Titel
Haare
[* 3] (Pili), in der
Haut
[* 4] wurzelnde fadenförmige Gebilde, die bei sehr vielen
Tieren vorkommen,
ganz allgemein jedoch nur bei den
Säugetieren vertreten sind. Sie sind entweder einzellig (bei vielen
Gliederfüßlern) oder
mehrzellig; im erstern
Fall verlängert sich eine der gewöhnlichen Hautzellen direkt in einen Fortsatz, das
Haar, im zweiten
dagegen wachsen die
Zellen selbst, ohne ihre Form wesentlich zu ändern, über das
Niveau der
Haut hervor.
Manche Haare
sind wie die
Federn mit seitlichen
Strahlen besetzt (Fiederhaare
), andre sind durch besondere
Bildungen zur Leitung
des
Schalles (Hörhaare
) oder zur
Übertragung einer Berührung auf die
Nerven
[* 5] (Tasthaare
) befähigt.
Die Haare
der
Säugetiere (und die haarähnlichen
Bildungen in den übrigen Wirbeltierklassen) bestehen mit
Ausnahme ihrer
Papillen (s. unten) völlig aus Epithelzellen (s.
Haut), die aber in verschiedenem
Maß abgeplattet und verhornt
sind, so daß sich drei
Schichten unterscheiden lassen: Oberhäutchen
[* 1]
(Fig. 1 o),
Rinde (r) und
Mark (m);
doch können auch
diese zum Teil fehlen (z. B. die Marksubstanz in den feinen Wollhaaren
).
Der über die
Haut frei hervorragende Teil des
Haars
(Schaft) und der darin verborgene
(Wurzel)
[* 6] verhalten sich hierin ganz gleich,
doch ist letztere, da sie allseitig von
Haut umgeben wird, weich. Ihr unteres, kolbig angeschwollenes Ende
(Haarzwiebel oder
Haarknopf,
[* 1]
Fig. 2 Hz) besteht aus weichen, rundlichen
Zellen, ähnlich denen der sogen.
Schleimschicht
der
Oberhaut. Wie ein
Fingerhut dem
Finger, so sitzt die
Zwiebel der
Papille
[* 1]
(Fig. 2 P) auf, welche zur
Lederhaut gehört und gleich
den andern
Papillen derselben reich mit
Blutgefäßen und
Nerven versorgt ist. An ihrer Oberfläche ist die eigentliche Bildungsstätte
des
Haars, denn hier entstehen fortwährend neue
Zellen, welche die auf ihnen lagernden allmählich aus der Hauteinsenkung
herausschieben. (Somit ist der älteste Teil des
Haars seine
Spitze.)
Letztere nennt man auch Haarbalg
[* 1]
(Fig. 2
Hb); er ist nur
Einstülpung der
Haut und wird daher gleich dieser von der
Oberhaut überzogen. Seitlich vom
Haar liegt
eine
Talgdrüse
[* 1]
(Fig. 2
T; s.
Haut), welche ihre
Absonderung an das
Haar gelangen läßt; ferner setzt sich an jeden Haarbalg
ein aus glatten
Fasern bestehender
Muskel
(M) an, der sowohl die Entleerung der
Drüse bewirkt, als auch den schräg liegenden
Haarbalg gerade richtet und gegen die
Oberhaut andrückt, so daß diese in Form eines kleinen, runden
Walles um die Austrittsstelle der Haare
hervortritt und die sogen.
Gänsehaut bildet.
Beim
Menschen sind die Haare
fast über den ganzen
Körper verbreitet. Nur die Innenfläche der
Hand
[* 7] und die Fußsohle, die vordern
Finger- und Zehenglieder und die
Lippen sind ohne Haare.
Man rechnet im
Durchschnitt beim Mann auf 1 qcm
Haut
des
Scheitels 171, des
Kinnes 23, der Vorderfläche des Oberarms 8 Haare;
ihre Gesamtzahl auf dem
Kopf mag 80,000, auf dem übrigen
Körper noch 20,000 betragen, das
Gewicht des Kopfhaars bei
Frauen 250 g und mehr. Auf gleich großen
Flächen
der Kopfhaut stehen die schwarzen Haare
weniger dicht als die braunen und noch weniger dicht als die blonden
(Verhältnis 86:95:107).
An den einzelnen Körperstellen haben die eine bestimmte
Richtung.
Die
Entwickelung der Haare
beginnt beim
Menschen bereits am Ende des dritten
Monats des Fötallebens. Zuerst entsteht
eine Einsenkung der
Lederhaut, welche aber von der hier stärker wachsenden
Oberhaut gänzlich ausgefüllt wird. In diesen
nach der Innenseite des
Körpers zu gerichteten
Zapfen
[* 8] wächst dann von der
Lederhaut aufwärts eine keulenförmige
Papille hinein,
auf deren Oberfläche die
Zellen der
Oberhaut bei lebhaftem Wachstum sich zum
Haar gruppieren. Das junge
Haar durchsetzt darauf in 4-5
Wochen den ganzen
Zapfen und erscheint mit der
Spitze auf der Oberfläche der
Haut. Zuerst ent-
[* 1] ^[Abb.: Fig. 1. Durchschnitt des Haars, stark vergrößert. o Oberhäutchen, r Rinde, m Mark.]
[* 1] ^[Abb.: Fig. 2. Kopfhaut des Menschen. Ep Epidermis, [* 9] C (Lederhaut) Cutis, Ul Längs-, Uq Querzüge des Bindegewebes in ihr, H Haar, Hb Haarbalg, Hz Haarzwiebel, P Haarpapille, M Haarmuskel, SD Schweißdrüse, T Talgdrüse, F Fettkörper.] ¶
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stehen die Haare
der Augenbrauen und die Augenwimpern, später die Kopfhaare
und zuletzt die Haare des übrigen Körpers. In der 24. Woche
des Fötallebens ragen die meisten Haare
schon über die Hautoberfläche hervor; es sind aber noch die sogen.
Wollhaare mit kurzen Haarbälgen. An vielen Hautstellen bleiben sie für immer fortbestehen, an andern
dagegen entwickeln sich statt ihrer dickere Haare von einer neuen, tiefer gelegenen Papille aus; hierauf bildet sich die Papille
des Wollhaars zurück, und dieses fällt aus.
Dieser Haarwechsel erfolgt während der Kindheit wahrscheinlich mehrere Male. Auch später fallen die Haare, sowie sie ihre Länge erreicht haben, aus und werden durch andre, welche neben ihnen aus einer Abzweigung der Papille hervorsprießen, ersetzt. Bei vielen Tieren ist dieser Haarwechsel periodisch, beim Menschen geschieht er unmerklich. Täglich fallen von den Haaren des Kopfes im Mittel 38-103 aus; das tägliche Wachstum beträgt, einerlei ob die Haare geschnitten werden oder nicht, 0,2-0,3 mm. Die Barthaare werden in ihrem Wachstum dagegen durch das Rasieren gestärkt.
Die Lebensdauer der Kopfhaare beträgt 2-4 Jahre, der Augenwimpern nur 100-150 Tage. Haare, die mit ihrer Wurzel ausgerissen und in einen Hautschnitt eingefügt worden sind, wachsen bisweilen fort und gedeihen auf ihrem neuen Wohnsitz. Ausgedehnte Zerstörungen der Lederhaut behaarter Stellen führen immer zu haarlosen Narben; anderseits bilden sich auf Narben an sonst schwach behaarten Stellen, z. B. am Oberarm, bisweilen lange Haare von der Stärke [* 11] des Barthaars. - Die Kräuselung des Haars hängt nicht von der Dicke desselben, sondern von der Form seines Querschnitts ab und ist um so stärker, je mehr dieser von der Kreisform abweicht. - Die Farbe der Haare ist sehr verschieden und verändert sich auch während des Wachstums fortwährend; namentlich werden hellblonde Haare mit zunehmendem Alter immer dunkler.
Zur Hervorbringung der Farbe dienen zwei Faktoren: Farbstoff und Luft. Ersterer, bräunlich bis braunschwarz, findet sich spärlich oder reichlich in der Rinde vor, die Luft hingegen hauptsächlich im Mark in und zwischen den Zellen desselben, und zwar sind helle Haare reicher an kleinen lufthaltigen Räumen als dunkle. Durch die schwach gefärbte Rinde heller Haare schimmert bei auffallendem Lichte die Luft des Marks silberweiß hindurch, während ihre Wirkung durch die starke Färbung dunkler Haare aufgehoben wird.
Bei den sogen. grauen oder weißen Haaren enthält auch die Rinde zahlreiche Lufträume. Für das Ergrauen der Haare gibt es zwei Ursachen: entweder es bildet sich kein Farbstoff mehr, oder die Menge der Lufträume nimmt zu.
Letzteres findet namentlich bei dem plötzlichen Ergrauen statt, dessen eigentümliche Gründe man indessen nicht kennt;
ersteres beim Ergrauen der Haare im Alter oder beim jährlichen Haarwechsel derjenigen Säugetiere, welche ein weißes Winterkleid tragen.
Die Haare besitzen eine große Festigkeit. [* 12] Ein menschliches Kopfhaar zerreißt durchschnittlich erst bei einer Belastung mit 180 g. Sie sind ferner stark hygroskopisch, und der Saussuresche Feuchtigkeitsmesser ist im wesentlichen ein entfettetes Haar, welches sich in feuchter Luft ausdehnt, in trockner zusammenzieht. Trockne Haare werden durch Reiben elektrisch und können selbst Funken sprühen, wie dies von den Haaren der Katzen [* 13] bekannt genug ist. Als schlechte Wärmeleiter schützen die Haare die mit ihnen bedeckten Körperteile vor der Kälte.
Die Haare haben eine nicht geringe physiognomische Bedeutung, und aus der Behaarung des Kopfes schließt man wohl auf die Körperkraft des Individuums, indessen nicht immer mit Recht.
Vgl. Erdl, Vergleichende Darstellung des innern Baues der Haare (Münch. 1841);
Reißner, Beiträge zur Kenntnis der Haare des Menschen und der Säuger (Bresl. 1854);
Pfaff, Das menschliche Haar in seiner physiologischen etc. Bedeutung (2. Aufl., Leipz. 1869);
Waldeyer, Atlas [* 14] der menschlichen und tierischen Haare (Lahr [* 15] 1884).
Haarpflege.
Die Pflege des Haars zur Erhaltung und Verschönerung desselben sollte sich auf möglichst wenige Maßregeln beschränken. Man weiß thatsächlich sehr wenig darüber, was den Haaren heilsam ist und was ihnen schadet, und man hat diese Unwissenheit mit einer Unzahl von Vorschriften zudecken wollen. Die Hauptsache scheint zu sein, die Haare nicht übermäßig zu mißhandeln durch festes Binden, Flechten, [* 16] durch häufiges Brennen, Färben u. dgl. Reinlichkeit des Haars und des Haarbodens wird am besten durch Kamm und mäßig harte Haarbürsten erreicht, auch kann man ohne Nachteil das Haar mit Wasser und Seife oder Seifenspiritus waschen; nur sollte man für schnelles Trocknen desselben Sorge tragen und, falls die Haare nicht von Natur sehr fettig sind, durch Einölen nachhelfen.
Das Brennen der Haare sollte man jedenfalls nicht oft vornehmen, nur auf die Enden der Haare beschränken und die Eisen [* 17] nicht zu heiß machen (sie dürfen weißes Papier nicht gelb färben). Über den Einfluß des Schneidens der Haare auf das Leben derselben sind die Ansichten geteilt. Auch weiß man wenig oder nichts über den Einfluß der Kopfbedeckungen; jedenfalls schützen diese das Haar vor Verunreinigung und verhindern in hoher Temperatur einen übermäßigen Wasserverlust desselben. Zu warme Kopfbedeckungen (Pelzmützen oder gar wasserdichte Mützen) sind entschieden verwerflich, weil sie die Ausdünstung der Kopfhaut unterdrücken; anderseits sind Kopfbedeckungen notwendig, wenn man den Sonnenstrahlen ausgesetzt ist. Vgl. Kahlköpfigkeit.
Zum Färben der Haare sind meist bleihaltige Mittel empfohlen worden, vor deren Anwendung aber entschieden zu warnen ist. Unschädlich ist die Anwendung von frisch gepreßtem Walnußschalensaft, humussaurem Ammoniak und Pyrogallussäure, während Höllensteinlösung Vorsicht erheischt. Die reine Höllensteinlösung gibt einen unangenehmen Farbenton und die gleichzeitige Anwendung von Schwefelleber ein zu intensives Schwarz. Sehr konzentrierte Lösungen beschädigen auch das Haar.
Vorteilhaft ist dagegen die Verbindung von Höllenstein mit Pyrogallussäure (Krinochrom). Man löst 10 Teile Pyrogallussäure in 500 Teilen rektifiziertem Holzessig und 500 Teilen Alkohol, anderseits 30 Teile Höllenstein in 900 Teilen Wasser und so viel Ammoniakflüssigkeit, bis der anfänglich entstandene Niederschlag sich wieder gelöst hat. Nach dem Entfetten des Haars trägt man die erste Lösung mit einem Schwamm, dann die zweite mit einer Bürste auf, wäscht darauf mit Wasser, dann mit einer Lösung von unterschwefligsaurem Natron und spült schließlich wieder mit Wasser.
Das Mittel färbt dunkel schwarzbraun und gibt mit verdünnterer Höllensteinlösung hellere Töne. Zum Blondfärben dunklerer Haare wird jetzt eine schwache Lösung von Wasserstoffsuperoxyd (Golden hair wash, Eau de Jouvence) benutzt. Um Haare von Stellen, wo man sie nicht haben will, zu entfernen, wendet man die Enthaarungsmittel (depilatoria) an, von welchen das bekannteste das Rusma ist, welches aus Ätzkalk und Auripigment (Schwefelarsenik) besteht. Ebenso wirksam, aber ungefährlich ist frisch bereitetes Calciumsulfhydrat, welches messerrückendick auf die zu ¶
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enthaarende Stelle aufgetragen und nach einigen Minuten abgewaschen wird. Dies Mittel entfernt aber nicht die Haarwurzeln, und die Haare wachsen daher wieder nach. Ziemlich vollständig werden die Haarwurzeln durch das Psilothron entfernt, eine Harzmischung, welche mit dem Haar fest verklebt und beim Abnehmen die Wurzeln auszieht. Alle diese Mittel entfernen nur ausnahmsweise die Haare dauernd, meist wachsen sie mit immer dicker werdendem Schaft wieder. Als sicherstes und bei sachverständiger Ausführung nicht sehr schmerzhaftes Verfahren wird neuerdings die Elektrolyse [* 19] empfohlen.
Mittels sehr feiner, biegsamer Stahlnadel wird mit oder ohne vorheriges Ausziehen des Haars der Haarbalg angestochen, dann die galvanische Kette geschlossen, während die andre Schwammelektrode in der Nähe aufgesetzt ist, und so die Haarwurzel ausgebrannt und damit dauernd zerstört.
Vgl. Pinkus, Die Krankheiten der menschlichen und die Haarpflege
(2.
Aufl., Berl. 1879);
Schultz, Haut, und Nägel [* 20] (3. Aufl., Leipz. 1885).
Über Krankheiten der Haare s. Haarkrankheiten.
Geschichte der Haartrachten; technische Verwendung.
Zu allen Zeiten und bei allen Völkern wurde das Haar mit mehr oder weniger Kunst und Geschmack geordnet und gepflegt. Die Assyrer, Perser und Ägypter kräuselten Haar und Bart auf das sorgfältigste und ersetzten fehlendes auch durch Perücken. Haar und Bart wurden reich gesalbt, auch gefärbt und mit Binden, Bändern, Reifen und Schmucksachen [* 21] aus edlem und unedlem Metall geschmückt (s. Tafel »Kostüme [* 22] I«, [* 23] Fig. 2 u. 3). Bei den Hebräern wurde das Haupthaar dick und stark getragen, und ein Kahlkopf galt nicht nur als arge Beschimpfung, sondern war zum Teil auch wegen Verdachts des Aussatzes dem Volk verhaßt.
Die Männer pflegten das Haar von Zeit zu Zeit mit einem Schermesser zu stutzen, und nur Jünglingen scheint die ältere Sitte gestattet zu haben, lang herabwallendes Haar zu tragen. Bei den spätern Juden aber galt langes Haar der Männer für ein Zeichen der Weichlichkeit, und den Priestern war es untersagt, solches zu tragen. Nur zufolge eines Gelübdes ließen auch Männer bisweilen das Haar wachsen. Die Frauen dagegen legten stets einen hohen Wert auf lange und pflegten sie besonders zu kräuseln und zu flechten.
Kämme sind im Alten Testament nirgends erwähnt, während andre Völker sie kannten. Man salbte das Haupthaar mit wohlriechenden Ölen und gab demselben durch Einstreuen von Goldstaub Glanz. Die Griechen sahen im Haar den vorzüglichsten Schmuck des menschlichen Hauptes, und Homer zählt es zu den Geschenken Aphrodites. Während die Spartaner vom Mannesalter an das Haar lang trugen, weil es der wohlfeilste Schmuck sei, trugen die Athener wenigstens seit der Zeit der Perserkriege vom Mannesalter an das Haar mäßig verschnitten und künstlich in Locken gedreht, und während die Spartaner den Knaben das Haar kurz schnitten, trugen diese in Athen [* 24] und anderwärts, bis sie die Ephebenjahre (in Athen das 18. Jahr) erreichten, lang herabhängendes Haar; dann aber verschnitt man es ziemlich kurz und ließ es erst mit dem Beginn des reifern Alters wieder länger wachsen.
Sklaven durften bei den Spartanern sowohl als anderwärts die Haare nicht lang tragen. Beim Eintritt in das Ephebenalter weihte der Jüngling das ihm abgeschnittene Haar einer Gottheit, gewöhnlich dem Apollon. [* 25] Die Jungfrau schnitt sich vor der Hochzeit das Haar ab; in Sparta trugen die Bräute verschnittenes Haar. Allgemein war die Sitte, durch Vernachlässigung des Haars seine Trauer auszudrücken, indem man es entweder abschnitt, oder unordentlich herabhängen ließ.
Dies geschah bei Sterbefällen, nach verlornen Schlachten [* 26] etc., daher auch die Sitte der Alten, nach überstandener Gefahr, besonders nach einem Schiffbruch, das Haar zu scheren und dem Poseidon [* 27] zu opfern. Auf den ältesten Kunstdenkmälern erscheinen Frauen und männliche Figuren mit langen, zopfartigen Locken, die weit über die Achseln, ja über die Brust herabhängen. Spätere Kunstwerke zeigen das Haar offen, gescheitelt und hinten in einen Schopf zusammengebunden, über welchem man eine Art Haube oder Haarnetz trug.
Auch trug man weit künstlicher geordnetes Haar, und aus Aristophanes erfahren wir, daß auch eitle Männer weibische Sorgfalt auf ihren Haarschmuck verwendeten (vgl. Textfig. 1-8). Im allgemeinen gab man den blonden Haaren den Vorzug, wie z. B. Homer den Menelaos, [* 28] Achilleus und Meleagros [* 29] mit goldgelben Locken und Euripides den Menelaos und Dionysos [* 30] mit hellblondem Haar schildert; doch stand auch die schwarze Farbe in Ehren, wie wir aus Anakreon sehen. Aus Asien [* 31] war nach Griechenland [* 32] auch der Gebrauch falscher Haare gekommen.
Die ersten Haarkräusler finden wir zu Athen, wo sie ein besonderes Gewerbe bildeten. Bis 300 v. Chr., wo P. Ticinius Mena den ersten Tonsor aus Sizilien [* 33] nach Rom [* 34] brachte, ließen die Römer [* 35] nach dem Zeugnis des Varro das Haar lang herabhängen; zu Ciceros Zeit aber prangten nicht nur junge Stutzer, sondern selbst hohe Staatsmänner mit künstlichem und salbenduftendem Lockenbau. Der Haarputz der Frauen nahm seit der Augusteischen Zeit eine immer reichere Form und größere Dimensionen an (Textfig. 9 u. 10), und da zu der beliebten Fülle von Zöpfen und Locken die Haare. Eines Kopfes nicht ausreichten, nahm man dazu falsches Haar (capillamentum).
Die alten Bewohner des europäischen Nordens, namentlich die Kelten, banden das Haar am Hinterkopf zusammen (daher hieß bei den Römern das eigentliche Gallien, zum Unterschied von der gallischen Provinz, Gallia comata). Das lange, starke Haar galt ihnen als ein Merkmal männlicher Würde und Freiheit. Die germanischen Völker zeichneten sich durch ihr langes, braungelbes, hier und da in das Goldblonde oder Rötliche fallende Haar aus. Abgeschornes Haar war bei Kelten und Germanen ein Zeichen der Unterthänigkeit; auch hat sich das Haarabscheren als entehrende Strafe lange in einzelnen deutschen Rechten erhalten.
Bei den Franken war die Ehrentracht des langen Haars eine Zeitlang ein Zeichen der königlichen Würde (daher heißen die Merowinger auch die gelockten Könige), und solange dies währte, mußten alle Unterthanen kürzeres Haar tragen. Dagegen trugen Karl d. Gr. und die Karolinger kurzes Haar (s. Tafel »Kostüme I«, [* 23] Fig. 10), während die Sachsen, [* 36] die in den frühern Jahrhunderten Kopf- und Barthaar schoren, in und nach der Zeit Karls d. Gr. bis gegen Ende des 10. Jahrh. das Haar lang herabfallen ließen.
Auch die Frauen ließen es entweder frei herabhängend wachsen, oder banden es auf und befestigten es mit Knopfnadeln. In den folgenden Jahrhunderten pflegten die Männer das Haar bis auf die Schultern herab zu tragen, über der Stirn kurz abzuschneiden, es auch zu kräuseln und zu locken, während die Frauen es, wie früher, lang herabwallen ließen (s. Tafel »Kostüme I«, [* 23] Fig. 13), oder mit dem Gebende [* 37] (s. d.) bedeckten, oder durch einen Schapel (s. d.) hielten, oder, besonders in Frankreich und England, mit Bändern zu einem oder zwei Zöpfen umwanden, die auf den Rücken oder vorn über die ¶