(spr. grüjähr, deutsch
Greyerz), Landstädtchen im voralpinen Gebiet des schweizer. Kantons Freiburg,
830 m ü. M.,
mit (1880) 1075 Einw., im
Mittelalter, zur Zeit der begüterten
Grafen von Gruyères, der Hauptort des Greyerzer-Landes, welches als
unterste der drei alpinen
Stufen der
Saane (s. d.) zu den ergiebigsten Alpenthälern gehört und namentlich
durch seinen Fettkäse berühmt ist;
heute jedoch sieht sich Gruyères von dem aufstrebenden
Bulle (s. d.) an Bedeutung überflügelt.
Hauptbeschäftigung der Bewohner sind Viehzucht und Milchwirtschaft. Früher betrieb die Stadt eine rege Gewerbs- und Handelstätigkeit,
während heute ihre einst stark belebten Gassen vereinsamt und stille geworden sind. Jetzt werden in der
Gemeinde nur noch mehrere Sägen, eine Gerberei, die Fabrik für kondensierte Milch zu Épagny und die Gipsgrube von Pringy betrieben.
Fremdenstation. Als eigene Kirchgemeinde wurde Gruyères 1254 von Bulle losgelöst. Die im selben Jahre geweihte Pfarrkirche
St. Theodul erfreute sich in der Folge der besonderen Gunst einer grossen Anzahl von Gönnern, wie
der Grafen und Gräfinnen von Greierz, einer Reihe von Burgherren, Landvögten und auch Privatleuten. Neben der Pfarrkirche
gab es in Greierz mehrere
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Kapellen, die zur Mehrzahl auch heute noch vorhanden sind: die von den ersten Grafen erbaute und Johannes dem Täufer geweihte
Burgkapelle bildet seit 1848 ein kleines Museum;
die infolge eines während der Epidemie von 1611 von den Bewohnern der Stadt
getanen Gelübdes errichtete und den Heiligen Rochus, Claudius und Sebastian gewidmete Chapelle du Berceau
ward 1615 geweiht;
ferner bestehen in Pringy eine St. Agathenkapelle und in Épagny eine St. Annakapelle.
Auf Boden der Gemeinde
steht auch das einstige Kloster La Part Dieu, das von Wilhelmette von Grandson, Gräfin von Greierz, 1307 gestiftet und 1848 aufgehoben
worden ist.
Zur Zeit der Herrschaft ihrer Grafen umfasste die Stadt zwei Teile, die Cité und den Bourg, die beide mit
Mauern und Türmen umgeben waren und durch vier Tore mit der Aussenwelt in Verbindung standen. Der Bourg besteht aus einer
einzigen breiten Gasse mit heute noch recht mittelalterlichen Häusern. Die Cité oder der Sitz der regierenden
Herren umfasste das Schloss mit seinen Nebenbauten, das den Hügel krönt und dank seiner Lage, seinen Wällen und Gräben
und seiner Zugbrücke einem feindlichen Angriff sehr wohl widerstehen konnte. Es ist von dicken und mit zahlreichen Türmen
und Türmchen versehenen Mauern umgeben und umschliesst einen ebenfalls ummauerten und mit Schiessscharten
und gedeckten Gallerien bewehrten grossen Innenhof. In einem alten Rundturm mit 5,4 m dicken Mauern sieht man ein Kamin,
auf dessen Feuerherd ein ganzer Ochse in einem Stück gebraten werden konnte.
Das Schloss wurde 1818 vom Maler D. Bovy, einem Schüler von Ingres, angekauft und restauriert; ihm verdankt
man im Besondern auch die schönen Wandgemälde im Rittersaal, die die wichtigsten Episoden aus der Geschichte der Gegend
darstellen. Bovy starb 1862. Heute gehört das Schloss Herrn Balland, der im Grafenzimmer und im Waffensaal eine schöne antiquarische
Sammlung aufgestellt hat. Das Schloss bietet eine schöne Aussicht auf das untere Greierzerland und die
es umrahmenden Voralpen.
Ueber die Entstehung von Gruyères sind im Laufe der Zeit viele Fabeln erzählt und über die Etymologie dieses Namens zahlreiche
Hypothesen aufgestellt worden. Nach der einen Ueberlieferung soll der Stammvater des Geschlechtes derer von Greierz der Vandalenhäuptling
Gruerius gewesen sein, der zur Zeit der Alemanneneinfälle bis in diese Berggegenden vorgedrungen wäre;
eine andere Version macht aus diesem Gruerius einen Führer der ums Jahr 302 unserer Zeitrechnung dem Blutbad von Agaunum
(im Wallis)
entronnenen thebäischen Legion, und wieder Andere wollen, dass das Land Œx ums Jahr 414 vom Vandalenkönig Gondioch
seinem Kampfgenossen Gruerius verliehen worden sei. Andere Forscher verwerfen diesen sagenhaften Stammvater
Gruerius und leiten den Namen vom althochdeutschen gruo = grün her, wegen der das Thal vorteilhaft auszeichnenden grünen
Farbe seiner Wiesen und Wälder; oder auch von gruier oder gruyer, lateinisch grueria, welches Wort die im Mittelalter wohl
bekannte Würde eines Vogtes über Wasser und Wald und Gerichtsherren über Wald-, Fisch- und Jagdfrevel
bezeichnete. Es soll nun ein mit dem Amte eines solchen Gruyer oder Waldvogtes über das Land Ogoz bekleideter Edler des transjurassischen
Königreiches Burgund zur Zeit, da Titel und Würden anfingen in den betreffenden Geschlechtern erblich zu werden, sich zum
selbständigen Herrn
gemacht und sein Amt auch seinen Nachfolgern hinterlassen haben. Im Uebrigen erscheint
der Titel eines Grafen von Greierz zum erstenmal 1157 in einer von Rudolf von Greierz zu Gunsten der Abtei Hautcrêt ausgestellten
Schenkungsurkunde. In andern Urkunden erscheint diese selbe Persönlichkeit unter dem Namen des Grafen von Ogoz, wie auch
seine Gemahlin Agnes von Glâne in den Urkunden bald als Gräfin von Ogoz und bald als Gräfin von Greierz figuriert. Es ist
nicht möglich, hier alle Phasen der Geschichte unseres tapfern kleinen Völkchens und seiner ritterlichen Herren mit ihren
vielen und ruhmvollen Waffentaten zu verfolgen. In kritischer Zeit standen die Grafen von Greierz stets
auf ihrem Posten, bereit, ihr Recht und ihr Gebiet mit Waffengewalt zu verteidigen oder geschworene Treue zu halten. Wir
kennen keine würdigeren Glieder der Ritterschaft und keine ihrem Oberherren treuere Vasallen. Von der nämlichen kriegerischen
Gesinnung wie ihre Grafen war auch in guten wie bösen Tagen das Greierzervolk beseelt. Nie wich der «Kranich»
(grue; das Wappentier der Grafen) zurück, und stets blieb er seinem Wahlspruch Transvolat nubila virtus getreu.
Als zur Zeit der Kreuzzüge Europa sich zum Kampfe gegen Asien rüstete, stimmten auch Graf und Volk von Greierz begeistert
in das allgemeine Feldgeschrei «Gott will es!» mit
ein und stiegen aus ihren Bergen herab mit dem stets wiederholten Ruf: «Pars, Gruyère! en avant la Grue! reviendra qui pourra!»
Auf Gruyère! Vorwärts die Grue! Kehre wieder, wer kann! Bei Laupen kämpften die Grafen von Greierz mit Freiburg
gegen Bern,
und bei Murten
standen sie mit im ersten Treffen der Eidgenossen.
Als 1349 Otto von Éverdes, der Graf von Greierz und der Herr von Corbières mit den Freiburgern und Bernern in Fehde standen,
wurden diese, die bis jenseits La Tour vorgerückt waren, vollkommen geschlagen. Welche Zahl von Legenden und grossen Erinnerungen
knüpfen sich an diese alten Wälle, von wie viel fröhlichen Festen und Turnieren, aber auch von welchen
traurigen Zeiten und welchem Unglück könnten sie erzählen! Und wie lange noch hallten in diesen Gemächern Waffenlärm
und Festestrubel, als andere feste Burgen längst schon zur Ruine geworden! Nachdem die Landschaft Greierz unter den Grafen
Franz und Ludwig zum Höhepunkt ihrer Macht aufgestiegen, begann unter der Regierung des GrafenMichel
der zum völligen Untergang führende Zerfall.
Ursachen davon waren tolle Liebesabenteuer, höfischer Dienst in Frankreich und das Leben in den Feldlagern. In der Nacht
des verliess der unglückselige GrafMichel seine alte Burg und sein Land, um niemals dahin zurückzukehren.
Er hatte sich genötigt gesehen, seinen Besitz um den Preis von 80500 Thaler an Bern
und Freiburg
zu verkaufen, die das Land derart unter
sich teilten, dass Bern
das Gebiet oberhalb der Tine, das sog. Pays d'En Haut, Freiburg
dagegen dasjenige unterhalb der Tine, d. h. eben die
heutige freiburgische Gruyère zu Eigen erhielt.
Der Uebergang vollzog sich aber nicht ohne schwere Misshelligkeiten. Der erste dem Lande vorgesetzte Landvogt, Anton Krummenstoll,
ward 1556 schwer beschimpft, und 1577 konnte die Regierung nur mit Mühe die Ablieferung der jährlichen Rechnungen über
die Verwaltung der Gemeindegüter durchsetzen. Auch zur Zeit des Bauernkrieges musste man aufrührerische
Gelüste in der Gruyère¶
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mit Gewalt unterdrücken. Dann herrschte Ruhe im Lande, bis am unter dem Vorwand der ungerechtfertigten Aufhebung
einiger Volksfeste der längst geplante und von NicolasChenaux und André Castella geleitete Aufstand losbrach. Der Ausgang
des unglücklichen Unternehmens ist bekannt: Chenaux wurde von seinen eigenen Leuten ermordet, worauf seine
hauptsächlichsten Mitverschworenen sich flüchteten. Es war dies aber nur der Vorbote eines kommenden Sturmes, der losbrach,
nachdem die Waadt
mit Hilfe der französischen Bajonette 1798 das Joch Berns abgeschüttelt und ihre Unabhängigkeit erklärt hatte.
In Freiburg
erhob sich zuerst Bulle und pflanzte den Freiheitsbaum auf, und bald folgten dem Beispiel die Stadt
Greierz und sämtliche übrigen Gemeinden der Vogtei. Greierz war bis 1798 eine Vogtei, von 1798-1848 eine Präfektur und bildet
seit 1848 mit Bulle zusammen das Herz des heutigen Bezirkes Greierz. Vergl. Kuenlin, Franz. Dictionnaire géograph., statist.et histor. du cant. deFribourg. 2 parties. Frib. 1832. - Raemy. Dictionnaire. - LeChamois; réd. par
Reichlen. - Album de fête; publié par la Soc. des ingénieurs et architectes. Frib. 1901. - Fribourgartistique à traversles âges. - Cornaz-Vuillet. La Suisse romande en zig-zag. - Charles, Hub. Course dans laGruyère. Paris 1826. Fribourg, Guidedes étrangers. - Perrier. Oberst. DieGruyère... (Europ. Wanderbilder. 23). Zürich
1881.