Griechische
Musik. Von der
Musik der alten Griechen haben wir in der Hauptsache nur aus den
Schriften der Theoretiker
Kunde, die uns in ziemlich großer Anzahl erhalten sind. Daß die musik
alische
Kunst im
Altertum gleich
den übrigen
Künsten im höchsten Ansehen stand und die
Musiker nicht etwa wie im
Mittelalter zu den
Vagabunden und rechtlosem
Gesindel gehörten, ist bekannt. Bei den großen
Festspielen der Griechen (den
Olympischen,
Pythischen, Nemeischen und
Isthmischen)
spielten die musischen (poetischen und musik
alischen) Wettkämpfe eine hervorragende
Rolle.
Speziell die
Pythischen Spiele waren ursprünglich nur musik
alische zu
Ehren des
Apollon
[* 2] zu
Delphi; der
Sieger wurde mit einem
Lorbeerkranz geschmückt, zu welchem die
Zweige im feierlichen
Aufzug
[* 3] aus dem
Thal
[* 4]
Tempe geholt wurden.
Die ältere Geschichte
der griechischen
Musik ist so mit
Sagen und
Märchen durchsetzt, daß der historische
Kern nur sehr schwer
kenntlich ist; die
Erfindung der musik
alischen
Instrumente wie der
Musik überhaupt wird den
Göttern zugeschrieben
(Apollon,
Hermes,
[* 5]
Athene,
[* 6]
Pan).
[* 7]
Amphion,
[* 8]
Orpheus,
[* 9] welche
Steine belebten und
Tiere bezwangen,
Linos, der wegen seines schönen
Gesanges,
Marsyas,
[* 10] der wegen seines
trefflichen Flötenspiels von
Apollon aus
Eifersucht getötet wurde, sind mythische Gestalten (vgl.
Musik, Geschichte). Die
griechische
Theorie der
Musik ist eine sehr entwickelte und hat den Theoretikern des
Abendlandes viel Geistesarbeit erspart;
das Wesentlichste derselben werden wir in kurzen
Worten darzustellen suchen.
I. Das
System. Während unser ganzes modernes Musik
system in der Auffassung im Dursinn, im
Sinn der Durtonleiter
und des
Durakkords wurzelt, war den Griechen gerade die umgekehrte Auffassungsweise die natürlichere. Den Kernpunkt ihres
Systems bildete eine
Tonleiter, welche durchaus das Gegenteil unsrer Durtonleiter ist; die Griechen dachten sich dieselbe von
oben nach unten gehend, wie wir gewohnt sind, uns die Durtonleiter nach
oben gehend vorzustellen. Die Auffassung
dokumentiert sich in beiden
Fällen durch die
Ordnung der
Tonbuchstaben (vgl. unten IV). Abgesehen natürlich von der nicht
genau nachweisbaren absoluten Tonhöhe, entsprach die mittlere
Oktave unserm e'-e:
^[img]
was, wie die Bogen [* 11] für die Halbtonschritte verraten, das Gegenteil unsrer Durtonleiter (C'-c) ist:
^[img]
Jene Skala hieß die dorische. Die Auffassung im Sinn von Akkorden (Klängen, Dreiklängen, s. Klangvertretung) war den Griechen fremd, da sie Mehrstimmigkeit nicht kannten. Deshalb sind alle ihre Theoreme nur auf das Melodische bezüglich. Sie faßten diese Skala daher, wenn sie dieselbe näher zergliederten, auf als aus zwei gleichen Tetrachorden (Stücken von je vier Tönen) zusammengesetzt. Ein solches Tetrachord, das in absteigender Folge aus zwei Ganztonschritten und einem Halbtonschritt bestand, hieß ein dorisches.
Das sogen. vollständige System erstreckte sich durch zwei Oktaven, d. h. es trat an obige Skala noch ein gleiches Tetrachord in der Höhe und Tiefe an, aber derart, daß der Schlußton des einen zugleich den Anfangston des andern bildete (verbundene Tetrachorde), und in der Tiefe wurde noch ein Ton hinzugenommen (Proslambanomenos), der die Unteroktave des mittelsten und die Doppelunteroktave des höchsten Tons des ganzen Systems war; die Tetrachorde erhielten folgende Namen:
^[Siehe hierzu Abbildungen]
a' g' f' e' | Tetrachord der Hohen (Tetrachordum hyperbolaeon) |
e' d' c' h' | Tetrachord der Getrennten (T. diezeugmenon) |
Diazeuxis (Trennung). | |
a g f e | Tetrachord der Mittlern (Tetrachordum meson) |
e d c H | Tetrachord der Tiefen (T. hypaton) |
A | Proslambanomenos. |
Die beiden mittlern Tetrachorde waren also getrennt; indessen benutzte man für Modulationen nach der ¶
mehr
Tonart der Unterquinte (die den Griechen ebenso das Nächstliegende war wie uns die nach der Tonart der Oberquinte) den Halbton über dem höchsten Ton des Tetrachords der Mittlern und unterschied daher ein besonderes Tetrachord der Verbundenen (Synemmenon) im Gegensatz zu dem der Getrennten, bestehend aus den Tönen a b c' d'. Besondere Wichtigkeit legen die Theoretiker dem höchsten Ton des Tetrachords der Mittlern bei, welcher vorzugsweise der Mittlere hieß (Mese) und Tonikabedeutung hatte. Die vollständigen Namen der sämtlichen Stufen waren:
↗ a' die höchste der Hohen | = Nete | ↘ |
| g' die zweithöchste der Hohen | = Paranete | Hyperbolaeon |
| f' die dritte der Hohen | = Trite | ↗ |
↘ e' die höchste der Getrennten | = Nete | ↘ |
↗ d' die zweithöchste der Getrennten | = Paranete | Diezeugmenon |
| (resp. höchste der Verbundenen) | Nete | ↘ |
| c' die dritte der Getrennten | = Trite | ↘ |
| (resp. zweithöchste der Verbundenen) | Paranete | Synemmenon |
| h die neben der Mitte | = Paramese | ↗ |
| [b die dritte der Verbundenen] | Trite | ↗ |
↘ a die Mittelste | = Mese | |
↗ g der Zeigefingerton der Mittlern | = Lichanos | ↘ |
| f die vorletzte der Mittlern | = Parhypate | Meson |
↘ e die tiefste der Mittlern | = Hypate | ↗ |
↗ d der Zeigefingerton der Tiefen | = Lichanos | ↘ |
| c die vorletzte der Tiefen | = Parhypate | Hypaton |
↘ H die tiefste der Tiefen | = Hypate | ↗ |
A der hinzugekommene Ton | = Proslambanomenos |
^[Ausdehnung [* 13] der geschwungenen Klammern: [* 14] siehe Bildansicht dieser Seite, meyers_b7_s0730.jpg]
Dieses System liegt den theoretischen Betrachtungen nicht nur der Griechen, sondern auch der mittelalterlichen
Musik
gelehrten zu Grunde. In seiner vollständigen Gestalt wie hier hieß das System das vollkommene (Systema teleion) oder
das veränderliche, d. h. modulationsfähige (Systema metabolon), sofern die Benutzung der
Synemmenon eine Modulation nach der Unterdominante bedeutete; ohne die Synemmenon hieß es unveränderlich (ametabolon).
II. Oktavengattungen (Tonarten). Da die Griechen Harmonie in unserm heutigen Sinn nicht kannten, so sind
ihre Begriffe von Tonart, Tongeschlecht etc. rein melodischer Bedeutung, und ihre sogen.
Tonarten sind daher eigentlich nichts andres als verschiedene Oktavenausschnitte (Oktavengattungen) aus derselben Tonleiter,
nämlich der oben gegebenen von zwei Oktaven. Das Tetrachord synemmenon kommt dabei nicht in Betracht. Als
Mittelpunkt des Systems erwies sich die dorische Oktavengattung e'-e; die Oktave von d'-d hieß dagegen
die phrygische, c'-c
lydisch, h-H mixolydisch.
Diese vier waren in ähnlicher Weise die vier Haupttonarten der Griechen, wie die vier gleichnamigen (aber nicht gleichbedeutenden) Kirchentöne (s. d.) die vier authentischen waren. Die zu ihnen gehörigen, durch den Zusatz »hypo-« unterschiedenen Seitentonarten sind so vorzustellen, daß die Lage der Quinte und Quarte, aus denen sich die Oktave zusammensetzt, vertauscht ist: e'..a..e ist dorisch; wird die Quinte e' a eine Oktave tiefer versetzt oder die Quarte a e eine Oktave höher, so ist die neue Oktavengattung die hypodorische.
Bei den Kirchentönen ist die Grundanschauung die entgegengesetzte, z. B. dorisch (d-d') ist aus der Quinte d a und Quarte a d'
zusammengesetzt; wird die Lage der beiden Stücke vertauscht, so ist A..d..a = hypodorisch. Während also die griechischen
Seitentonarten
eine Quinte unter den Haupttönen liegen, liegen die plagalen
Kirchentöne nur eine Quarte unter den authentischen.
Die Kirchentöne sind eben aufsteigend gedacht, und es spielen schon harmonische Begriffe hinein. Die sieben Oktavengattungen
der Griechen sind:
1. Dorisch (e'-e).
3. Lydisch (c'-c).
4. Mixolydisch (h-H)
5. Hypodorisch (äolisch, a-A).
6. Hypophrygisch (g'-g).
7. Hypolydisch (f'-f).
8. Hypomixolydisch (dorisch, e'-e).
^[img]
Daß die Griechen durchaus nicht so, wie das später bei den Kirchentönen der Fall war, dem phrygischen etc. eine ähnliche
grundlegende Bedeutung beimaßen wie dem dorischen, d. h., daß sie nicht d oder g als Hauptton des phrygischen betrachteten
(sozusagen
als Tonika oder Dominante), sondern daß sie vielmehr wirklich alle Oktavengattungen als verschiedene
Ausschnitte aus einer dorischen Skala betrachteten, geht zur Evidenz aus der Unterscheidung der Thesis (Stellung) und Dynamis
(Bedeutung) hervor. d' ist der Stellung nach (kata thesin) in der phrygischen Tonart Nete, g Mese und d Hypate; der Bedeutung,
Wirkung nach (kata dynamin) aber ist d' Paranete, g Lichanos meson, d Parhypate, d. h. die Dynamis ist immer
die der dorischen Tonart. Wenn daher Aristoteles der Mese eine besondere Bedeutung beimißt, so meint er stets die dorische
Mese.
III. Transpositionsskalen (eigentliche Tonarten in unserm Sinn). Benutzt man für die Oktavengattung d'-d das Tetrachord synemmenon statt diezeugmenon, also b statt h, so ist dieselbe nicht mehr die phrygische, sondern die hypodorische, denn das Eigentümliche der verschiedenen Oktavengattungen ist die verschiedene Stellung der Halbtonschritte. Da nun aber die hypodorische Oktavengattung als von der dorischen Mese bis zum Proslambanomenos sich erstreckend anzusehen ist, so gehört d'-d mit b in ein transponiertes System, dessen Proslambanomenos nicht A, sondern d ist.
In der That war die griechische Musik
nicht wie der Gregorianische Gesang an die diatonische Skala A-a' ohne Vorzeichen gebunden, sondern
benutzte sämtliche chromatische Zwischenstufen und auch eine Anzahl höherer und tieferer Töne. Entsprechend unsern Dur-
und Molltonarten auf 12 oder mehr verschiedenen Stufen, hatten die Griechen ihre Transpositionen des oben
(I) erklärten Systems und zwar in späterer Zeit 15, von denen die ältesten die gleichen Namen hatten wie die sieben Oktavengattungen.
Wie aus der unten gegebenen Tabelle der griechischen
Notenzeichen hervorgeht, ist die Grundskala der Griechen die hypolydische:
f' e' d' c' h a g f; das System A-a' ohne Vorzeichen heißt daher das hypolydische; die transponierten sind benannt je nach der
Oktavengattung, welche der Ausschnitt f'-f ergibt, z. B. f' e' d' c' b a g f ist eine lydische Oktave, das
¶
mehr
System d-d'' mit einem b heißt daher das lydische. Also die Oktave f'-f gehört
ohne Vorzeichen ins System | A-a' | = hypolydisch |
mit 1 b | d-d'' | = lydisch |
2 b | G-g' | = hypophrygisch |
3 b | c-c'' | = phrygisch |
4 b | F - f' | = hypodorisch |
5 b | b-b'' | = dorisch |
6 b | es-es'' | = mixolydisch (hyperdorisch). |
Die (zweifellos jüngern) Kreuztonarten bringen dagegen
lauter neue Namen; es gehört fis'-fis
mit 1 # ins System | e-e'' | = hyperiastisch (hoch mixolydisch) |
2 # | H-h' | = iastisch (hoch dorisch). |
3 # | Fis-fis' | = hypoiastisch oder lokrisch (hoch hypodorisch) |
mit 4 # ins System | cis-cis' | = äolisch (hoch phrygisch) |
mit 5 # | Gis-gis' | = hypoäolisch (hochhypophrygisch) |
mit 6 # | dis-dis'' | = hyperdorisch (hoch lydisch). |
Das System dis-dis'' mit 6 # ist enharmonisch identisch mit es-es'' mit 6 b; beide werden hyperdorisch genannt; hier schließt sich der Quintenzirkel.
IV. Griechische Notenschrift (Semantik). Die Griechen besaßen zweierlei Arten der Notation, eine ältere,
von Haus aus diatonische, welche später als Instrumentalnotation sich noch hielt, als die jüngere, gleich enharmonisch-chromatisch
angelegte Notierung für den Gesang eingeführt wurde. Die Notenzeichen sind teils intakte, teils verstümmelte und verdrehte
Buchstaben des griechischen
Alphabets:
^[img]
Übersicht der griechischen
Notenschrift, mit Übersetzung in die heutige Notation.
Ausführlicheres darüber s. in den Spezialschriften von Fortlage, Bellermann, Riemann (»Studien zur Geschichte der Notenschrift«,
Leipz. 1878) etc. Leider sind nur dürftige Reste altgriechischer
Kompositionen auf uns gekommen, so daß die Kenntnis der Bedeutung der Noten bisher wenig praktischen Wert hat.
V. Die Tongeschlechter der Griechen waren nicht harmonische Unterscheidungen wie die unsrigen (Dur und Moll), sondern melodische. Die Griechen zerlegten, wie bereits erwähnt, die Skalen in Tetrachorde; das normale Tetrachord war das dorische, aus zwei Ganztonschritten und einem Halbtonschritt bestehend, z. B.: e' d' c' h. Dieses diatonische Geschlecht war das älteste. Neben ihm kam noch im grauen Altertum (nach der Sage eine Erfindung des Ulympos) das (ältere) enharmonische Tongeschlecht auf, bei welchem die beiden mittlern Töne des Tetrachords durch Herabstimmung des höhern auf gleiche Tonhöhe gebracht wurden, so daß also die Lichanos, resp. die Paranete fortfiel, z. B.: e' c' c' h ^[img].
Als drittes Geschlecht kam das chromatische hinzu, welches die Lichanos oder Paranete nicht ausließ, sondern um einen Halbton erniedrigte, so daß zwei Halbtonschritte einander direkt folgten: e' bd' c'h ^[img]. Endlich teilte die (neuere) Enharmonik den Halbton des diatonischen Tetrachords, oder, vielleicht richtiger, sie führte neben dem diatonischen den chromatischen Halbton ein: e' # h' c' h ^[siehe Bildansicht]. Im Hinblick auf die verschiedenen Tongeschlechter, welche die Paranete, Trite, resp. Lichanos und Parhypate veränderten, unterschieden die Griechen diese Töne als veränderliche, während die Grenztöne des Tetrachords (Nete und Hypate, resp. Mese, Paramese und Proslambanomenos) unveränderliche waren.
Außer diesen drei Tongeschlechtern stellten die Theoretiker noch eine große Anzahl andrer Tetrachordenteilungen auf, welche Färbungen (Chroai) genannt wurden und in der Notenschrift keine Darstellung fanden. Dieselben sind zum Teil wunderlichster Art, und es ist nichts andres als eine Zufälligkeit, daß sich darunter auch die unsern heutigen Bestimmungen genau entsprechenden mit 15:16 für den Halbton und 4:5 für die große Terz befinden (bei Didymos und Ptolemäos).
Bekanntlich beziehen sich Fogliano und Zarlino, welche diese Verhältnisse zuerst endgültig aufstellten, auf Ptolemäos. Näheres
s. bei O. Paul, Die absolute Harmonik der Griechen (Leipz. 1866). Die vollständige Entwickelung des Systems geben F. Bellermann,
Die Tonleitern und Musik
noten der Griechen (Berl. 1847), und R. Fortlage, Das musik
alische System der Griechen
(Leipz. 1847). Sehr interessant, aber in vieler Beziehung irre führend sind die bezüglichen
Schriften von R. Westphal (s. d.).
Vgl. auch Gevaert, Histoire et théorie de la musique de l'antiquité (Gent [* 16] 1875-81, 2 Bde.).
VI. Die praktische Musik
übung der Griechen war entweder bloßer Gesang oder Gesang mit Begleitung von Saiteninstrumenten
(Kitharodie) oder Blasinstrumenten (Aulodie), oder bloßes Saitenspiel (Kitharistik) oder Flötenspiel (Auletik). Die wichtigsten
und für die Kunstmusik
beinahe allein in Frage kommenden Instrumente waren die Lyra,
[* 17] Kithara
[* 18] und der Aulos. Die Lyra hatte einen
gewölbten, die Kithara einen flachen Resonanzkasten; die Saitenzahl beider war lange Zeit 7, später
stieg sie erheblich. Die Magadis war ein größeres Saiteninstrument mit 20 Saiten, auf welchem in Oktaven gespielt wurde. Sämtliche
Saiteninstrumente der Griechen, auch die ältern
¶
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Titel
Griechische
Musik. Die Grundlage des griech. Tonsystems ist ein Komplex von vier Tönen, Tetrachord (Viersaiter) genannt. Zwei solcher Tetrachorde e, f, g, a und a, b, c', d' bilden die dor. siebensaitige Lyra. Obgleich bereits Terpander von Lesbos (7. Jahrh. v. Chr.) eine hohe e'-Saite kannte, behalf man sich doch lange Zeit der heiligen Siebenzahl zuliebe in der obern Hälfte der Oktave mit einer unvollständigen Tonreihe, und erst die am Hofe des Hipparch (um 520 v. Chr.) in Athen [* 19] thätigen Musiker Lasos und Simonides scheinen die Oktave vervollständigt zu haben. Die Tetrachorde waren nun: e, f, g, a und h, c', d', e'; Grundton war das in der Mitte liegende a. Während dieser Umfang in den mit einfacher Lyra begleiteten Skolien (Rundgesängen) der griech. Jugend niemals überschritten wurde, spannten die Künstler auf ihrer Kithar auch tiefere Saiten auf. In der Blütezeit griech. Dichtung und Sangeskunst besteht das Tonsystem aus folgenden Klängen:
^[Tabelle mit geschwungenen Klammern]
e' Nete | hohes Tetrachord. |
---|---|
d' Paranete
c' Trite
h Paramese
a Mese | mittleres Tetrachord. |
---|---|
g Lichanos
f Parhypate
e Hypate
d Lichanos | tiefes Tetrachord. |
---|---|
c Parhypate
H Hypate
A Proslambanomenos.
Die um 400 v. Chr. in Athen thätigen Dithyrambendichter brachten dazu eine hohe f-Saite in Aufnahme und später wurde den drei Tetrachorden noch ein viertes, das der überhohen Töne a', g', f', e' (von oben nach unten) beigefügt.
Den Weisen, die man von alters her zum Trankopfer blies oder sang, lag indes eine noch einfachere Tonreihe als das Tetrachord zu Grunde. Man übersprang den Ton g und ließ die Stimme nach dem lange und vielgebrauchten Ton a gleich auf f hinabsinken; endlich löste sich dieser als Vorhalt gebrauchte Ton in das tiefe e auf. (Plutarch, «Musik», Kap. 11; Aristoteles, «Probleme», 19, 3 und 4). Diese Tonweise hieß die enharmonische. Das Überspringen des Tones g blieb in dieser Sangesart stets Sitte; wollte man noch eine vierte Saite im Tetrachord verwenden, so stimmte man die ehemalige g-Saite auf f herab und legte zwischen den Leiteton f und die Schlußnote e noch einen Zwischenton ein. In diesem Falle hatte das enharmonische Klanggeschlecht von oben nach unten gerechnet erst eine große Terz (a-f), dann zwei Vierteltöne (f-e). Das chromatische Geschlecht, von dem die theoretischen Schriftsteller auch gern reden, war wohl nie recht in Übung. Es soll erst eine kleine Terz, dann zwei halbe Töne umfaßt haben: a ges f e.
Mehrstimmigen Gesang hat es im alten Griechenland [* 20] nie gegeben, auch auf Saiteninstrumenten hat ¶
mehr
man, wie es scheint, fast immer im Einklang gespielt; dagegen war das Spiel auf der Doppelflöte zweistimmig. Dabei wurde neben der Oktave nur die Quinte und Quarte als Konsonanz angesehen, die Terzen galten in der Theorie wie in der Praxis als Dissonanzen. Daß sie also jemals zu einem Schlußaccord verwendet worden wären, ist völlig undenkbar.
Was die Tonarten betrifft, so bestand von alten Zeiten her neben der bisher besprochenen dor. Tonleiter (e a e') eine phrygische und eine lydische. Die Eigentümlichkeit der phrygischen bestand darin, daß der halbe Ton jedesmal die Mitte des Tetrachords einnahm, also:
d | e f | g und a | h c' | d' | |
---|---|---|---|---|---|
oder | e | fis g | a und h | cis' d' | e'. |
Die lydische Tonart dagegen hatte wie unsere Durtonleiter den Halbton oben:
c | d | c f | und g | a | h c' | |
---|---|---|---|---|---|---|
oder | f | g | a b | und c' | d' | e' f' |
oder | e | fis | gis a | und h | cis' | dis' e'. |
Schon die von Ptolemäus in seiner «Harmonik», 2, Kap. 11 angestellte Erwägung, daß für den Gesang in jeder Tonart ein und dieselbe Oktave am bequemsten sei, weil die Stimme sonst zu hoch geschraubt oder zu tief gedrückt werde, legt uns den Gedanken nahe, auch die phrygische und lydische Tonart von e bis e' anzusetzen. Für die achtsaitige Lyra hatte man ohnehin keine andere Wahl; überdies wird nur durch diese Annahme der Umstand erklärlich, daß später bestimmte Versetzungen der dor. Grundskala als phrygisch oder lydisch bezeichnet werden. Thatsächlich heißt die um einen ganzen Ton höher laufende, im übrigen dem dor. Grundsystem nachgebildete Tonleiter bei allen Schriftstellern eine phrygische. Die Sache wird erklärlich, wenn man sich die oben angeführte phrygische Oktave e fis g a u. s. w. zu einem ähnlichen System wie das oben angegebene erweitert denkt: H cis d e, fis g a h, cis' d' e' fis'.
Der stets nach seinen heimatlichen Begriffen rechnende Grieche hatte sich offenbar auf seiner Lyra das Phrygische [* 22] durch Erhöhung der f-und c-Saite hergestellt; dann aber konstruierte er sich aus dieser fremdländischen Tonreihe wieder ein System H cis u. s. w., welches seinem nationalen Grundsystem A h c d u. s. w. aufs Haar [* 23] glich, nur um einen Ton höher gestimmt war. Der Ausdruck tonos phrygios, phrygische Stimmungsart, ursprünglich von der Art gebraucht, in der man sich eine Lyra phrygisch stimmen konnte, bezeichnet in der spätern Zeit eine Tonreihe, die einen Ton höher steht als das Grundsystem. Ebenso erwuchs aus der Reihe e fis gis a h cis' dis' e' (aus der der Lyra angepaßten lydischen Oktave mit Höherstimmung von vier Saiten) eine Nachbildung des dor. Grundsystems, die um eine große Terz höher stand als dieses und mithin cis zum Grundton hatte.
Die bis zur Quinte abwärts verlängerte Tonreihe enthielt neben der dor. Grundoktave e-e' mit Grundton a in der Mitte noch eine eng verwandte als hypodorisch oder halbdorisch bezeichnete Oktave A-a. Auch der mit zwei Erhöhungen gebildeten phrygischen Tonleiter ging eine ebenso zusammengesetzte Reihe von A-a als hypophrygische Tonart mit Halbton an dritter und sechster Stelle zur Seite, und ein Gleiches war wiederum mit der lydischen Tonart der Fall: hypolydisch A-a mit vier erhöhten Stufen.
Übertrug man aber auch diese Nebenoktaven auf den Umfang e-e' der Lyra, so bekam man:
Dorisch: | e | f | g | a | h | c' | d' | e' | |||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Hypodorisch: | e | fis | g | a | h | c' | d' | e' | |||||
Phrygisch: | e | fis | g | a | h | cis' | d' | e' | |||||
Hypophrgisch: | e | fis | gis | a | h | cis' | d' | e' | |||||
Lydisch: | e | fis | gis | a | h | cis' | dis' | e' | |||||
Hypolydisch: | e | fis | gis | ais | h | cis' | dis' | e' | |||||
Wie aus den drei Hauptskalen Nachbildungen des Grundsystems (transponierte Skalen) entstanden waren in A-, H- und Cis-moll, so erwuchsen aus den drei Nebenoktaven eben solche Versetzungen in E-, Fis- und Gis-moll.
In röm. Zeit änderte sich das System. Normaloktave war nicht mehr e-e', sondern f-f'. Aus dieser Periode haben wir die Notenverzeichnisse des Alypios, in denen die nie gebrauchte hypolydische Skala die einfachste, während die dorische einer künstlich abgeleiteten Tonart mit 5 b ^[vgl. Abb] gleich sieht.
Der durch Terpander von Lesbos begründete kitharodische Nomos (Sologesang eines Virtuosen, von ihm selbst auf der großen, zum Konzert geeigneten Kithar begleitet), dessen Inhalt Lobpreis und Anrufung einer Gottheit bildete, blieb allezeit die am meisten bewunderte, bei allen Gesangsfesten am höchsten geehrte Leistung musischer Kunst. Auf derselben äol. Insel bildete sich durch Alcäus und Sappho um 600 v. Chr. eine mehr auf persönliches Empfinden gerichtete Sangesart aus, die man sich auf der jedem Griechen vertrauten Lyra begleitete, und die leichtlebigen Bewohner der gesegneten ion. Kolonialstädte machten sich diese lyrische Poesie gern zu eigen (Anakreon 530). Rein instrumentales Zitherspiel, in Argos um 570 v. Chr. aufgebracht und später regelmäßig zur Preisbewerbung bei Musikfesten zugelassen, konnte sich dem Gesang gegenüber nie zu großer Bedeutung erheben.
Dem lange Zeit als ungriechisch gehaßten Aulos, einem nach Art der Klarinette gebauten Doppelinstrument, hat dagegen Sakadas um 580 v. Chr. nicht nur dauernde Zulassung zur Preisbewerbung an dem pythischen Normalfeste verschafft, indem er den Kitharoden zum Trotz Apollos Kampf und Sieg über den delphischen Drachen in einem mehrteiligen Konzertstück mit malender Programm-Musik darzustellen wußte (pythischer Nomos). Die den Saiteninstrumenten an Schallkraft weit überlegene Doppelflöte errang sich sogar mit der Zeit immer steigenden Einfluß auf das musikalische Leben in Griechenland. Im dor.
Peloponnes war die Flöte von Anfang an geduldet gewesen; für den dort aufblühenden Chorgesang war sie ja ohnehin kaum zu entbehren. Nachdem man nämlich von jeher Götter und Heroen durch festliche Reigen und Prozessionen geehrt hatte, ließ sich besonders der dor. Stamm die Ausbildung dieser mit Gesang verbundenen Chortänze angelegen sein, indem Alkman (um 640 v. Chr.) die Spartaner, Stesichoros (um 580 v. Chr.) die Bewohner der sicil. Kolonien mit solchen Liedern versorgte. In ihre Fußstapfen tretend, hat der thebanische Pindar den Ruhm olympischer und pythischer Sieger mit seinen Chorhymnen verherrlicht. Als sodann im 5. Jahrh. v. Chr. an dem großen Dionysosfeste zu Athen Äschylos und Sophokles ihre Dramen zur Aufführung brachten, da stand hinter der Tiefe ihrer Gedanken und der Schönheit ihrer Sprache [* 24] die melodische und rhythmische Gestaltung ihrer Chorgesänge keineswegs zurück. Athens Blütezeit war zugleich der ¶
mehr
Höhepunkt musischer Kunst in Griechenland. Im folgenden Jahrhundert begann durch Timotheos von Milet u. a. Dithyrambiker der Gesang in leere Künstelei auszuarten, und in der hellenistischen Zeit blühten zwar in Teos wie anderwärts Kunstschulen, allzeit bereit zu jedem Feste die gewünschte Zahl von Virtuosen zu entsenden, aber der edle Gehalt echter, anspruchsloser Kunst war geschwunden.
Die griechische Notenschrift war eine Buchstabenschrift, die, nach den geringen Resten der überlieferten Tonstücke zu schließen, bereits weit entwickelt war und sogar die Singnoten von den Instrumentalnoten unterschied. Die Dauer des Tones wurde für den Gesang nicht notiert, weil sie sich aus dem Metrum des Textes ergab; dagegen hatte man bestimmte Zeichen für die Tondauer, Taktart, Pausen u. s. w. in der Instrumentalmusik. «Die Hymnen des Mesomedes» (120 n. Chr.), ziemlich die einzigen aus dem Altertum erhaltenen Melodien, hat F. Bellermann (Berl. 1840) herausgegeben. Reicher sind wir mit Schriften trockner Theoretiker versehen. Sieben derselben hat Meibom (Amsterd. 1652), drei andere (Ptolemäos, Porphyrios, Bryennios) Wallis («0pera», Bd. 3, Oxf. 1699), den Boethius Friedlein (Lpz. 1867), den Hauptschriftsteller Aristoxenos Marquard in neuer Bearbeitung (Berl. 1868) und Westphal (Lpz. 1893),
den Theon Hiller (ebd. 1878),
den Aristides Quintilianus A. Jahn (Berl. 1882), den Bakcheios C. von Jan (Straßb. 1890-91) herausgegeben. Von neuern Schriften sei erwähnt: F. Bellermann, «Die Tonleitern und Musiknoten der Griechen» (Berl. 1847);
Roßbach [* 26] und Westphal, «Metrik der griech. Dramatiker und Lyriker», 2. Tl., 1. Abteil.: «Harmonik und Melopöie» (zuerst Lpz. 1863, in den spätern Auflagen nur mit großer Vorsicht zu benützen);
der Artikel von Fortlage, «Griech. Musik» in Ersch und Grubers «Encyklopädie» (Sekt. 1, Bd. 83, Lpz. 1863);
Gevaert, «Histoire et théorie de la musique de l'antiquité» (2 Bde., Gent 1875-81).
Über die griech. Tonarten handelt C. von Jan in der «Allgemeinen Musikzeitung», 1878, S. 705, über die Flöten in der «Allgemeinen Musikzeitung», 1881, S. 465; über die Saiteninstrumente im «Programm» des Saargemünder Gymnasiums 1882; über pythische und andere Festspiele in dem «Bericht» über die Philologenversammlung zu Zürich [* 27] 1887, S. 71.
Altgriech. Musikinstrumente waren:
1) Saiteninstrumente, die oben erwähnten echt griechischen: Lyra und Kithara, die übrigen vermutlich asiat. und ägypt. Abstammung: Barbiton, Pectis, Magadis, Simikion, Epigonion, Trigonon, Sambyke, Psalterion, erst in spätröm. Zeit kommt das Pandurion auf, ein Instrument mit Griffbrett;
2) Blasinstrumente: Rohrflöte (Aulos), Pansflöte (Syrinx), Trompete (Salpinx), [* 28] Horn (Keras), Wasserorgel (Hydraulis);
3) Schlaginstrumente: Krembalon, Krotalon (Holzklapper), Seistron (lat. Sistrum, [* 29] ägypt. Klapperinstrument), Kymbalon (lat. Cymbalum, Becken), Tympanon [* 30] (Handpauke, Tamburin), Krupezion (lat. Scabellum), mit dem Fuße getreten zur Angabe des Taktes.