Titel
Griechische
Sprache,
[* 2] ein
Glied
[* 3] der indogerman.
Sprachfamilie (s.
Indogermanen). Die früher weit verbreitete
Annahme, das
Griechische bilde mit dem
Italischen (s.
Italische Völker und
Sprachen) eine engere Einheit und gehe mit ihm auf eine gräco-italische
Ursprache
zurück, hat sich durch die neuern Forschungen als unhaltbar erwiesen. Wie die allgemein-indogermanische,
so liegt auch die gemeinsame Ursprache
der griech.
Stämme jenseit der Grenzen
[* 4] geschichtlicher wie sagenhafter
Tradition.
Das griech. Volk tritt uns von Anfang an in verschiedene Stämme gespalten entgegen, von denen jeder seinen besondern Dialekt spricht. Die Alten teilten die griech. Mundarten ein in Dorisch, Äolisch und Ionisch-Attisch, die Mannigfaltigkeit ist aber eine weit größere. Zunächst sind unter dem Namen Äolisch Mundarten zusammengefaßt, die untereinander in dem Maße abweichen, daß an eine specielle Zusammengehörigkeit nicht zu denken ist; Äolisch war ohne Zweifel nur ein Sammelname für alles, was weder beim Dorischen noch beim Ionisch-Attischen untergebracht werden konnte.
Die Neuern beschränkten den
Namen
Äolisch auf das Asiatisch-Äolische
(Lesbische), Böotische und
Thessalische,
einige nur auf den ersten dieser drei Dialekte.
Auch den
Kreis
[* 5] dessen, was die Alten unter
Dorisch verstanden, ist man heute
einzuschränken genötigt. Überhaupt aber ist zu betonen, daß die jetzige Wissenschaft, da ihr für die ältern
Phasen
der Dialekte
nur ein sehr trümmerhaftes Material zu Gebote steht, noch nicht im stande ist, eine ins einzelne gehende
Einteilung
der griech. Mundarten zu liefern.
Nach dem gegenwärtigen
Stande der
Sprachwissenschaft sind die griech. Dialekte
etwa so zu verteilen: I.
Ionische Dialekte.
1) Das homerische Ionisch.
2) Das sog. Neuionisch: die Mundart des Herodot und des Hippokrates und die durch einige Inschriften vertretenen Mundarten von Milet, Ephesus, Samos, Chios, der Cykladischen Inseln, wie Paros und Naxos, und der euböischen Städte Chalkis und Eretria mit den Kolonien der erstern in Unteritalien und Thrazien.
3) Das
Attische.
[* 6] II. Nicht-ionische
Dialekte.
1) Die dorische Gruppe, die Mundarten der peloponnes. Dorier und ihrer Kolonien: a. Lakonisch, Inschriften und Fragmente des Dichters Alkman;
b. die Mundart von Herakleia in Unteritalien, einer Pflanzstadt der lakonischen Kolonie Tarent;
c. Messenisch;
d. Argivisch;
6. Korinthisch mit Kerkyräisch;
f. Megarisch;
griechische
die Mundarten der peloponnes.
Kolonien
Siciliens,
Syrakus
[* 7] u. a.; h. Kretisch (in
Kreta herrschten zahlreiche Lokaldialekte
); i. die Dialekte
von
Thera und
Melos nebst dem von
Thera aus kolonisierten
Kyrene: k. die Dialekte
von Rhodus und seinen sicil. Pflanzstädten Gela
und
Akragas
(Agrigent).
2) Die nordgriechische
oder nordwestgriechische
Gruppe, in Mittelgriechenland und
Epirus: a. Lokrisch und Phokisch; b.
Äolisch
und Akarnanisch, der Dialekt der
Phthiotis im südl.
Thessalien und derjenige der Änianen und
Ötäer; c. Epirotisch (erst
neuerdings durch die
Ausgrabungen in Dodona genauer bekannt geworden).
3) Die äolische Gruppe: a. das Lesbisch-Asiatische, Inschriften und Fragmente des Alcäus und der Sappho; b. das Böotische, sehr zahlreiche Inschriften und die Überreste der Dichtungen der Korinna; c. das Nordthessalische.
4) Arkadisch und Cyprisch; die Kenntnis des letztern Dialekts ist neuerdings dadurch sehr erweitert worden, daß es gelang, das aus dem vorderasiat. Keilschriftsystem stammende Alphabet der cyprischen Inschriften zu entziffern.
5) Das Pamphylische.
6) Das Elische, besonders durch die Ausgrabungen in Olympia näher bekannt geworden. – Die Hauptquelle für die Kenntnis der griech. Mundarten sind die Inschriften, deren jährlich immer neue in großer Zahl gefunden werden und bis jetzt zwischen 20000 und 30000 veröffentlicht sind (vgl. Newton, Die griech. Inschriften, übersetzt von Imelmann, Hannov. 1881), dann die erhaltenen Werke der griech. Litteratur, endlich die Zeugnisse der alten Grammatiker und Lexikographen. –
Vgl. Ahrens, De graecae linguae dialectis (2 Bde., Gött. 1839–43);
R.
Meister, Die griech. Dialekte
(Bd.
1, ebd. 1882; Bd. 2, ebd. 1889), und O. Hoffmann, Die griech.
Dialekte
(Bd. 1, ebd. 1891; Bd.
2, ebd. 1893).
In der Litteratur tritt keine Mundart ganz rein, d. h. in der Form der
Alltagsrede, sondern künstlerisch umgestaltet auf. Eine besonders auffällige Erscheinung ist die Mischung der Dialekte
bei den Dichtern.
Schon das älteste Litteraturdenkmal, die Homerischen Gedichte, zeigen keinen einheitlichen Dialekt, sondern
neben den ion. Formen zahlreiche Äolismen. Strittig ist noch, ob die Mischung
der Homerischen
Sprache daraus zu erklären ist, daß diese ursprünglich in einer Gegend gesprochen wurde, wo ion.
und äol.
Dialekt sich berührten, oder daraus, daß die ältesten epischen
Volkslieder in rein äol. Mundart gedichtet waren, zu den
Ioniern kamen und dort ion. Sprachgewand bekamen, doch so, daß man einzelne äol.
Formen beließ. Die Sprachform der Homerischen Gedichte, der sog. epische Dialekt, bildete zunächst
auch die Grundlage der
Sprache der lyrischen
Poesie, die sich in der Elegie noch ziemlich genau an die
Sprache des Epos, in der
iambischen
Dichtung aber näher an die wirkliche Volkssprache
, den Heimatsdialekt der Dichter, anschloß. Die
äol. Meliker wandten sich ihrer heimischen Mundart, dem
Lesbischen, zu, mischten aber hier und da epische Formen ein. Die
chorische
Lyrik bildete sich wieder eine neue Kunstsprache
auf der Grundlage des epischen Dialekts mit starker dor. Färbung,
bei
Pindar treten neben dem Episch-Ionischen
und
Dorischen
¶
mehr
zahlreiche Äolismen hervor. Im attischen Drama herrscht in den dialogischen Partien der attische Dialekt, aber mit Beimischung
von Epismen und Dorismen der Dichtersprache;
diese dichterische Beimischung wird stärker in den anapästischen Stücken;
in den melischen endlich (Chor- und Bühnengesängen) erhält die Sprache eine der dor. Lyrik verwandte, aber leichtere dor.
Färbung.
In der Prosa tritt zuerst der ion. Dialekt auf (Logographen, Herodot). Von der Zeit des Peloponnesischen Krieges an aber kam
die attische Mundart als allgemein griech. Schriftsprache
in Gebrauch und stand nun in ähnlicher
Weise über den Volksmundarten, wie die hochdeutsche Schriftsprache
über unsern Lokaldialekten steht, doch ohne sie
ganz aus dem Schriftgebrauch zu verdrängen. Im 4. Jahrh. v. Chr. wurde das Attische die Umgangssprache am macedon. Hofe und
verbreitete sich mit der macedon.
Herrschaft im Orient und in Ägypten. [* 9] Es entwickelte sich jetzt eine neue Form des Attischen, die man die koinē (κοινή, «die Gemeinsame») nennt und die sich von dem reinen Attisch weniger in formeller, um so mehr in lexikalischer und syntaktischer Beziehung unterscheidet. Im Gebrauch der Gebildeten und der Schriftsteller entfernte sich die koinē weniger vom Attischen, als im Mund des niedern Volks außerhalb Griechenlands. (S. Alexandrinischer Dialekt.) In Griechenland [* 10] selbst lebten die alten Volksmundarten, von der Schriftsprache mehr oder minder beeinflußt, fort, wenn auch aus dem schriftlichen Gebrauch immer mehr zurückgedrängt; doch scheinen die meisten von ihnen schon bald nach Christi Geburt ganz erloschen zu sein. Die neugriech. Volksdialekte beruhen mit Ausnahme des Zakonischen auf der koinē. (S. Neugriechische Sprache und Litteratur.)
Das Griechische ist unter den indogerman. Sprachen eine der altertümlichsten. Hinsichtlich des Vokalismus und der Syntax des Verbums hat keine andere Sprache den Stand der indogerman. Grundsprache so treu festgehalten. In andern Beziehungen läuft dem Griechischen meist das Indische den Rang ab.
In der grammatischen Erforschung des Griechischen haben die Alten schon nicht Unerhebliches geleistet. Aristoteles und die Stoiker suchten die sog. Redeteile auf und schufen in der Hauptsache die grammatische Terminologie, die noch heute bei allen Kulturvölkern üblich ist. Die alexandrinischen Philologen der letzten Jahrhunderte v. Chr., wie Aristarch, erwarben sich durch ihre im Interesse der Textkritik angestellten sprachlichen Untersuchungen Verdienste.
Das erste systematische Lehrgebäude der Grammatik verfaßte Dionysius Thrax, aus der Schule Aristarchs (etwa 100 v. Chr.); auf seiner «Grammatik» beruht die traditionelle Schulgrammatik des gesamten Occidents. Doch umfaßte das System der Grammatik des Dionysius noch nicht alle Teile der Grammatik: es fehlte neben der Laut- und Formenlehre noch die Syntax. Diese schuf Apollonius Dyscolus (2. Jahrh. n. Chr.), von dem vier syntaktische Schriften erhalten sind. Sein Sohn Älius Herodianus, der vorzugsweise auf dem Gebiet der Lautlehre thätig war, ist der letzte hervorragende Grammatiker der Griechen.
Die grammatischen Leistungen der Byzantiner beschränken sich von nun im wesentlichen auf Auszüge aus den ältern Werken. Erst mit dem Wiedererwachen der klassischen Studien im 14. Jahrh. begannen die sprachwissenschaftlichen Forschungen wieder. Unter den griech. Gelehrten, die damals die Kenntnis des Griechischen in Italien [* 11] verbreiteten, ist Emanuel Chrysoloras hervorzuheben, der 1395 Lehrer des Griechischen in Florenz [* 12] wurde. 1476 erschien die griech. Grammatik des Konstantin Laskaris (der erste griech. Druck) und blieb lange in Ansehen. In Deutschland [* 13] und den Niederlanden wurde das Studium des Griechischen durch Reuchlin, Erasmus und Melanchthon begründet; des letztern griech. Grammatik (1518) blieb bei uns über ein Jahrhundert die herrschende. 1654 trat an ihre Stelle Wellers «Grammatica graeca nova», der 1705 die «hallische» und 1730 die «märkische» Grammatik folgten. Neben diesen Schulbüchern sind auch streng wissenschaftliche Untersuchungen zur griech. Grammatik zu verzeichnen, wie die von Devarius (1558), Vigerus (1632) und Fischer (1750).
Im 19. Jahrh. nahm die griech. Grammatik einen neuen mächtigen Aufschwung in doppelter Richtung, einerseits durch die klassische Philologie, die durch kritische Bearbeitung der aus dem Altertum überlieferten Sprachdenkmäler, durch sorgfältige Beobachtung des Sprachgebrauchs, durch Sammlung der sprachlichen Thatsachen die Kenntnis des Griechischen wesentlich erweiterte, andererseits durch die vergleichende Sprachwissenschaft, die in Bezug auf die Entwicklungsgeschichte der Griechische Sprache die wichtigsten Aufschlüsse gewährte. Der erstern Richtung gehören an die grammatischen Werke von Gottfried Hermann, Buttmann, Lobeck, Matthiä («Ausführliche griech. Grammatik», 3. Aufl., Lpz. 1835),
Krüger («Griech. Sprachlehre für Schulen», 2 Bde., 5. Aufl., ebd. 1873‒75),
Kühner («Ausführliche Grammatik der Griechische Sprache», 2. Aufl., 2 Bde., Hannov. 1869‒72; 3. Aufl. bearbeitet von Friedr. Blaß, Bd. 1, ebd. 1892) u. a. Unter den vergleichenden Sprachforschern sind für das Griechische in hervorragenderer Weise thätig gewesen Bensey, Griechische Curtius, Leo Meyer, Fick, B. Delbrück, Joh. Schmidt, Gustav Meyer, Brugmann, Osthoff, R. Meister, Bechtel, Collitz, Blaß u. a. Wissenschaftliche Grammatiken lieferten in neuester Zeit Griechische Meyer («Griech. Grammatik», 2. Aufl., Lpz. 1886),
Brugmann («Griech. Grammatik» in J. Müllers «Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft», Bd. 2, 2. Aufl., Münch. 1890) und Pezzi («La lingua greca antica», Tur. 1888). Die Homerische Sprache behandelten Monro, «Grammar of the Homeric dialect» (2. Aufl., Oxf. 1891),
und Vogrinz, «Grammatik des Homerischen Dialektes» (Paderb. 1889). Von den neuern griech. Schulgrammatiken seien genannt die von Curtius (1. Aufl. 1852; 20. Aufl. bearbeitet von W. von Hartel, Lpz. 1890),
Koch (13. Aufl., ebd. 1889),
Kaegi (2. Aufl., Berl. 1889) und Bamberg [* 14] (3 Tle., ebd. 1889).
Die Grundlage der neuern griech. Lexikographie bildet H. Stephanus’ «Thesaurus linguae graecae» (1. Ausg. 1572), der im 19. Jahrh. durch C. B. Hase, [* 15] W. Dindorf u. a. eine dem jetzigen Stande der Wissenschaft entsprechendere Gestaltung (9 Bde., Par. 1829‒63) erhalten hat. Das vollständigste griech.-deutsche Wörterbuch ist Passows «Handwörterbuch der Griechische Sprache» (5. Aufl., 2 Bde., Lpz. 1841‒57); daneben sind die Lexika von Pape (3. Aufl., 2. Ausg., Braunschw. 1888),
Jacobitz und Seiler (3. Aufl., Lpz. 1876; neuer Abdruck 1882‒86) und Benseler (8. Aufl., ebd. 1886),
Suhle und Schneidewins «Übersichtliches griech.-deutsches ¶
mehr
Hand-Wörterbuch» (ebd. 1875),
für die Homerische Sprache das große von Ebeling u. a. herausgegebene «Lexicon Homericum» (2 Bde., ebd. 1885) zu erwähnen. Wichtige Beiträge zur griech. Etymologie lieferten Pott, Benfey («Griech. Wurzellexikon», 2 Bde., Berl. 1839–42),
Griechische Curtius («Grundzüge der griech. Etymologie», 5. Aufl., Lpz. 1879),
Fick, Prellwitz («Etymolog. Wörterbuch der Griechische Sprache», Gött. 1892) u. a.; die vollständigste Zusammenstellung der bisherigen Leistungen auf dem Gebiete der griech. Etymologie bietet Vaničeks «Griechisch-lat. etymolog. Wörterbuch» (2 Bde., Lpz. 1877).