fig. 14), deren Weibchen nach der im Freien erfolgten Begattung als kleines schlankes Würmchen im Herbste in die überwinternden Hummelweibchen eindringt und während des Winters in deren Leibeshöhle ihren gesamten Geschlechtsapparat aus ihrem Körper hervorzustülpen beginnt. Dieser allein wächst dann weiter und erreicht schließlich bei einer Dicke von 1 mm eine Länge von 15 mm, während der eigentliche Wurm ihm als kleines, kaum sichtbares Fädchen anhängen bleibt; ¶
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das einzelne, selbständig gewordene Organ übertrifft den ursprünglichen Tierkörper an Masse jetzt um das 10-20000fache! Die winzigen Anguilluliden oder Älchen (Aaltierchen, Anguillulae) leben teils frei in feuchter Erde oder faulenden Stoffen, teils parasitisch in Pflanzen und Tieren; doch bringen alle einen Teil ihres Lebens im Freien zu. Zu den ganz freilebenden Arten gehört das in alter Essigmutter und in gärendem Kleister oft in großer Zahl vorkommende Essig- oder Kleisterälchen (Anguillula aceta = A. glutinis Ehrenbg.).
Das Genus Tylenchus besitzt einige, durch ihren Parasitismus an Pflanzen oft schädlich werdende Angehörige, z. B. das Weizen- oder Getreideälchen (Tylenchus tritici Bast.), [* 17] das seine Jugend in eigentümlich entarteten Weizenkörnern, den sog. Gichtkörnern, verbringt und in diesen lange Jahre vollkommen ausgetrocknet verharren kann. Werden solche Gichtkörner wieder ausgesät, dann erwachen durch die Feuchtigkeit des Bodens auch die Älchen aus ihrem Schlafe (Trockenstarre), verlassen ihre Wohnstätte, um sich in benachbarte, gesunde Weizenstengel einzubohren und hier eine aufs neue in die sich bildenden Körner hineinwandernde Brut zu erzeugen.
Durch seine schnelle Vermehrung sehr gefährlich ist auch der den Älchen nahe verwandte Rübenwurm oder der Rübennematode (Heterodera Schachtii Schmidt, [* 16] Fig. 16), der die sog. Rübenmüdigkeit erzeugt (s. Rübennematode). Wegen seiner Entwicklung durch Heterogenie (s. d.) erwähnenswert ist das in den Lungen des Frosches lebende Rhabdonema nigrovenosum Lt. Die Jungen dieses nur im weiblichen Geschlecht dort schmarotzenden Wurmes schlüpfen im Darme ihres Wirts aus und gelangen mit den Exkrementen nach außen.
In der feuchten Erde entwickelt sich die Brut zu kleinen, getrenntgeschlechtigen Würmchen (dem durch eine zweite, zähnchentragende
Anschwellung des Ösophagus charakterisierten Genus Rhabditis zugehörig), die sich alsbald begatten
und eine neue Nachkommenschaft erzeugen; diese aber muß, wenn sie sich weiter entwickeln soll, wiederum in den Frosch
[* 18] zurückwandern.
Zunächst entstehen männliche Würmer; auf einmal aber beginnt der Hoden dieser Männchen Eier zu bilden und diese werden mit
dem in des Wurms erster Lebenszeit erzeugten und aufgespeicherten Sperma befruchtet. So wechselt hier eine
parasitische Generation mit einer freilebenden regelmäßig ab. Auf dieselbe Weise entwickelt sich ein nahe mit dem Rhabditis
nigrovenosum Lt. verwandter Wurm, der neuerdings als Ursache der sog. Cochinchinakrankheit (Diarrhöe und Dysenterie) des Menschen
erkannt worden ist, die Anguillula intestinalis Grassi, deren freilebende Generation schon früher als
Rhabditis stercoralis Bavay beschrieben wurde. - Als hauptsächlichstes Werk über Haarwürmer
ist außer Schneiders «Monographie
der Nematoden» (Berl. 1866) u. a. vor allem zu erwähnen:
Leuckart, «Die Parasiten des Menschen», Bd. 2 (Lpz. 1876).