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Seinem Bruder in Vielem geistesverwandt, mit ihm häuslich und amtlich, durch zärtlichste Liebe und durch Gemeinschaft der Arbeiten verbunden, hatte er doch sein eigenes wissenschaftliches Feld und seine eigene Art, durch die er jenen ergänzte. Er war minder kühn, genial und fruchtbar;
er liebte mehr geduldigstes, rundes und sauberes Ausfeilen und Abschließen;
er richtete sich auf engerm Gebiete ein, das er zierlich und mit schönem poet.
Sinne ausgestaltete. Gemeinsam mit Jakob bearbeitete er das «Deutsche Wörterbuch», die «Deutschen Sagen» und die «Kinder- und Hausmärchen»;
daß diese ein wahres Volks- und Kinderbuch geworden sind, danken sie zumeist dem künstlerischen Erzähler Wilhelm, der den naiven echten Märchenton wundervoll traf, darin allen Romantikern weit überlegen.
Wilhelms zahlreiche Ausgaben alt- und mittelhochdeutscher Dichtungen und Sprachdenkmäler sind mehr durch treffliche litterarhistor. und sprachliche Untersuchungen und feinsinnige Erläuterungen als durch Schärfe der Kritik ausgezeichnet;
erwähnt sei: «Grave Ruodolf» (Gött. 1828; 2. Aufl. 1844),
das «Hildebrandslied» (ebd. 1830),
«Freidank» (ebd. 1834; 2. Ausg. 1860),
der «Rosengarten» (ebd. 1836),
das «Rolandslied» (ebd. 1838),
die «Goldene Schmiede» (Berl. 1840),
der «Silvester Konrads von Würzburg» (Gött. 1841),
«Athis und Prophilias» (Berl. 1846; Nachtrag, Gött. 1852),
«Exhortatio ad plebem christianam. Glossae Cassellanae» (Berl. 1848),
«Altdeutsche Gespräche» (mit Nachtrag, ebd. 1851).
Seine Untersuchungen «Über Freidank» (Berl. 1850; 1. und 2. Nachtrag, Gött. 1852-55) laufen freilich auf das unhaltbare Resultat heraus, daß Freidank identisch sei mit Walther von der Vogelweide, sind aber voll von wertvollen und weitreichenden Beobachtungen, ebenso wie die stoffreiche Schrift «Zur Geschichte des Reims» (Berl. 1852).
Die Grundlage unserer Runenkenntnis legte das Buch «Über deutsche Runen» (Gött. 1821).
Wilhelm G.s Hauptwerk aber war «Die deutsche Heldensage» (ebd. 1829; 2. Aufl., besorgt von Müllenhoff, Berl. 1867; 3. Aufl., von R. Steig, Gütersloh 1890),
der er schon durch seine Übersetzung «Altdän. Heldenlieder» (Heidelb. 1811) und in den «Altdeutschen Wäldern» vorgearbeitet hatte: eine fast erschöpfende Sammlung der Zeugnisse für Leben und Fortleben der deutschen Heldensage, mit vorsichtiger unbefangener Kritik, die sich von allen mytholog.
Vorurteilen frei hält.
Die mannigfachen «Kleinern Schriften» Wilhelm G.s sind gesammelt von Gustav Hinrichs (4 Bde., Berl. u. Gütersloh 1881-87);
der erste Band wird eröffnet durch eine kurze Selbstbiographie. (S. Grimm, Jakob und Deutsche Philologie.)